Österreich
1,1 Millionen Österreicher können nicht richtig lesen
Niki Glattauer war Lehrer und Schuldirektor und vergibt in "Heute" Noten. Was die Lesefähigkeit betrifft, prognostiziert er eine düstere Zukunft.
Wer Buchstaben erkennt, muss nicht zwangsweise lesen können. Wie Glattauer aus einer OECD-Studie erfahren hat, ist es um die Lesefähigkeit der Österreicher leider schlecht bestellt. Wie auch der Fall eines Schülers zeigt, der Pandabär "Chow Chow" zur Hauptfigur seines Hunderassen-Referates machte.
Neue Zahlen: 1,1 Millionen können nicht lesen!
600.000 Österreicher - das ist status quo - sind funktionale Analphabeten, was heißt: sie kennen die Buchstaben, können Wörter aber nicht korrekt schreiben und so gut wie nicht lesen. Wenn stimmt, was ich vom Ergebnis einer derzeit aktualisierten OECD-Studie erfahre, dann verfügen inzwischen fast 1,1 Millionen erwachsene (!) Österreicher - um 100.000 mehr als vor 10 Jahren! - über so schlechte Lesekenntnisse, dass sie einfache Zeitungstexte nicht mehr verstehen (Bücher sowieso nicht), genauso wenig aber Gebrauchsanleitungen, Beipacktexte, Formulare oder gar Verträge aller Art.
In den meisten Volksschulen Wiens sind letzte Woche die Schuleinschreibungen der Tafelklässler für das Schuljahr 23/24 zu Ende gegangen. 21.000 Schulanfänger wird es geben, noch nie gab es mehr. Meine düstere Prognose: Trotzdem werden nach vier Jahren Volksschule mehr Kinder nicht richtig sprechen, schreiben oder lesen können als je zuvor.
Glattauer gibt Noten
Niki Glattauer war 25 Jahre Lehrer und Schuldirektor in Wien. Er hat bisher 13 Bücher veröffentlicht, alle zum Thema Schule wurden Bestseller. Jeden Montag vergibt er in einer Kolumne für "Heute" Schulnoten.
Note: Nicht genügend
Wie ein Hund zu einem Panda wurde ...
Apropos Lesen. Jetzt fand ich in einem Interview mit zwei Pädagoginnen des Buchklubs folgende lustigen Sätze: "Sinnerfassend lesen, zu verstehen, was man liest, ist die höchste Stufe beim Lesenlernen." Die höchste? Ich würde sagen, die niedrigste. Denn da beginnt's ja erst: das Einordnen des Gelesenen in die eigene Lebensrealität, das Verknüpfen, das Vergleichen, das Hinterfragen.
Nie werde ich den Schüler vergessen, der sein Hunde-Referat über die Rasse Chow Chow zu meinem Staunen mit zig Bildern eines Pandabären garnierte. "Das ist kein Hund, Kevin (so hieß er nicht, aber tun wir so), das ist ein Bär!“ "Doch, das ist ein Hund. Schauen Sie nach, es steht im Internet!“ Wie sich herausstellte, war der Hund natürlich kein Hund, sondern ein Pandabär – namens Chow-Chow… Der lustige Satz der zweiten Pädagogin: "Und daher fängt Leseförderung idealerweise schon mit der Geburt an." D a s machen Sie mir jetzt aber vor, Frau Kollegin!
Note: Unbefriedigend
Köhlmeier: "Wir züchten süchtige Jugend"
In einem Interview im "Standard" anlässlich der Präsentation seines neuen Romans "Frankie" (Hanser, 206 Seiten, € 24,70) wurde Michael Köhlmeier gefragt, ob der Roman nicht auch als Kritik an Schule und Bildungssystem interpretiert werden könne (es geht in dem Buch um den 14-jährigen braven Sohn einer Alleinerzieherin, der von seinem eben aus dem Gefängnis entlassenen Großvater auf die schiefe Bahn gezogen wird).
Köhlmeier: "Ich habe jetzt im Radio eine Diskussion über den neuen Lehrplan im Fach Deutsch gehört. Eine Stunde lang. Nicht ein einziges Mal wurde von der Literatur gesprochen." Es gehe um Wirtschaft. Es solle "über ihre SMS gesprochen werden, über Computerspiele. Aber nicht über Rilke. Wir züchten eine unglückliche, süchtige Jugend heran." Eh. Ob aber Rilke wirklich das geeignete Gegengift ist? ;-)
Note: Nachprüfung