Österreich

Die Tragödie von St. Pölten: Fünf Tote

Heute Redaktion
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Donnerstag um 7.55 Uhr reißt ohrenbetäubender Knall ganzes Viertel der Landeshauptstadt aus dem Schlaf. Wohnhaus zerstört, Trümmer fliegen 100 Meter weit, Druckwelle beschädigt umliegende Gebäude schwer. Großalarm für 600 Helfer: Ursache der Tragödie war vermutlich geplatzte unterirdische Gas-Hauptleitung. Derzeit laufen die Brandermittlungen.

Das einstöckige Wohnhaus an der Munggenaststraße 43 - es ist Donnerstag, 7.45 Uhr, als ein Anrainer vorbeispaziert, Gasgeruch feststellt. Nur zehn Minuten später: Eine Explosion erschüttert das Viertel. Das Haus stürzt ein, geht in Flammen auf. Die Druckwelle fegt durch umliegende Gebäude, reißt Fensterstöcke, Türen aus ihrer Verankerung, beißender Qualm legt sich über den Stadtteil. Innerhalb von Minuten sind erste Helfer vor Ort, bergen vier Anrainer, die Rauchgasvergiftungen erlitten haben. 15 weitere müssen aus ihren Wohnungen gebracht werden.

Nach nicht einmal einer Stunde sind mehr als 500 Feuerwehrleute und 100 Sanitätskräfte eingetroffen, nur: Den fünf Bewohnern kann niemand mehr helfen. Drei weitere sind noch am Leben, weil sie zum Unglückszeitpunkt nicht zu Hause waren!

Immer wieder Glutnester

Stundenlang arbeiten sich die Feuerwehrleute unter Lebensgefahr durch die Trümmer, stoßen immer wieder auf Glutnester. Erst am späten Nachmittag wurde das erste Todesopfer geborgen, im Laufe der Nacht folgten die Leichen der weiteren vier Bewohner. Erst in den frühen Morgenstunden wurden die Bergearbeiten beendet, nachdem die Helfer rund 200 Tonnen Schutt größtenteils händisch wegschaffen mussten.

Als wahrscheinlichste Unglücksursache gilt eine geplatzte Gas-Hauptleitung unter dem Haus. Völlige Klarheit wird allerdings erst eine eingehende Untersuchung bringen.

J. Streihammer, E. Czastka, W. Bartosch

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Uns bleibt nur, was wir am Leib tragen

Der Schmerz, den Teresa Wutzl (21) empfinden muss, ist nicht in Worte zu fassen: Die Gasexplosion löschte auf einen Schlag fast die gesamte Familie aus. Opa Walter (81) und Oma Gerda Aicher (77) starben genauso unter den Trümmern wie ihre Mama, die Lehrerin Ursula Wutzl-Aicher (52), und deren südafrikanischer Lebensgefährte und Wirtschaftshof-Mitarbeiter Kelly Iyenkepolor (53). Ebenso tot: Teresas Schwester Alexandra (16, Jungschar-Leiterin), die erst zwei Stunden vor der Explosion nach Hause gekommen war. Tiefe Trauer auch in der Kunstszene: Teresas Opa Walter, Ex-Direktor einer Textilfabrik, hatte sich in der Pension als Maler einen Namen gemacht, sich mit Frau Gerda über den Lions-Club für wohltätige Zwecke eingesetzt und auch in der Kirche engagiert. Ehefrau Gerda hatte noch am Vorabend die Messe besucht.

Auf Urlaub bei Bekannten

Dass nicht noch mehr Tote zu beklagen sind, ist nur einem Zufall zu verdanken: Das im ersten Stock des Hauses lebende Pensionisten-Ehepaar Karl (70) und Gertrude Harzhauser (73) war auf Urlaub, als es die Schreckensmeldung per Handy mit den Worten Euer Haus steht nicht mehr ereilte. Das Wichtigste ist, dass wir leben, sagt Karl Stunden später, starrt mit Tränen in den Augen auf den Trümmerhaufen: Wir haben 50 Jahre hier gelebt, uns sehr wohl gefühlt, jetzt haben wir nur noch, was wir anhaben. Auch die Pflegerin der Familie Aicher hätte ihr Leben lassen müssen, wenn sie nicht verschlafen und so die Katastrophe knapp verpasst hätte. Eine Stunde nach der Explosion hätte zudem der Fronleichnams-Umzug am Unglücksort vorbeigeführt.

Anrainer in Notunterkünften

Auch die Nachbarschaft steht unter Schock: Ich machte die Tür auf, als mich die Druckwelle wieder ins Haus schleuderte, berichtet eine Anrainerin. Nachbar Sertan (23) und seine schwangere Verlobte Kathrin (24) dachten gar an einen Flugzeugabsturz. Sie und auch Dutzende Anrainer mussten wegen der großen Schäden in Ersatzquartieren untergebracht werden.

Brandermittlungen

Bis in den Morgenstunden nist noch der gesamte Unglücksbereich durchsucht worden, um sicherzugehen, dass sich niemand mehr im Schuttkegel befinde. Über 700 Atemluftflaschen wurden seitens der Feuerwehr für die Arbeiten benötigt. Das sei "einzigartig in St. Pölten in den letzten Jahrzehnten", sagte Bezirksfeuerwehrkommandant Dietmar Fahrafellner.

"Wir haben jetzt zunächst vor, in Zusammenarbeit mit der EVN Grabungsarbeiten zu beginnen", erklärte der Brandsachverständige Christian Tisch. Dabei werden die Techniker die Gasleitungen freilegen und Druck- sowie Dichtheitsprüfungen durchführen. In der Folge wolle man sich bis zum betroffenen Objekt und in die Überreste des Hauses vorarbeiten.