Politik

Alma Zadic: "Der Hass ist regelrecht explodiert"

Heute Redaktion
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Seit Tagen steht Alma Zadic unter Polizeischutz. Grund dafür ist ein Shitstorm gegen sie. Sonntagabend erst wurde die nächste Morddrohung gegen sie publik. Was die Justizministerin dazu sagt.

Justizministerin Alma Zadic steht nach einer regelrechten Hetzkampagne seit Tagen unter Polizeischutz. Mit "Heute" spricht sie über diese "Angriffe" und über ihre Ziele als Ministerin.

"Heute": Frau Ministerin, es gibt eine Parallele zwischen Ihnen und Alexander Van der Bellen. Die heißt Peter Pilz, der Sie beide in die Politik geholt hat. Pilz ist heute ein scharfer Kritiker der türkis-grünen Koalition. Wie stehen Sie jetzt zu ihm?

Alma Zadic: Angesprochen hat mich damals, 2017, Stephanie Cox (Ex-Abgeordnete der Liste Pilz, Anm.), mit der ich schon länger befreundet war. Ich hab dann ein Wochenende überlegt und beschlossen, meinen Anwaltsjob zu verlassen und das Angebot für einen Listenplatz angenommen, weil ich etwas gestalten und verändern wollte. Mit Peter Pilz hatte ich immer ein gutes Arbeitsverhältnis. Er ist ein angesehener Parlamentarier, der seit 30 Jahren in der Politik ist. Seine Verdienste im Parlament können sich durchaus sehen lassen.

Sie waren zuletzt Gegenstand von Hasspostings. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat gesagt, wenn man in der Politik ist, muss man das aushalten. Muss man das aushalten?

Ab dem Moment, in dem ich in die Politik gegangen bin, gab es vor allem in den sozialen Medien immer wieder Hasspostings, Beleidigungen und Vieles mehr. Aber ab dem Zeitpunkt, als ich als Kandidatin für die Justizministerin verstärkt in der Öffentlichkeit war, ist das regelrecht explodiert. Auf der einen Seite ist es gut und richtig, wenn man in der Politik einer kritischen Öffentlichkeit ausgesetzt ist. Andererseits will ich davon die rassistischen und diskriminierenden Angriffe unterscheiden, die ja nicht nur mir, sondern ganz vielen Menschen entgegengebracht werden. Ich finde, Rassismus und Diskriminierung sollte niemand aushalten müssen. Das ist eine Herabwürdigung von Menschen. Dagegen werden wir gemeinsam vorgehen. Dafür gibt es auch im Regierungsprogramm genügend Anhaltspunkte.

Welche rechtlichen Verschärfungen planen Sie?



Bei den Bestimmungen zu Hass im Netz haben wir sehr konkrete Pläne. In Fällen von Hasskriminalität soll es eine Ermittlungspflicht geben. Die Rechtsdurchsetzung, die bisher in diesen Fällen nicht sehr erfolgreich ist, muss erleichtert werden. Es gibt viele Delikte, aber derzeit ist es ein harter Weg, bis es zu einer Anklage kommt.

Was sind die größten Hindernisse?

Viele dieser Delikte sind Privatanklagedelikte. Das heißt, dass die Betroffenen das Kostenrisiko zu tragen haben. In bestimmten Fällen von Hasskriminalität überlegen wir deshalb eine Ermittlungspflicht, insbesondere zur Ausforschung der Beschuldigten, diese Kosten müssten die Betroffenen oftmals selbst tragen. Wenn Beamte von Hassdelikten betroffen sind, können diese schon jetzt die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen ermächtigen. Privatpersonen hingegen sind selbst verantwortlich für Verfolgung, Ausforschung und die gesamte Ermittlung, sie tragen die Kosten. Hier will ich eine Verbesserung. Das Zweite: Viele dieser Delikte passieren auf den großen Plattformen Facebook, Google und anderen. Wir wollen die Kooperation mit diesen Plattformen verstärken. Es gibt ein Übereinkommen zwischen dem Justizministerium und Facebook. Hier möchte ich ansetzen und bei Morddrohungen und Verhetzung sollten Facebook und Google diese Vorfälle von sich aus den Strafbehörden melden.

