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"Bei Tschetschenen ist Gewalt einzige Überlebenschance"

Anwalt Florian Kreiner hat Dutzende Täter aus dem Kaukasus verteidigt. Nach dem jüngsten Mord zeigt er eine Welt, in der Ehre und Gewalt wichtig sind.

Florian Horcicka
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    Rechtsanwalt Florian Kreiner ist Kenner der tschetschenischen Szene in Wien.
    Rechtsanwalt Florian Kreiner ist Kenner der tschetschenischen Szene in Wien.
    Sabine Hertel

    Regelmäßig sorgen Gewalttaten und Fehden für Spannungen in und mit der rund 30.000 Personen zählenden Gemeinschaft der Tschetschenen in Österreich. Dabei geht es oft um Ehre, männliche Stärke und Nationalstolz.

    ➤ Ehrgefühl Viele Konflikte mit Tschetschenen resultieren laut Anwalt Kreiner aus Beleidigungen. Vor allem Herabwürdigungen weiblicher Familienmitglieder, insbesondere der Mutter, "müssen" Konsequenzen haben. Die "Ehre" ist nicht verhandelbar und muss in jedem Fall verteidigt werden.

    ➤ Nationalstolz Das Kaukasusvolk hat über Jahrhunderte schwere Zeiten, Unterdrückung und Leid erlebt. Stalins Repressionen und zwei Kriege mir Russland haben tiefe Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterlassen. Das Gebiet ist so groß wie die Steiermark mit etwa so vielen Einwohnern. Zehntausende sind auf der ganzen Welt verstreut. Daher gilt: Um das Volk nicht zu schwächen, dürfen Tschetschenen nur untereinander heiraten. Dazu wird Ahnenforschung betrieben, weil jeder "echte" Tschetschene aus einer von neun Stammfamilien stammt.

    ➤ Gewalt Kampfsport genießt hohen Stellenwert. Schon kleine Buben beginnen mit dem Training. Körperliche Auseinandersetzungen und Kräftemessen werden anders gesehen, als sonst auf Österreichs Spielplätzen üblich. Aus ihrer Geschichte ergibt sich Kampf als Notwendigkeit. Daher ist Gewalt oft der einzige Weg um zu überleben.

    ➤ Disziplin Der Islam wird meist streng gelebt. Alkohol wird abgelehnt. Körperliche Ertüchtigung ist angesehen.

    ➤ Integration Die Tschetschenen haben in Österreich kein gutes Image. Das ist ihnen bewusst und wird teilweise auch extra gepflegt. Ein "harter" Tschetschene zu sein ist zur "Marke" geworden. Das macht die Integration schwierig – auch am Arbeitsmarkt. Daher werden Tschetschenen gerne als "Männer fürs Grobe" von gemischtnationalen Banden angeworben.

    ➤ Schuld und Sühne Bemerkenswert ist die Anerkenntnis des österreichischen Rechtsstaats. Strafen werden eingesehen und Taten nicht stur geleugnet. Das mag auch daran liegen, dass heimische Gefängnisse gegenüber russischen oder tschetschenischen Vollzugsanstalten echte Kurhotels sind.

    ➤ Zweigeteilte Community Probleme, wie der jüngste Mord, entstehen aus der politischen Situation in Tschetschenien, die auch auf Österreich ausstrahlt. Auch hier gibt es Gegner und Unterstützer des dortigen Kadyrow-Regimes. Das führt zu "Stellvertreter-Kriegen" in Wien, Graz, St. Pölten, Wels und Linz. Das sind die Städte mit der größten Anzahl an Tschetschenen.

    Hier nachlesen: Tschetschene in Gerasdorf ermordet