Bar Kuperstein verschleppt
"Alptraum" – Tante von Hamas-Geisel gibt nicht auf
Seit über einem Jahr wird Bar Kuperstein (22) von den Hamas als Geisel festgehalten. "Heute" sprach mit seiner österreichischen Tante Marianne.
Sie kamen zeitgleich über das Wasser, aus der Luft und auf dem Landweg: 372 Tage ist es mittlerweile her, dass Hamas-Kämpfer 1.205 Menschen ermordete und 251 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppten. Die Terrororganisation verübte am 7. Oktober 2023 den schwersten Anschlag auf den israelischen Staat seit dessen Gründung.
Noch immer befinden sich 97 Geiseln und von ihnen laut IDF mindestens 34 Tote in der Gewalt der Hamas. Darunter Kinder, junge Frauen, alte Menschen und auch ein junger Mann, dessen österreichische Tante die Hoffnung auf seine Befreiung noch nicht aufgegeben hat. Bar Kuperstein arbeitet am Musikfestival Supernova als Security, um seine Familie finanziell zu unterstützen. Am 1. April wurde Bar Kuperstein in der Gewalt der Terroristen 22 Jahre alt.
Er arbeitete, anstatt zu feiern
"Heute" hat mit seiner Tante Marianne über ihren Neffen, der andere verarztete und ihnen half zu fliehen, sowie die Situation seiner Familie gesprochen.
Ihr Neffe befindet sich mittlerweile seit über 365 Tagen im Gaza-Streifen als Geisel – wie geht man innerhalb der Familie damit um?
Das Leben der Familie hat sich sehr verändert. Der Alltag läuft nur noch nebenbei, wenn überhaupt. Die Sorge zerreißt einen von innen. Oft ist man nur noch verzweifelt. Jeden Tag wacht man in der Hoffnung auf, dass Bar vielleicht heute zurückkommt. Sein Vater investiert in die Physiotherapie und in die Logopädie, um Bar bei seiner Rückkehr stolz zu machen. Alles, was sie sich wünschen, ist, dass Bar nachhause kommt. Vor zwei Wochen war ich in Israel. Ich kann den Moment nicht vergessen, als sich seine Großmutter neben mich gesetzt hat und plötzlich mit Tränen in den Augen seufzte: "Wo ist mein Junge? Hoffentlich ist ihm nicht kalt, hoffentlich hat er etwas zum Essen, er isst doch nicht alles". Es ist so schrecklich. Auch für mich in Wien, ich versuche meinen Alltag so gut es geht normal zu halten, aber die Gedanken an Bar begleiten mich Tag und Nacht. Immer wieder denke ich an ihn, in der Früh, während des Tages und beim Schlafengehen. Immer wieder muss ich schwer aufatmen.
Seine Familie hat viele Schicksalsschläge hinter sich und Bar Kuperstein hat auch aus diesem Grund auf dem Festival gearbeitet. Wie geht es der Familie jetzt?
Bar ist ein Engel. Als sein Vater vor etwas mehr als vier Jahren einen schweren Unfall hatte, war Bar erst 18 Jahre alt. Sein Vater sitzt seit dem Unfall im Rollstuhl und hat Probleme zu sprechen. Er musste mehrere Operationen durchstehen und war ein halbes Jahr im Krankenhaus und dann mehrere Monate in der Reha, bis er halbwegs stabil war wieder nachhause zu kommen. Bar musste über Nacht erwachsen werden und hat sich liebevoll um seine vier jüngeren Geschwister gekümmert und an den Wochenenden gearbeitet, um die Familie auch ein wenig finanziell zu unterstützen. So arbeitete er auch an dem Wochenende des 7. Oktober am Nova-Festival in der Sicherheit.
„Man hat keine andere Wahl, als die täglichen Tränen immer wieder abzuwischen und stark zu sein.“
Die Familie leidet sehr. Zu wissen, dass sich sein geliebtes Kind in der grausamen Gefangenschaft der Hamas befindet, in irgendwelchen unterirdischen Tunneln weit unter der Erde, ist unvorstellbar und nicht zu verkraften. Aber man hat keine andere Wahl, als die täglichen Tränen immer wieder abzuwischen und stark zu sein. Stark für Bar zu sein!