Frage: Man will den Druck auf Google und Facebook erhöhen?

Wichtig ist, Facebook und Google in die Pflicht zu nehmen und genauestens zu evaluieren, was bisher nicht funktioniert hat und was verbessert werden soll.

Die türkis-blaue Regierung hatte die Idee einer Klarnamenpflicht. Ist das ein Thema für Sie?

Eine Klarnamenpflicht würde aus meiner Sicht nichts bringen. Gerade bei Hass im Netz sieht man, dass vieles unter Klarnamen geschrieben wird. Diese Personen haben das Gefühl, dass ihnen im digitalen Raum nichts passieren könne. Verhetzung oder Morddrohung ist aber auch im digitalen Raum strafbar. Wo wir aber hinter hinterherhinken, ist die die Ermittlung und Ausforschung der Täter.

Auch Ihre nunmehrige Parteikollegin Sigrid Maurer hat die von ihr empfangenen Nachrichten in den Medien thematisiert. Was muss passieren, damit, Frauen nicht mehr darauf angewiesen sind, sich selbst gegen Hassnachrichten zu wehren?



Man muss schauen, wie man das Recht leichter durchsetzen kann. Deswegen sollen die Strafverfolgungsbehörden bei Hasskriminalität im Internet zu Ausforschung verpflichtet werden. Damit man als Opfer nicht mehr nur auf die Privatanklage angewiesen ist. Und es ist wichtig, die Ermittlungsbehörden und Staatsanwälte darauf zu sensibilisieren und spezialisieren.

Sie selbst wurden nicht strafrechtlich, aber medienrechtlich in erster Instanz wegen übler Nachrede verurteilt. Grund war, dass Sie zum Bild eines die Hand hebenden Burschenschafters "Keine Toleranz für Neonazis, Faschisten und Rassisten" posteten. Der Burschenschafter erklärte, er habe nicht den Hitler-Gruß gemacht, sondern nur jemandem gewunken. Bereuen Sie dieses Posting?

Als das Bild durch die Medien gegangen ist, hat es für viele den Eindruck erweckt, als würde er den Hitler-Gruß zeigen. Mir war wichtig, klarzustellen, dass Faschismus keinen Platz in Österreich hat. Dafür werde ich auch in Zukunft aufstehen. Das erstinstanzliche Urteil nehme ich zu Kenntnis, gehe aber in Berufung. Es ist ein medienrechtliches Urteil und keine strafrechtliche Verurteilung. Denn dafür hätte man nachweisen müssen, dass ich den Tatbestand der üblen Nachrede auch subjektiv erfüllt hätte.

Vorgeworfen wurde Ihnen, dass Sie in Graz das islamische Kulturzentrum, das auch salafistische Predigern Raum gegeben haben soll, besucht haben. War dieser Besuch ein Fehler?

Das war eine Wahlkampfveranstaltung wie viele andere. Diese Moschee wird von sehr vielen Politikern besucht, auch von ÖVP und SPÖ. Es hat dort vor Jahren gewisse Geschichten gegeben, es ist aber viel reformiert worden.

Wie sehen in diesem Zusammenhang das Regierungsprogramm, in dem viel von politischem Islam die Rede ist? Man könnte fast den Eindruck bekommen, als sei dies der einzige Extremismus, mit dem wir uns plagen müssen.

Wir planen auch ein sehr umfangreiches Paket gegen Rechtsextremismus.

Im Koalitionsprogramm finden sich einige sehr ehrgeizige Passagen in Richtung Transparenz. Was planen Sie da?

Es ist wichtig, das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen. Deshalb haben wir das Informationsfreiheitsgesetz und das Parteiengesetz sehr genau ausverhandelt, damit wir es schnell auf den Weg bringen können.

Was heißt das konkret?

Beim Parteiengesetz werden wir die Einschaurechte des Rechnungshofes wesentlich verbessern. Bei konkreten Anhaltspunkten kann sich der Rechnungshof die Parteifinanzen jederzeit genauer anschauen. Die Rechenschaftsberichte der Parteien entwickeln wir zu einer Art Bilanz weiter. Jedes Unternehmen muss Bilanz legen – warum nicht auch Parteien?

