Welt
"Bio-Terror" – immer mehr vergiftete Mädchen im Iran
Die iranische Aktivistin Masih Alinejad spricht von mehr als 800 Mädchen, die an iranischen Schulen vergiftet wurden. Schuld soll die Regierung sein.
An Mädchenschulen im Iran sind Hunderte neue Fälle ungeklärter Vergiftungen gemeldet worden. Wie die iranische Zeitung "Shargh" am Donnerstag berichtet, sind allein in der nordiranischen Stadt Ardabil mehr als 400 Schülerinnen an elf Schulen betroffen. An Dutzenden Schulen in anderen Landesteilen wurden am Mittwoch ähnliche Fälle gemeldet. Insgesamt sollen über 800 Mädchen von den neuesten Gift-Attacken betroffen sein. Das sagt die in den USA lebende iranische Journalistin und Aktivistin Masih Alinejad.
Die Schülerinnen klagen über Schwindel, Übelkeit und Atemnot. In Ardabil werden demnach knapp 100 Mädchen im Spital behandelt, in einigen Fällen soll der Gesundheitszustand der Mädchen kritisch sein.
"Wir wissen nicht, ob jemand gestorben ist"
Im Interview mit dem US-Sender MSNBC sagt Alinejad, dass sie nicht sicher ist, ob es wirklich keine Toten gab, wie es aktuell heißt. Die Islamische Republik sei in solchen Fällen sehr gut darin, betroffene Familien zu bedrohen und zum Schweigen zu bringen. Sie sei sehr besorgt.
Die 46-Jährige macht die Regierung für die Gift-Attacken verantwortlich. Sie glaube der Regierung nicht, dass sie die Vorfälle untersuchen werde. Schließlich habe die Regierung den Tod von Mahsa Amini auch nicht untersucht. Gegenüber "The Guardian" sagte sie zudem, dass es sich bei den Angriffen um die Rache der Islamischen Republik an den Frauen handle, weil sie den Hidschab ablehnten. Sie spricht von "biologischem Terrorismus", der von der UNO untersucht werden sollte.
Eine ähnliche Theorie hat die Juristin und Iran-Expertin Shoura Hashemi. Gegenüber "Bild" sagt sie, dass vermutet wird, dass "sehr radikale, religiöse Kreise" für die Giftanschläge verantwortlich sind. Dabei handeln diese wohl im Auftrag oder zumindest im Wissen des Regimes.
Gezielte Giftanschläge auf Schülerinnen
Die jüngste Vergiftungswelle an Mädchenschulen versetzt das Land in Aufregung. Eltern sind besorgt und wütend. Von der Regierung fehlt noch immer eine offizielle Erklärung für die Vorfälle. Die Behörden gehen jedoch längst von gezielten Giftanschlägen aus. Die Hintergründe sind weitgehend unklar.
Die ersten Vergiftungsfälle wurden bereits Ende November gemeldet, als die Proteste im Iran in vollem Gange waren. Zunächst waren nur einige Mädchenschulen in der schiitischen Hochburg Ghom betroffen. In den vergangenen Tagen wurden nun immer mehr Fälle in anderen Landesteilen bekannt. Jetzt erreichte die Vergiftungswelle auch die Hauptstadt Teheran.
Nachdem sich zunächst das Gesundheitsministerium mit den Fällen befasst hatte, schaltete sich am Mittwoch auch der erzkonservative Präsident Ebrahim Raisi ein. Seit Monaten steht dessen Regierung neben der klerikalen Führung im Land unter Druck. Die Frauenproteste im vergangenen Herbst hatten die politische Führung in die schwerste Krise seit Jahrzehnten gestürzt, auch die schwierige Wirtschaftslage bereitet vielen große Sorgen.