Je mehr jemand trinkt, desto mehr steigt auch das Krebsrisiko.
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Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird nirgendwo auf der Welt so viel Alkohol getrunken wie in Europa. In Österreich beträgt die jährliche Pro-Kopf-Menge laut WHO-Report rund 12 Liter reiner Alkohol. Der Alkoholkonsum liegt damit deutlich über dem Durchschnitt der Europäischen Region. Die Folgen sind vielfältig: Lebererkrankungen, Bluthochdruck, Alkoholsucht, Impotenz, Depressionen und verschiedene Krebsarten. Um Konsumenten eindringlicher auf die Risiken des Alkoholkonsums hinzuweisen, rät die WHO zu Warnhinweisen auf diversen Gebinden.
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Alkohol Krebs durch mindestens fünf verschiedene Mechanismen fördert. Das Krebsrisiko steigt, je mehr jemand trinkt. Und die krebserregende Wirkung von Alkohol kann bei Menschen mit einer genetischen Veranlagung für Krebs stärker ausgeprägt sein.
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Erster Mechanismus
Alkoholische Getränke enthalten Ethanol, auch Ethylalkohol genannt. Dieser spielt eine zentrale Rolle beim ersten Mechanismus, durch den Alkohol Krebs verursacht. Ethanol kann die DNA-Methylierung stören, ein Prozess, bei dem sich Moleküle an DNA-Moleküle anlagern und so bestimmen, ob ein Gen aktiv ist. Es gibt Gene, die für die Unterdrückung des Tumorwachstums verantwortlich sind, und die Forschung zeigt, dass die Methylierung eines solchen Gens es effektiv "ausschaltet", was zur Tumorentwicklung führt.
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Zweiter Mechanismus
Zweitens bleibt Ethanol auch dann problematisch, wenn der Körper beginnt, es abzubauen. Zunächst wandelt ein Enzym es in eine Chemikalie namens Acetaldehyd um. "Sowohl Ethanol als auch Acetaldehyd sind krebserregend und können Krebs verursachen, wenn sie mit der Mund-, Rachen- oder Speiseröhrenschleimhaut in Berührung kommen", sagte Dr. Noelle LoConte, außerordentliche Professorin für Medizin an der University of Wisconsin School of Medicine and Public Health, in einer E-Mail gegenüber Live Science. Wie Ethanol kann auch Acetaldehyd die DNA-Methylierung stören.
Ein dritter Mechanismus betrifft schädliche Moleküle, die sogenannte reaktive Sauerstoffspezies (ROS). Diese Moleküle sind natürliche Nebenprodukte des Zellstoffwechsels, aber wenn sich zu viele davon ansammeln, kann dies oxidativen Stress verursachen, der die DNA schädigt. Untersuchungen haben gezeigt, dass starker Alkoholkonsum den Spiegel des Enzyms CYP2E1 in der Speiseröhre erhöht. Normalerweise verstoffwechselt dieses Enzym Medikamente. Hohe CYP2E1-Spiegel erhöhen die Produktion von DNA-schädigenden ROS, was zu Genmutationen und Tumoren führt. ROS stören auch das Zellverhalten, was dazu führt, dass sich Zellen unkontrolliert vermehren und ausbreiten. In der Leber lösen ROS die Produktion von Entzündungsstoffen und des Faserproteins Kollagen aus, was zur Vernarbung der Leber (Leberzirrhose) führt. Dies erhöht wiederum das Risiko von Leberkrebs.
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Vierter Mechanismus
Ein vierter Mechanismus betrifft die Wirkung des Alkohols auf den Östrogenspiegel. "Alkohol erhöht den Östrogenspiegel im Blut … und ist der 'Treibstoff' für einige Arten von Brustkrebs", erklärte LoConte. Wissenschaftler glauben, dass, wenn Tumorzellen einen Rezeptor haben, an den sich Östrogen andocken kann, sich Östrogen daran heftet und die Tumorzelle aktiver machen kann, was ihr Wachstum und ihre Ausbreitung beschleunigt. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Alkohol die Bildung von Brusttumoren auslösen und auch bestehenden Brustkrebs verschlimmern kann.
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Fünfter Mechanismus
Ein fünfter Mechanismus deutet darauf hin, dass Alkohol als Lösungsmittel für krebserregende Moleküle aus anderen Quellen, wie etwa Tabakrauch, wirken kann. Diese schädlichen Partikel lösen sich im Alkohol auf, und das erleichtert ihnen das Eindringen in verschiedene Gewebe und verursacht dort DNA-Schäden. Dieser Effekt erhöht insbesondere das Krebsrisiko im Mund- und Rachenraum.
Im Vergleich zu Mund-, Rachen- und Leberkrebs sei der Zusammenhang zwischen Alkohol und Dickdarm- und Mastdarmkrebs "weniger klar", bemerkte LoConte. "Aber wir glauben, dass es etwas mit dem Folsäurestoffwechsel zu tun haben könnte." Folsäure ist ein wichtiger Nährstoff, der bei der Bildung von Blutzellen hilft und auch an der DNA-Methylierung beteiligt ist. Zu viel Alkoholkonsum kann jedoch den Folsäurespiegel im Körper senken. Dieser durch Alkohol verursachte Folsäuremangel kann zu DNA-Schäden und in der Folge zu Krebs führen.
Interessanterweise ergab eine Studie, dass Menschen, die Alkohol tranken, aber durch Ernährung und Nahrungsergänzung einen hohen Folsäurespiegel hatten, ein geringeres Risiko hatten, an Leberkrebs zu erkranken, als Menschen, die zwar Alkohol tranken, aber wenig Folsäure zu sich nahmen. Und mehrere Studien legen nahe, dass eine hohe Folsäurezufuhr bei Menschen, die mittlere bis hohe Mengen Alkohol konsumieren, vor Dickdarmkrebs schützen könnte.
Bier, Wein oder Schnaps – welchen Alkohol man trinkt, macht keinen Unterschied. Denn Untersuchungen legen nahe, dass der Zusammenhang zwischen Alkohol und Krebsrisiko bei allen Arten alkoholischer Getränke besteht. Mit anderen Worten: Wenn es um Alkohol und Krebs geht, gibt es keine wirklich "sichere" Menge. Das bedeutet nicht, dass jeder, der eine beliebige Menge trinkt, garantiert Krebs bekommt. Vielmehr hängt das Risiko einer Person, an Krebs zu erkranken, von vielen Faktoren ab, wie etwa der Krankheitsgeschichte in der Familie, dem allgemeinen Gesundheitszustand und den Lebensgewohnheiten wie Rauchen oder Ernährung. Was aber auch feststeht: Je weniger Alkohol man trinkt, desto besser ist es.