Dschihadistische Rebellen erobern im Norden Syriens immer mehr Landesteile. Die zweitgrößte Stadt des Landes mit über zwei Millionen Einwohnern soll nun unter ihrer Kontrolle sein: "Erstmals seit Beginn des Konflikts im Jahr 2012 ist die Stadt Aleppo nicht mehr unter der Kontrolle der syrischen Regimekräfte", sagte der Chef der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP.
Die Beobachtungsstelle mit guten Kontakten zu Zivilpersonen und anderen Quellen in Syrien hat ihren Sitz in London. Ihre Angaben sind für Medien schwer überprüfbar, gelten aber als plausibel.
Aleppo war bis zu seiner Rückeroberung durch die Regierungstruppen von Machthaber Baschar al-Assad 2016 Schauplatz erbitterter Kämpfe während des Bürgerkrieges. Aktuelle Bilder und Videoaufnahmen zeigen unter anderem Regierungsgegner in Militärfahrzeugen in der nordwestlichen syrischen Provinz Idlib.
Neben Aleppo haben die Truppen des syrischen Diktators Assad innerhalb weniger Tage auch Hunderte weitere Städte und Dörfer verloren. Hinter der Anti-Assad-Offensive stehen mehreren Rebellengruppen. Die schlagkräftigste unter ihnen ist der ehemalige Al-Qaida-Ableger HTS (Hayat Tahrir al-Sham), der später gegen IS-Terroristen kämpfte.
Zusammen mit Russland und dem Iran kontrollierte die syrische Regierung zuletzt rund zwei Drittel des Landes. Die Kämpfe im Nordwesten stellen eine neue Eskalation in dem seit 2011 dauernden Bürgerkrieg dar. Bei den heftigsten Gefechten seit 2020 wurden laut der Beobachtungsstelle bisher mehr als 320 Menschen getötet, darunter 44 Zivilisten und Zivilistinnen.
Im Osten Syriens herrschen die mehrheitlich kurdischen SDF (Demokratische Kräfte Syriens), die von den USA unterstützt werden. Dazu kommen weitere Gruppen, die von der Türkei unterstützt werden. Sie kämpfen nicht nur gegen Assad, sondern auch gegen die Kurden.
In der Nacht auf Sonntagfrüh habe es russische Angriffe in den Provinzen Idlib und Hama sowie in Aleppo gegeben, teilte die Beobachtungsstelle weiter mit. Erstmals seit 2016 flog Russland am Wochenende wieder Luftangriffe auf Ziele in Aleppo.
Oleg Ignasjuk, stellvertretender Leiter der russischen Mission in Syrien, erklärte am Samstag, bei Attacken russischer Kampfjets seien rund 300 Kämpfer getötet worden. Es seien Befehlsstellen, Artilleriestellungen und Lager der Rebellen angegriffen worden.
Der Iran sicherte unterdessen der Führung in Damaskus seine Unterstützung zu. Er werde nach Damaskus reisen, um der syrischen Regierung und ihren Streitkräften die Botschaft der Unterstützung seines Landes zu "übermitteln", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur IRNA am Sonntag den iranischen Außenminister Abbas Araktschi vor dessen Abreise. Er sei sicher, dass die syrische Armee "diese terroristischen Gruppen" erneut besiegen werde.