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Weshalb wir Balkan-Kinder so auf Rap abfahren
An dem Tag, als meine Familie nach Wien kam, begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Auch punkto Musik.
Wenn in der Nacht nur mehr ein paar Straßenlaternen den Gehweg schwach beleuchten und irgendwo aus der Ferne die Stimme RAF Camoras ertönt – dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass gerade ein paar Jugo-Kinder die Gegend unsicher machen.
Ich spreche aus Erfahrung. Als Kind vom Balkan hat mich Musik von klein auf begleitet. Denn im ehemaligen Jugoslawien werden Musiker wie Volkshelden gefeiert. Wer ein falsches Wort gegen Sinan Sakic sagt, erntet im besseren Fall böse Blicke. Im schlechteren Fall muss er damit rechnen, dass Freundschaften gekündigt werden.
Und wer blöd über Lepa Brena redet... okay, niemand redet blöd über Lepa Brena.
Hajde - der Balkan-Blog
Hallo und herzlich willkommen zu "Hajde", dem Balkan-Blog auf "Heute.at"! Unser Blogger ist zwischen Sarma und Wiener Schnitzeln aufgewachsen. Wie das so ist? Er verrät´s euch in seinen Kolumnen. Übrigens: "Hajde" bedeutet auf Deutsch so viel wie "Los geht´s!"
Und was ist für euch typisch Balkan? Eure Inputs sind willkommen unter [email protected]
„Knapp 400 Kilometer von meinem Geburtsort entfernt, eröffnete sich mir eine völlig neue Welt. Bunter und größer als ich sie bislang kannte.“
Jedenfalls wurde mir bereits sehr früh eingetrichtert, dass man die musikalischen Balkan-Götter zu verehren hat. Die Lieder über Liebe, Lust und Leid sind in meinem Gehirn tiefer verankert als das kleine Einmaleins. Doch irgendwann trennten sich die Wege von Šaban Šaulic und mir. Und zwar so ziemlich genau an dem Tag, an dem ich in Wien ankam.
Knapp 400 Kilometer von meinem Geburtsort entfernt, eröffnete sich mir eine völlig neue Welt. Bunter und größer als ich sie bislang kannte. Und vor allem: Vielfältiger in Sachen Musik. Ich realisierte, dass es noch mehr gibt als nur Nedeljko Bajic und Co.
Zunächst faszinierten mich die schrillen Stars auf MTV, Michael Jackson, die Spice Girls. Damit kamen meine Eltern auch noch irgendwie zurecht. Problematisch wurde es für sie, als ich in die Pubertät kam. Dann lernte ich Sido, Bushido und Eko Fresh kennen.
„Zwar war ich mir fast sicher: Auch ein Sido würde ziemlich kleinlaut werden, wenn meine Mama damit drohte, mit einem Schlapfen nach ihm zu werfen. Aber ...“
Warum Deutschrap für mich, wie für viele Jugendliche, so eine wichtige Rolle spielte? Vielleicht, weil es sich damit so wunderbar gegen die Eltern rebellieren ließ. Sido und Co. überschritten lyrisch die Grenzen, die wir im realen Leben nicht anzutasten wagten.
Zwar war ich mir fast sicher: Auch ein Sido würde ziemlich kleinlaut werden, wenn meine Mama damit drohte, mit einem Schlapfen nach ihm zu werfen. Aber wenn man die Texte nur genug laut mitrappte, dann fühlte man sich doch irgendwie – ziemlich stark.
„Sorry, Mama! Sorry, Balkan-Götter der Musik!“
Und dann war da die Sache mit unserem Lebensstandard. Meine Familie kam mit sehr wenig nach Wien – und wirklich mehr wollte es lange Zeit auch nicht werden. In dieser Situation hat man als Jugendlicher wenig Lust auf die Songs über unerfüllte Liebe. Sorry, Mama! Sorry, Balkan-Götter der Musik!
Viel eher fühlte ich mich verstanden, wenn böse Jungs über das harte Leben auf der Straße rappten. Zog nicht auch ich oft nächtelang durch die Gassen? Lungerte mit Freunden in Parks herum? Dass wir einfach wieder nach Hause gingen, sobald es uns zu blöd (oder zu kalt) wurde, musste ja niemand wissen.
Als die Jahre ins Land und die Trotzphase vorüberzog, näherte ich mich meiner Heimat musikalisch allmählich wieder an. Jetzt gröle ich wieder lautstark mit, wenn auf einer Jugo-Hochzeit "Sunce Moje" von Sinan Sakic aus den Boxen dröhnt. Jede einzelne Zeile ist tief in meinem Hirn – oder meinem Herz – verankert.
Dass die Balkan-Community auch die Musik in Österreich beeinflusst, zeigt ein Blick auf die Youtube-Trends. So finden sich in der Liste Namen wie Jala Brat, Buba Corelli und Rasta. Die Herren rappen von A bis Z auf "Jugo". Dass sie dennoch in den österreichischen Charts auftauchen, macht deutlich, wie klickfreudig die Community ist. Und dürfte ein Ausdruck davon sein, dass sich viele von uns doch hin und wieder nach der "alten Heimat" sehnen. Dass man trotz allem ein bisschen Rebell bleiben will. Auch wenn Sinan Sakic natürlich ultracool ist...
Zu den weiteren Blogs:
>>>> Teil 1: Fluchen mit Balkan-Mama – ein Crash-Kurs
>>>> Teil 2: Balkan-Mamas größte Angst: Ich, unverheiratet
>>>> Teil 3: Meine Freundin, ein Svabo – für Mama ein Skandal
>>>>Teil 4: Der Balkan – die Hölle für Veganer
>>>>Teil 5: Die Balkaner, ihre große Liebe zu Rakija – und ich (red)