Wie sieht es mit Konsequenzen aus, wenn eine Partei sich nicht an die Spielregeln hält?

Wir planen eine Verschärfung der Strafen, wenn es zu einer Überschreitung der Wahlkampfkosten kommt. Diese Strafen werden nahezu verdoppelt, damit klar wird – eine Überschreitung der Wahlkampfkosten rentiert sich nicht.

Bei Verdachtsmomenten darf der Rechnungshof die Bücher der Parteien überprüfen. Wie soll der Rechnungshof denn auf diese Verdachtsmomente kommen?

Bereits jetzt prüft der Rechnungshof die Rechenschaftsberichte der Parteien. Jeder Wirtschaftsprüfer kann Ihnen bestätigen, dass sich im Fall des Falles bereits aufgrund der Rechenschaftsberichte Ungereimtheiten feststellen lassen. Und dann darf der Rechnungshof eben eine genauere Überprüfung vornehmen und in die Bücher der Parteien einsehen.

Die Regierung will das Amtsgeheimnis abschaffen und eine Informationspflicht für die Behörden einführen. Wie sollen die Bürger diese Informationspflicht durchsetzen?

Derzeit ist das Amtsgeheimnis in der Verfassung verankert. Wir brauchen also eine Verfassungsmehrheit, um das Amtsgeheimnis abzuschaffen. Wir werden dazu Gespräche mit allen Parlamentsparteien führen. Zusätzlich wollen wir das Recht auf Information in Verfassungsrang stellen.

Und wenn die Behörden weiter mauern und die Information nicht herausgeben wollen?

Die Datenschutzbehörde soll um eine Service- und Anlaufstelle ergänzt werden. Dorthin werden sich die Behörden wenden können, um klären zu lassen, ob und in welcher Form sie eine Information veröffentlichen müssen. Es werden einheitliche Standards geschaffen. Zudem bekommen die Bürgerinnen und Bürger Rechtsschutz. Das heißt, das Recht auf Information wird einklagbar sein. Und wir wollen die Entscheidungsfristen verkürzen.

Wie kann man sich ein Verfassungsgesetz zur Informationsfreiheit vorstellen? Steht dann in der Verfassung: Der Bürger darf alles wissen, was im Staat passiert?

So wird das wohl nicht formuliert werden. Und es wird auch Ausnahmen geben, beispielsweise wenn es um die öffentliche Sicherheit geht. Oder wenn durch die Informationsveröffentlichung erheblicher Schaden droht.

Bis wann soll all das umgesetzt werden?

Wir werden die ersten Schritte bereits sehr bald setzen. Entscheidend ist es, in Gespräche mit den anderen Parlamentsparteien einzutreten. Das wird sehr rasch passieren.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ist dringend reformbedürftig. Doch hier liegen alle Agenden bei der ÖVP.

Wir haben im Regierungsprogramm klar festgelegt, dass das BVT reformiert werden soll. Zuständig ist der Innenminister, und das wird er auch angehen. Sobald es um den Rechtsschutz im Rahmen der Gerichte geht, wird sich die Justiz einschalten.

Im Vorjahr gab es aufsehenerregende, auch mit gegenseitigen Anzeigen ausgetragene Konflikte im Bereich des Justizressorts, beispielsweise zwischen dem Chef der Strafrechtssektion und der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Werden Sie einen Generalsekretär installieren, der Ihnen unter anderem auch in solchen Fragen zur Hand geht?

Ich habe bereits am Tag meines Amtsantritts ein umfassendes Gespräch mit allen Sektionschefs geführt. Das Haus ist hervorragend aufgestellt. Es herrscht hohe Qualität und Professionalität. Ich werde auch mit der Korruptionsstaatsanwaltschaft umfassende Gespräche führen. Die gegenseitigen Anzeigen haben natürlich zu einem Vertrauensverlust geführt. Es gab bereits Vorarbeiten zur Lösung dieser Konflikte, um gemeinsam gestärkt weiter arbeiten zu können.

Werden Sie einen Generalsekretär bestellen?