Wie groß ist die Hoffnung, dass Sie ihren Neffen wiedersehen?
Die Hoffnung ist sehr groß. Ich erlaube mir nicht, die Hoffnung aufzugeben und werde sie auch nicht aufgeben. Ich fühle, dass Bar lebt und ich weiß, er kann und wird hoffentlich wieder gesund nachhause gebracht werden. Es darf nicht anders ausgehen. Bar ist so ein toller Mensch, so extrem hilfsbereit und gutmütig, es muss einfach gut für ihn und für uns ausgehen. Etwas anderes möchte ich mir auf keinen Fall vorstellen. Ich kann nur sagen, dass egal, wie lange es dauert, wir als Familie werden nie aufgeben und alles dafür tun, bis er wieder bei uns ist.
Was unternimmt die Familie, um für Bars Freilassung zu kämpfen?
Bars Brüder reisen seit einem Jahr durch ganz Amerika und Kanada, erzählen Bars Geschichte in der Hoffnung auf Hilfe. Seine Mutter war kürzlich in verschiedenen Ländern in Europa und fährt auch durch ganz Israel, um über Bar zu erzählen. Seine Tante und seine Großeltern sind immer wieder im israelischen Fernsehen zu sehen und treffen sich immer wieder mit der israelischen Regierung. Ich versuche so viel wie möglich durch die sozialen Medien auf die Situation aufmerksam zu machen und überlege, was ich noch tun kann. Ich kann einfach nicht verstehen, warum er immer noch nicht zu Hause ist. Wie lange wird dieser Alptraum noch dauern?
„Wie lange wird dieser Alptraum noch dauern?“
Wann hatte die Familie das letzte Mal Kontakt zu ihm?
Den letzten Kontakt zu Bar hatten seine Mutter und seine Großmutter telefonisch, etwa um 7:00 Uhr in der Früh. Zu diesem Zeitpunkt dachte Bar anscheinend noch, dass es unter Anführungszeichen "nur Raketen" seien. In Israel ist man plötzlichen Raketenbeschuss gewöhnt und verlässt sich auf das israelische Abwehrsystem. Er meinte zu seiner Mutter und Großmutter, sie sollen sich keine Sorgen machen, er muss die Notausgänge öffnen und schauen, dass alle Besucher sicher das Gelände verlassen können, dann packt er seine Sachen zusammen und macht sich auf den Heimweg. Doch eine halbe Stunde später gab es bereits keinen Kontakt mehr zu ihm.
Wie haben Sie von der Entführung erfahren?
Gab es seit dem Tag seiner Entführung ein weiteres Lebenszeichen? Hat vielleicht eine der befreiten Geiseln ihn gesehen?
Nein leider nicht.
Ihr Neffe gilt auch als Held des 7. Oktober. Haben Überlebende von seinen Taten erzählt?
Von seinen Heldentaten wissen wir von seinem besten Freund Din. Die beiden arbeiteten zusammen auf dem Nova-Festival in der Sicherheit. Din konnte sich wie aus einem Wunder heraus nach vielen Stunden retten. Jeder, der Nova überlebt hat, gleicht einem kleinen Wunder. Er erzählte, dass Bar zuerst versucht hat, den Verkehr zu regeln. Doch als das erste Auto zurückkam und eine angeschossene Frau darin saß, haben sie verstanden, dass irgendetwas nicht stimmt. Die Hamas hat die Autos auf der Straße abgefangen und alle angeschossen. Plötzlich waren es immer mehr Verletzte und Schüsse fielen aus allen Richtungen. Din erzählte, dass Bar versucht hat, alle Verletzten zu verarzten, mit T-Shirts oder anderen Dingen, die herumlagen, mit allem, was ihm zur Verfügung stand. Er hat versucht, Verletzte zu verstecken und wollte niemanden zurücklassen.
