Österreich

Extreme Zunahme von Antisemitismus in Österreich 

2021 wurden der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) insgesamt 965 antisemitische Vorfälle gemeldet.

Antisemitische Attacken sind in Österreich auf einem Rekordhoch. News | heute.at
Antisemitische Attacken sind in Österreich auf einem Rekordhoch. News | heute.at
Bild: Fotolia

Der vorliegende Jahresbericht der Antisemitismus-Meldestelle der IKG zeigt eine höchst verstörende Entwicklung. Im Kalenderjahr 2021 wurden 965 antisemitische Vorfälle registriert – das sind im Durchschnitt mehr als 18 pro Woche; eine Zunahme um 60 Prozent seit 2020.

Offen zu Tage getretener Antisemitismus in Österreich

Das Team rund um Generalsekretär Benjamin Nägele gewährt mit diesem Bericht einen wertvollen Einblick in die tägliche Arbeit der Meldestelle, der IKG und ihrer Institutionen wie dem psychosozialen Zentrum ESRA. Zu bedenken ist, dass der Bericht nur den offen zu Tage getretenen Antisemitismus behandelt.

Viele Ebenen

Der Kampf gegen das "Gerücht über die Juden", wie Theodor Adorno den Antisemitismus definierte, geschieht auf vielen Ebenen: Über die Sicherheitsabteilung der IKG, die Polizei und das Bundesheer, um Leben zu schützen und über Bildungs- und Kulturinitiativen, um Vorurteile erst gar nicht aufkommen zu lassen. Letztlich ist es aber nicht die primäre Aufgabe der Kultusgemeinde, diesen Kampf zu führen. Für uns muss dies aber eine Selbstverständlichkeit sein, denn "Nie wieder" bedeutet Überleben.

"Wir alle wissen: Vor Taten kamen immer schon Worte. Warten wir nicht!"

Beschimpfungen, Belästigungen und Übergriffe

Die jüdische Gemeinde sah sich 2021 mit einer noch nie dagewesenen Zahl an gemeldeten Beschimpfungen, Belästigungen sowie anderen psychischen und physischen Übergriffen konfrontiert. Noch nie waren, seit Aufzeichnung, so viele Menschen, auch nicht-jüdische, von judenfeindlichen Agitationen betroffen – und die Dunkelziffer liegt naturgemäß weitaus höher. 

Antisemitismus Meldestelle: Hilfe in Anspruch nehmen! 

Ob Zeuge oder Betroffener. Die Rolle der Antisemitismus-Meldestelle der IKG ist hier eine ganz entscheidende: Sie macht Antisemitismus sichtbar, ungeschönt und detailliert. Aber sie hat noch eine weitere viel wichtigere Rolle: Sie ist die professionelle und vertrauliche Anlaufstelle für jede und jeden, der von Antisemitismus betroffen ist oder Zeuge eines Vorfalls wurde. Die Meldestelle erfasst diese Vorfälle fachkundig, begleitet Meldepersonen professionell und kooperiert dabei eng mit den Institutionen der IKG.

Eine Schlüsselfunktion übernimmt dabei ESRA, das psychosoziale Zentrum der IKG, das jüdische und nicht-jüdische von Antisemitismus Betroffene unterstützt. Es ist essentiell, Antisemitismus sichtbar zu machen: Zivilcourage im eigenen Umfeld wie auch in der Öffentlichkeit zu zeigen. 

Anstieg von 65 Prozent

Im Kalenderjahr 2021 wurden der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) insgesamt 965 antisemitische Vorfälle gemeldet. Dies entspricht im Vergleich zum Vorjahr (585 Vorfälle) einem Anstieg um 65 Prozent und somit der höchsten erfassten Anzahl antisemitischer Vorfälle seit Beginn der Dokumentation vor 20 Jahren. Dieser Bericht ist keine gesamthafte Darstellung des Antisemitismus in Österreich. Es ist, wie bereits in den Vorjahren, von einer höheren Dunkelziffer auszugehen. 

Die Grafik verdeutlicht die gemeldeten Übergriffe. Die Dunkelziffer ist weitaus höher.
Die Grafik verdeutlicht die gemeldeten Übergriffe. Die Dunkelziffer ist weitaus höher.
Antisemitismus Meldestelle
Negativrekord
Negativrekord
Antisemitismus Meldestelle
Verlauf der Zahl der Meldungen.
Verlauf der Zahl der Meldungen.
Antisemitismus Meldestelle

Wenig überraschend war auch das Jahr 2021 besonders stark von der Corona-Pandemie geprägt; allerdings brachten die Wochen rund um die erneute Eskalation zwischen palästinensischen Terrororganisationen in Gaza und dem Staat Israel im Mai einen explosionsartigen Anstieg israelbezogenen Antisemitismus mit sich, dessen Intensität in den vergangenen Jahrzehnten seinesgleichen sucht.

"Opfer und Zeugen rassistischer und antisemitischer Vorfälle zu deren Meldung zu ermutigen, sicherzustellen, dass diesen Meldungen nachgegangen wird, und erforderlichenfalls Unterstützung – auch psychologischer, sozialer und materieller Art – bereitzustellen".

"Impfen macht frei"

Die schon 2020 kreierten "Judensterne" sowie "Impfen macht frei"-Varianten wurden durch weitere Vergleiche mit der Judenverfolgung der Nazis ergänzt. Amtierende Politiker wurden mit NS-Massenmördern verglichen (z. B. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein mit Josef Mengele), Einschränkungen für Ungeimpfte oder auch Eintrittstests mit dem Schicksal von vom NS-Regime verfolgten Jüdinnen und Juden gleichgesetzt, beispielsweise Impfnachweise den NS-Kennkarten für Jüdinnen und Juden gegenübergestellt.

Impf-Sujet im Netz.
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ESRA als psychosoziales Zentrum der IKG Wien bietet seit mehr als drei Jahrzehnten professionelle Betreuung und steht allen Betroffenen offen, die Hilfe im Umgang mit Antisemitismus wünschen, sei es durch ein Gespräch, eine Beratung oder längerfristige Begleitung und Behandlung. Die enge Kooperation zwischen ESRA und der IKG Meldestelle ist in dieser Konstellation einmalig. Die Zusammenarbeit der beiden Institutionen ermöglicht besonders niederschwellige Hilfestellung und in weiterer Folge bestmögliche Unterstützung.

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