Wirtschaft
Brisanter Vorschlag – höhere Pension für mehr Kinder
Nicht nur in der Schweiz ist die Geburtenrate auf einem historischen Tiefstand. Ein Basler Ökonom plädiert deshalb für eine kinderabhängige Pension.
Das ist die Ausgangslage
In der Schweiz ist die Geburtenrate auf einen historischen Tiefstand gesunken. Wie das Bundesamt für Statistik (BFS) im Juni bekannt gab, ist sie auf 1,39 gesunken. Dies führe laut der UBS-Ökonomin Veronica Weisser zu einer deutlichen Verschärfung der Finanzierungsengpässe im Sozialsystem, wie sie der "NZZ" sagt. Davon betroffen ist neben der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) auch die Gesundheitsversicherung sowie die Pflege.
Das BFS rechne in seinen Prognosen mit einer Geburtenrate von 1,62 bis zum Jahr 2050. Das würde laut Weisser die Situation jedoch nicht entschärfen. Zurzeit würden 3,1 Personen eine Pension finanzieren. Bis 2058 müssten jedoch bereits zwei Beitragszahler für eine Pension aufkommen – und das sei noch eine optimistische Prognose. Zum Vergleich: In Österreich liegt die Geburtenrate ähnlich bei etwa 1,4 – und bereits 2040 wird damit gerechnet, dass nur zwei Beitragszahler eine Pension finanzieren müssen.
Das ist der brisante Vorschlag
Der Basler Ökonom Wolfram Kägi plädiert für die Schaffung einer kinderabhängige Rente. Wie er gegenüber der "NZZ" sagt, leide die AHV an einem "Konstruktionsfehler". Es werde die Tatsache ignoriert, dass es ohne Kinder irgendwann auch keine Pension mehr geben werde: "Stattdessen wird einfach angenommen, dass stets genügend Familien da sind, die Kinder aufziehen – und damit einen Dienst für die Allgemeinheit leisten."
Kägi, der das Volkswirtschaftliche Beratungsbüro BSS in Basel leitet, verweist auf die hohe finanzielle Mehrbelastung der Eltern durch die AHV. Die Rendite der Kinder werde sozialisiert, während die meisten Kosten der Kinder privat zu tragen seien. Der finanzielle Mehraufwand der Eltern könne zumindest teilweise kompensiert werden, würde man die Höhe der Pension an die Zahl der Kinder koppeln, sagt Kägi.
Das sagen die Unterstützer
Professor Bernd Raffelhüschen leitet das Forschungszentrum für Generationenverträge an der Universität in Freiburg im Breisgau. Für ihn macht der Reformvorschlag ökonomisch Sinn. "Wer sich gegen Kinder entscheidet, wird für das Rentensystem zu einem Trittbrettfahrer: Er profitiert von Leistungen, zu denen er kaum etwas beigetragen hat", sagt er. Zwar dürfe die Gesellschaft keine Altersarmut zulassen, unabhängig davon, ob man Nachwuchs habe oder kinderlos sei, aber: "Dass jene, die stärker für die nächste Generation sorgen, einen Ausgleich für ihre Aufwendungen erhalten, scheint mir gerechtfertigt."
Dass Kinderlose auch Kinder mitfinanzieren, liege zwar auf der Hand – so sorge der Staat für eine kostenlose Schulbildung. Ebenso profitieren Eltern von Steuerabzügen sowie Kinderzulagen. Doch diese Zuschüsse würden die finanziellen Nachteile bei weitem nicht kompensieren. Eltern seien zum Beispiel oft gezwungen, ihr Arbeitspensum zu reduzieren und auf Karrierechancen zu verzichten. Dazu komme das zeitliche Engagement, dessen Wert sich nur schwer messen lasse.
Ökonomin Weisser zitiert eine UBS-Studie, die ausgerechnet hat, dass ein durchschnittliches Paar mit zwei Kindern bei Erreichen des Rentenalters unter Berücksichtigung von Vergünstigungen und Zuschlägen um gut eine Million Franken (rund 1,03 Millionen Euro) schlechter gestellt sein wird als das äquivalente Paar ohne Kinder.
Das sagt eine Gegnerin
Sylvia Locher, Präsidentin der Organisation Pro Single Schweiz, bezeichnet die Idee der kinderabhängigen Rente als "Blödsinn". Sie sagt gegenüber der "NZZ": "Wir Kinderlosen lassen uns sicher nicht einreden, dass wir einen zu geringen Beitrag für die Gesellschaft leisten." Sie würden schließlich die Infrastruktur und das Sozialsystem weniger belasten als eine Familie.
Den Beitrag, den die Allgemeinheit für das Bildungswesen leistet, unterstütze sie "mit Überzeugung". Die Schulen würden jedoch bereits heute an ihre Grenzen stoßen. Einen weiteren Babyboom würde es laut Locher gar nicht verkraften können. Die Prognose, dass der AHV der Nachwuchs ausgehe, bezeichnet sie als "Panikmache".