Welt

Diese Wahl entscheidet über EU- und Ukraine-Zukunft

Am Sonntag finden in Polen richtungsweisende Parlamentswahlen statt – nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Ukraine und die gesamte EU.

Nicolas Kubrak
Am Sonntag finden in Polen die Parlamentswahlen statt. Die Regierungspartei PiS führt in Umfragen, könnte jedoch keine Regierungsmehrheit bilden. 
Am Sonntag finden in Polen die Parlamentswahlen statt. Die Regierungspartei PiS führt in Umfragen, könnte jedoch keine Regierungsmehrheit bilden. 
Agencja Wyborcza.pl via REUTERS

Brüssel, Kiew und internationale Beobachter blicken gespannt nach Warschau, wo am Sonntag Parlamentswahlen stattfinden. Es seien "die wichtigsten Wahlen" nach dem Systemwechsel von 1989, betonen die Polit-Protagonisten Jarosław Kaczyński und Donald Tusk, die seit rund 20 Jahren das politische Geschehen im Land prägen. 

"All or Nothing"

Zwischen Kaczyński – Vizeministerpräsident und Vorsitzender der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) – und Tusk – Vorsitzender der größten Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) – herrscht dicke Luft. Eine Rede Kaczyńskis ohne den Namen Tusk im negativen Sinne zu erwähnen – oder umgekehrt – gibt es nicht.  

Im Grunde genommen gibt es simpel betrachtet zwei Szenarien mit einem Ziel: Eine mögliche Regierungskoalition muss auf 231 Sitze von 460 im polnischen Sejm kommen. Szenario A besagt, dass die PiS (eine alleinige Mehrheitsregierung wie 2019 scheint unmöglich) und die rechtsextreme "Konföderation" (Konfederacja) eine Koalition bilden – wobei diese wiederum im Vorfeld betonte, Kaczyński & Co. ablösen zu wollen. Ideologisch gesehen ist die Konfederecja der PiS jedoch am nähesten. Im Szenario B kommt es zu einer Koalition aus der PO, den Linken (Lewica) und des zentralistischen Wahlbündnisses "Dritter Weg" (Trzecia Droga). Landesweit hochgerechnet ist Umfragen der letzten zehn Tage zufolge Szenario A wahrscheinlich, wenn auch nur haarscharf.

"Tusk holt illegale Migranten nach Polen"

Für die Regierungspartei, die seit 2015 an der Macht ist und 2019 die Konkurrenz mit über 43 Prozent deklassieren konnte, ist die Lage kurz vor der Wahl alles andere als zufriedenstellend. Daher setzt man kurz vor dem Grande Finale auf das altbekannte Mittel – die Angst. "Wenn Tusk die Wahlen gewinnt, holt er illegale Migranten nach Polen", warnte Premierminister Mateusz Morawiecki bei einer Wahlkampfveranstaltung am Mittwoch. "Ihr werdet Umzüge von jungen, muslimischen Männern sehen, die nichts von Frauenrechten halten. Zu uns kommen islamistische Terroristen, denen die EU die Türen weit öffnen will", drohte er. Am Donnerstag legte er nach: "Donald Tusk ist ein gefährlicher Mensch!"

Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński ist der politische Erzfeind von Donald Tusk.
Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński ist der politische Erzfeind von Donald Tusk.
Agencja Wyborcza.pl via REUTERS

Opposition will Kurswechsel

Die Opposition hingegen setzte im Wahlkampf auf einen Neustart nach der PiS-Zeit und sprach Skandale an, die zwischen 2015 und 2023 bekannt wurde – etwa einen "Visa-Skandal", bei dem EU-Visen gegen Schmiergeldzahlungen leichter verteilt worden sein sollen. So standen Themen wie eine Lockerung des strengen Abtreibungsgesetztes, ein besseres Gesundheitssystem, weniger Einfluss der katholischen Kirche und ein EU-freundlicher Kurs im Vordergrund. Die Höhepunkte der Kampagne waren zwei große Demonstrationen in Warschau – die Erste fand am 4. Juni statt, hier gingen laut Veranstaltern rund 500.000 Menschen auf die Straße. Am 1. Oktober fand der "Marsch von Millionen Herzen" statt – hier sollen schätzungsweise sogar eine Million Menschen teilgenommen haben. 

Warschau beim "Marsch von Millionen Herzen" am 1. Oktober.
Warschau beim "Marsch von Millionen Herzen" am 1. Oktober.
Agencja Wyborcza.pl via REUTERS

Am Ende des Marsches schwor Tusk "ein Ende des polnisch-polnischen Krieges" am Tag nach den Wahlen. "Es ist ein bisschen so: Wenn man den Aggressor verscheucht, gibt es keinen Grund mehr für Krieg. Wenn diejenigen, die Aggression und Wut zum Hauptinstrument des politischen Kampfes gemacht haben, weg sind, dann ist es schwierig, das Menschen wütend werden", so der 66-Jährige. 

Donald Tusk war zwischen 2007 und 2014 bereits polnischer Regierungschef. Nun steuert er erneut auf das Amt zu.
Donald Tusk war zwischen 2007 und 2014 bereits polnischer Regierungschef. Nun steuert er erneut auf das Amt zu.
REUTERS

EU und Ukraine blicken nach Polen

Nicht nur für Polen selbst, auch für die EU und die Ukraine könnte die Parlamentswahl eine entscheidende Weichenstellung bedeuten. Seitdem die PiS an der Macht ist, haben sich die Beziehungen zwischen Brüssel und Warschau drastisch verschlechtert. Migration, Rechtsstaatlichkeit, Abtreibung – man ist sich in kaum einem Thema mehr einig. Streitigkeiten – etwa über die kontroversielle Justizreform in Polen oder die Blockadehaltung Warschaus in der Migrationspolitik – stehen seitdem auf der Tagesordnung und sorgten sogar dafür, dass die EU-Kommission Auszahlungen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds in Höhe von 36 Milliarden Euro einfror. Die polnische Regierung warnt vor einem europäischen "Superstaat".

Seit etwa zwei Monaten befindet sich Polen sogar im Clinch mit der Ukraine. Anfangs hat man viele Flüchtlinge aus dem angegriffenen Nachbarland aufgenommen und war führende Unterstützungskraft bei Waffenlieferungen und finanziellen Hilfen. Doch dann kam der Getreide-Streit, in dem Polen ankündigte, den Getreide-Import aus der Ukraine zu blockieren, woraufhin die Ukraine eine Klage bei der Welthandelsorganisation (WTO) einreichte. Kurz danach sprach man kurzzeitig sogar von einem Stopp der Waffenlieferungen, bevor die polnische Regierung zurückruderte. Der Streit hinterließ jedoch seine Spuren und die polnisch-ukrainische Freundschaft bekam starke Risse.

Von einem Wahlsieg durch Donald Tusk erhoffen sich sowohl Brüssel, als auch Kiew, dass das Zusammenspiel und die Kompromisssuche mit Polen in Zukunft deutlich einfacher werden könnte – schließlich war Tusk von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates. 

Es ist also keine Untertreibung, wenn man sagt, dass das Ergebnis bei polnischen Parlamentswahlen einen großen Einfluss auf die Zukunft Europas hat. Die ersten Ergebnisse werden um 21 Uhr erwartet.

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