Eine Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft wurde im Oktober 2003 auf dem Heimweg von einem Filmfestival in der indischen Hauptstadt in ihrem Auto vergewaltigt. Die Täter wurden nie gefasst – trotz der größten Fahndungsaktion in der Geschichte Delhis.
Über zwanzig Jahre später wirft nun der Bericht eines indischen Investigativportals die Frage auf: Wurde damals ein entscheidender Hinweis unterschlagen, um den Ruf einer landesweit bekannten Polizistin und deren Tochter vor einem Skandal zu schützen?
Auf den Fall der Schweizer Botschaftsmitarbeiterin stießen die Journalisten von "The News Minute", als sie die belastete Beziehung zwischen Kiran Bedi und ihrer Tochter Saina Bedi durchleuchteten. Kiran Bedi, Aktivistin und ehemalige Gouverneurin, war die erste Frau im Indian Police Service (IPS) und von 2003 bis 2005 die erste Zivilpolizeiberaterin der Vereinten Nationen.
In dieser Zeit scheint die erste Polizistin des Landes und frischgebackene UNO-Mitarbeiterin allerhand Probleme mit ihrer Tochter gehabt zu haben: Tatsächlich hatte Kiran Bedi ihren Einfluss spielen lassen und eine inoffizielle Überwachung von Saina und deren Partner angeordnet, weil sie die beiden betrügerischer Visageschäfte verdächtigte. Offenbar nutzte die Tochter auch den Namen der Mutter, um in Delhi Kontakte zu ausländischen Botschaftsmitarbeitern zu knüpfen.
Am 15. November 2003 wurde Kiran Bedi in einem Mail über die neuesten Erkenntnisse aus der Überwachung des Paares unterrichtet – und auch darüber, dass die Operation eine mögliche Spur in dem zwei Monate zurückliegenden Vergewaltigungsfall geliefert habe.
Erwähnt wird ein abgehörtes Telefonat zwischen dem Partner von Tochter Saina und einem "gewissen Shaji", die über die Schweizer Botschaftsmitarbeiterin gesprochen hätten. Man habe veranlasst, Informationen über "Shaji" einzuholen, wurde Kiran Bedi in der Mail informiert.
Doch der potenziell wichtige Hinweis sei nie bei ihnen eingegangen, sagt jetzt Rajender Singh zu "The News Minute". Singh leitete damals die für den Schweizer-Fall eingerichtete Ermittlungsgruppe. Er bestätigt, dass es trotz der monatelangen – und grundsätzlich illegalen – Überwachung der Tochter von Kiran Bedi und ihrem Partner nie zu offiziellen Ermittlungen gegen das Paar gekommen war.
Die Polizei habe nur kurz die Möglichkeit geprüft, ob der Angriff auf die Schweizerin etwas mit der Arbeit an der Botschaft zu tun haben könnte, habe dafür aber keine Anhaltspunkte gefunden. Gleichzeitig hält es der einstige Chefermittler auch für möglich, dass ihm nicht alle Informationen zur Verfügung gestellt wurden, die zur Aufklärung des Falls hätten beitragen können.
All das "wirft Fragen nach einer möglichen Vertuschung oder einem Missmanagement der Ermittlungen auf", schreibt "The News Minute". Mit anderen Worten: Wurde die Suche nach den Tätern behindert, weil die landesweit bekannte Polizeichefin Kiran Bedi, damals gerade zur UNO berufen, einen Skandal rund um das zweifelhafte Geschäftsgebaren ihrer Tochter verhindern wollte?
Eine Antwort darauf blieb Kiran Bedi den Journalisten schuldig. Auf Anfrage schrieb sie lediglich: "Als ich das Gefühl hatte, dass meine Tochter unschuldig in die Falle gelockt (von ihrem damaligen Partner, Anm.d.Red.) und ins Visier genommen wurde (vor 27 Jahren), bat ich die Polizei, ein unschuldiges Leben zu retten. Die Polizei hat ihre Pflicht getan."
Die Täter wurden bis heute nicht gefasst, was den mittlerweile pensionierten Sonderermittler Singh heute noch belastet: "Bei all der Zeit und den Ressourcen, die in die Ermittlungen gesteckt wurden, hätten sie Ergebnisse bringen müssen."