„Bar hat keine Sekunde daran gedacht zu fliehen oder sich selbst zu retten.“
Von einem Vater wissen wir, der Bar auf einem Foto erkannt hat, dass er mit Bar telefoniert hat, als Bar versucht hat, die Blutung auf dem angeschossenen Bein seiner Tochter zu stillen. Bar schrie noch ins Telefon: "Auf keinen Fall herkommen, es ist lebensgefährlich." Im Laufe des Gefechts öffnete er mit Din noch den Notausgang in Richtung des Ortes Patisch. Die meisten, die sich retten konnten, sind in Richtung dieses Ortes gelaufen. Bar hat keine Sekunde daran gedacht zu fliehen oder sich selbst zu retten, er stellte sich seiner Verantwortung und schloss sich auch der wenigen Polizei vor Ort an, in der Hoffnung, sie hätten eine Chance. Davon gibt es verschiedene Fotos.
Wie werden Sie unterstützt?
Ich muss sagen, ich fühle mich nicht alleine, die jüdische Gemeinde ist großartig. Der Zusammenhalt in der Gemeinde in Wien und auch außerhalb Österreichs ist groß und verbindet. Man verspürt eine berührende Verbundenheit. Auch außerhalb der Gemeinde gibt es Menschen, die immer wieder versuchen zu unterstützen. In Wien konnten einige Kundgebungen und Veranstaltungen organisiert werden, um auf die verschleppten Geiseln aufmerksam zu machen. Leider wird über sie nicht viel berichtet. Mir ist es wichtig, die Gesichter der Geiseln zu zeigen und auf den Menschen dahinter aufmerksam zu machen. Sie dürfen in diesem ganzen Chaos nicht in Vergessenheit geraten. Es handelt sich um Menschen mit individuellen Geschichten und einem besonderen Platz im Herzen ihrer Familien.
Was erwarten Sie sich von der Regierung, von den Menschen?
Ich erwarte mir, dass alles, absolut alles dafür getan wird, um alle Geiseln wieder nachhause zu bringen. Und zwar alle, unter den Geiseln sind immer noch junge Mädchen, ein Baby und Menschen, die dringend medizinisch betreut werden müssen. In dem ganzen Jahr durfte nicht einmal das rote Kreuz zu einem der Geiseln. Am 7.10.23 hat Israel eines die schlimmsten Massaker der Geschichte erlebt, die Shoah im eigenen Land. Tausende Menschen wurden grausam ermordet, verbrannt, vergewaltigt und zerstückelt. Monate konnten Leichen deswegen nicht identifiziert werden. Es ist unmöglich für mich den Schmerz in Worte zu fassen, wenn ich daran denke, geschweige denn das Passierte zu verarbeiten. Wenige haben überlebt und wurden in den Gazastreifen verschleppt. Wir dürfen diese Menschen nicht verlieren, sie sind der einzige Trost, den wir haben, sie müssen zurückkommen. Hinter jeder Geisel steht eine Familie, die sie über alles liebt und sie vermisst. Ich bin enttäuscht, dass die Welt nicht geschlossen für die Rückkehr der Geiseln einsteht und alles Nötige dafür tut, unsere Liebsten nachhause zu bringen. Hier geht es nicht um einen Konflikt, hier geht es um grausamen Terror. Außer Bar sind immer noch fast 100 Menschen in Gefangenschaft. Es muss alles dafür getan werden, sie zu befreien, bevor es zu spät ist, dafür bete ich Tag und Nacht.
Auf den Punkt gebracht
- Seit über einem Jahr wird Bar Kuperstein (22) von der Hamas als Geisel festgehalten, und seine österreichische Tante Marianne hat die Hoffnung auf seine Befreiung nicht aufgegeben
- Die Familie leidet sehr unter der Situation, kämpft jedoch unermüdlich für Bars Freilassung und versucht durch verschiedene Aktionen, international Aufmerksamkeit auf sein Schicksal zu lenken