Dazu habe ich mir noch keine abschließende Meinung gebildet. Das muss nicht sofort sein. Ich werde jedenfalls ein sehr schlankes Kabinett haben und eng mit den Sektionschefs zusammenarbeiten.

Die Grünen waren immer für die Einsetzung eines unabhängigen Bundesstaatsanwaltes. Jetzt ist alles wie gehabt: Die Ministerin ist an der Spitze der Weisungskette. Ist das in Ordnung für Sie?

Wir Grünen haben tatsächlich immer einen Bundesstaatsanwalt gefordert. Das ist bei der ÖVP aber nicht auf offene Ohren gestoßen. Im Regierungsprogramm ist aber verankert, dass die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft gestärkt werden soll. Wir wollen uns genau ansehen, wie die Weisungswege und die Berichtspflichten ausgestaltet sind und ob es Entlastungsmöglichkeiten gibt. Es geht darum, dass die Staatsanwälte gestärkt und unabhängig arbeiten können.

Warum ist es der ÖVP so wichtig, dass das Weisungsrecht beim Justizminister bleibt?

Da müssen Sie die ÖVP fragen.

Erstes großes Reizthema der noch jungen Bundesregierung war die Sicherungshaft. Prominente Juristen sagen, das lasse unsere Verfassung nicht zu. Wie ist Ihr Standpunkt?

Wir planen jedenfalls keine Kickl'sche Sicherungshaft. Die Sicherungshaft war der ÖVP sehr wichtig und ist deshalb im Programm enthalten. Uns war wichtig, dass jede Form der Sicherungshaft nur in einer sehr engen Einbettung kommen darf, verfassungskonform, menschenrechtskonform und dem EU-Recht entsprechen. Nur im Rahmen dieser drei Parameter wird geprüft, ob wir die Sicherungshaft brauchen, um Lücken zu schließen. Das werden wir mit Expertinnen und Experten, Verfassungsjuristen und Menschenrechtlern prüfen.

Wenn man die Verfassung ändert, wird es logischerweise verfassungskonform. Schließen Sie eine Änderung des Bundesverfassungsgesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit aus?

Zunächst müssen wir schauen, ob es Lücken gibt.

Es steht im Regierungsprogramm, dass es im Strafrecht Lücken betreffend den politischen Extremismus gibt. Wo sehen Sie diese Lücken?

Im Programm steht Evaluierung und Präzisierung. Dementsprechend wird das von mir auch geprüft und gegebenenfalls präzisiert werden.

Ein Dauerbrenner in der Justiz sind überlange Verfahren, Stichwort Karl-Heinz Grasser. Was könne Sie tun, damit es nicht mehr zu diesen ewigen Verfahren kommt?

Es ist ein Fakt, dass gerade bei sehr prominenten Verfahren die Ermittlungen zu lange dauern. Wir werden evaluieren, warum es zu diesen überlangen Verfahren kommt und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.

Im Regierungsprogramm werden höhere Zahlungen für Angeklagte bei Freispruch angekündigt. Was schwebt Ihnen da vor? Eine höhere Pauschale oder eine Erstattung der tatsächlichen Kosten?

Wir haben den Tierschützerprozess gesehen, die Existenzen zerstört haben. Es wird eine Erhöhung der Pauschale sein.

Wie hoch?

Die Budgetverhandlungen stehen noch aus.

Apropos Budget – Ihr Vorgänger Clemens Jabloner hat vor dem stillen Tod der Justiz gewarnt. Wie viel Geld brauchen Sie mehr?

Ich habe mir ein umfangreiches Bild gemacht und werde bestens vorbereitet in die Budgetverhandlungen gehen. Ich möchte hier aber nicht vorgreifen.

Sie sind als zehnjähriges Flüchtlingskind nach Österreich gekommen, jetzt sind Sie Ministerin. Was sagen Sie Flüchtlingskindern von heute? Was müssen sie tun, um 25 Jahre später Minister oder Ministerin zu werden?

Dranbleiben, hartnäckig sein, nicht aufgeben, aufstehen, auch wenn man fällt. Immer wieder. Und immer wieder.