Gesundheit

"Das Gefängnis ist eine Brutstätte für Radikalisierung"

Was geht in einem Terroristen vor? Ein muslimischer Gefängnisseelsorger erzählt von seinem Alltag mit radikalisierten Muslimen.

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Ramazan Demir hat wegen seiner Tätigkeit sogar Morddrohungen von Terroristen erhalten.<br>
Ramazan Demir hat wegen seiner Tätigkeit sogar Morddrohungen von Terroristen erhalten.
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Wie kann Deradikalisierung funktionieren und was muss sich in Österreich noch ändern, damit Terroranschläge wie jener am Montag in Wien verhindert werden können? Ramazan Demir ist Religionslehrer, Imam und war acht Jahre lang Seelsorger von inhaftierten Islamisten. In seinem Buch "Unter Extremisten" beschreibt er seine Erfahrungen in den heimischen Gefängnissen.

Im Gespräch mit "Heute" erklärt Demir, was in der Psyche eines Extremisten vorgeht und wie seine Erfahrungen mit extremistischen Jugendlichen verliefen.

Heute: Wie entsteht das Phänomen der Radikalisierung?

Ramazan Demir: In den Gefängnissen in Österreich gibt es extremistische Muslime, die unbedingt deradikalisiert gehören. Unter den Radikalen gibt es zwei Gruppierungen: die Mitläufer, die schneller zu deradikalisieren sind und die Anführer, bei denen es schwieriger ist. Die Mehrheit der Muslime ist friedlich, auch in den Gefängnissen. Die Randgruppe der Extremisten ist aber ein ernstzunehmendes Phänomen. Irgendwann können sie alle für uns gefährlich sein.

Welche Einrichtungen übernehmen diese Aufgaben in Gefängnissen?

Im Gefängnis gibt es eine Deradikalisierungsstelle, die gestärkt werden muss. Daneben gibt es die islamische Seelsorge, die auch gefördert werden muss. Sie ist für die Präventionsarbeit wichtig, um muslimische Gefangene vor Radikalisierung zu schützen. In der Deradikaliserungsstelle sind nur die, die schon radikal sind, aber die Mehrheit der muslimischen Häftlinge ist wegen Delikten wie Diebstahl und Drogendealen im Gefängnis. Diese Insassen können auch radikales Gedankengut besitzen. Deswegen ist es hier wichtig, dass die islamische Gefängnisseelsorge da ist. Hier kann Deradikalisierung stattfinden. Wir haben das Problem, dass es österreichweit nur einen Vollzeit-Seelsorger gibt, der von der Islamischen Glaubensgemeinschaft finanziert wird.

Wie geht man bei dem Versuch einer Deradikalisierung vor? Worauf muss man achten?

Es ist wichtig darauf zu achten, warum diese Menschen sich überhaupt radikalisieren. Es gibt verschiedene Beweggründe: Der eine ist traumatisiert, der andere sucht nach einer neuen Identität, wieder ein anderer nach Anerkennung. Dann gibt es einen, der arbeitslos ist oder ein Schulabbrecher, der ein mangelndes Selbstwertgefühl hat und dann in einem Freundeskreis die Anerkennung bekommt. Einige haben Verschwörungstheorien. Man muss diese Beweggründe gut analysieren. Wenn jemand Verschwörungstheorien im Kopf hat, ist ein Politikwissenschafter sehr wichtig. Wenn einer Diskriminierungserlebnisse hatte, ist es wichtig, mit Sozialarbeit zu entgegnen.

"Es braucht ein gemeinsames Arbeiten für die Deradikalisierung."

Was sind die manipulativen Methoden der Anführer-Typen unter den Extremisten?

Sie verdrehen religiöse Quellentexte und missbrauchen die  Terminologie. Sie verwenden symbolträchtige Zeichen und kommen immer mit der Schwarz-Weiß-Malerei. "Wir sind die Auserwählten", nur wir sind gut, alle anderen sind schlecht. Mit Gewissensmanipulation und Opferrollen. So kommen sie an die Mitläufer heran. Diese Hass-Prediger sind Role Models für sie. Auf Social Media wird versucht Jugendliche zu manipulieren.

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    Die Wiener trauern und gedenken der Opfer des Terroranschlags.
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    Helmut Graf

    Dann gibt es Hinterhof-"Moscheen". Dort wird radikalisiert. Wir haben immer wieder mitgegeben, dass diese selbsternannten Keller-Moscheen nicht zur Islamischen Glaubensgemeinschaft gehören und geschlossen werden sollten. Sie sagen, die Imame der normalen Moscheen sind alles Ungläubige. Der Attentäter hat auch einen Muslim umgebracht. Einer ist verletzt. Der Terrorist schaut nicht auf Religion. Er ist verblendet und fest in seiner Ideologie verankert und will Terror ausüben.

    Wie erkennen Sie, ob eine Deradikalisierung glückt? Was sind Ihre Methoden?

    Man muss diesen Jugendlichen die Augen öffnen. Es wichtig, bei der Arbeit mit den Radikalen die eigene Einsicht des Gegenübers zu fördern. Ich habe immer versucht, das Gegenüber kritisch-analytisch denken zu lassen. Das haben sie so nie gelernt. Sie haben immer wie Schafe blind übernommen, ohne nachzudenken. Mit Fragenstellungen, Vertrauen aufbauen, aktiv zuhören, dem Gegenüber die Augen zu öffnen mit der eigenen Einsicht des Gesprächspartners.

    "Kritisch-analytisches Denken haben die Radikalen nie gelernt."

    Alle haben im Bezug auf den Islam ein falsches Wissen und ein Halbwissen, das gefährlich ist. Das muss man richtigstellen mit kritischem Hinterfragen. Man muss ihnen klar machen, dass sie die religiösen Quellentexte nicht in ihrem Kontext sehen und einfach ein Zitat rausnehmen. Da startet die Deradikalisierung. Weil man der Schweigepflicht unterliegt, hat man einen offenen Zugang, wo sich Häftlinge öffnen. Da hatten wir in Gefängnissen auch Erfolge.

    Was ist für die Zukunft wichtig?

    Viele reden jetzt von Deradikalisierung, aber das Hauptaugenmerk muss auf Prävention liegen. Man muss die Mehrheit der Muslime vor Radikalisierung schützen. Da ist die Gefängnisseelsorge enorm wichtig. Das Gefängnis ist eine Brutstätte für Radikalisierung.

    "Das Hauptaugenmerk muss auf Prävention liegen."

    Seelsorge ist auch Menschenrecht. In Gefängnissen nimmt die Bedeutung von Religion zu. Die Häftlinge brauchen Halt, Motivation, Orientierung. Das versuchen sie von der Religion zu bekommen. Wenn aber der Gefängnisseelsorger nicht vor Ort ist, dann holen sie sich das Bedürfnis von Mitinsassen. Das kann auch ein Radikaler sein. Dann kann es gefährlich werden und sich verbreiten.

    Was waren Ihre ersten Gedanken nach dem Terroranschlag?

    Als es passierte, habe ich sofort den befreundeten Rabbiner Hofmeister angerufen. Der wohnt direkt dort. Als ich hörte, dass es der Familie gut geht, saßen wir vorm Fernseher und hatten Angst, dass die Situation sich verschlechtert und die Leute nicht zwischen Islam und extremistischen Muslimen differenzieren. Ein paar Stunden später am nächsten Tag ist diese Angst nicht mehr da gewesen.