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AK-Präsidentin: "Haben Versorgungskrise in Spitälern"

Renate Anderl spricht nun Klartext zum Pflegenotstand. "Mit mehr Gehalt alleine ist es nicht getan", sagt die AK-Präsidentin. Das "Heute"-Interview:

Nicolas Kubrak
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AK-Präsidentin Renate Anderl spricht in "Heute" über den Peronalnotstand in der Pflege.
AK-Präsidentin Renate Anderl spricht in "Heute" über den Peronalnotstand in der Pflege.
AK/Alissar Najjar, iStock – Montage "Heute"

"Heute": Frau Präsidentin, wie ist es dazu gekommen, dass es in Österreich jetzt so eine große Personalnot in Pflegeberufen gibt?
Renate Anderl: Vorweg ist mir eines wichtig: Ganz viele Menschen arbeiten mit viel Herz in Pflegeberufen, und sie bekommen von den Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen viel gutes Feedback. Das sind so wichtige und sinnvolle Berufe, es liegt mir viel daran, das zu betonen. Und weil diese Arbeit so wichtig ist, muss man vieles verbessern.

Handelt es sich bei der Knappheit um eine Folge der Pandemie?
Die Personalnot war absehbar und schon vor der Krise da. Ihre Ursache liegt einerseits in der demografischen Entwicklung. Wir alle werden älter und die Baby-Boomer-Generation geht in Pension, darunter auch viele Pflegekräfte. Hinzu kommt, dass viele diesen Bereich verlassen, weil es auf Dauer sehr belastende Tätigkeiten sind, mit oft schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Einkommen.

Wo genau liegen die Probleme im Pflegebereich? Sind die Gehälter zu niedrig oder spielt eine psychische Überlastung mit?
Durch die Corona Pandemie haben sich physische und psychische Belastungen massiv verschärft. Nur mit mehr Personal und mit besseren Arbeitsbedingungen wird man dem beikommen. Es dürfen zum Beispiel keine Nachtdienste alleine stattfinden, für das Einspringen muss es Zeitzuschläge geben. Auch Maßnahmen, um Berusfs- und Privatleben zu vereinbaren, sind nötig.

Wo kann man da genau ansetzen?
Man muss an vielen Rädern gleichzeitig drehen, um Verbesserungen zu erreichen. Mehr Bezahlung ist immer gut und anerkennt diese wichtige Arbeit. Es reicht aber allein nicht aus. Auch die Ausbildung muss attraktiver werden, um mehr Menschen zu motivieren, einen Pflegeberuf zu ergreifen. Hier muss es ein Ausbildungsgeld geben, von dem man während der Ausbildung leben kann.

Welche Konsequenzen hat der aktuelle Pflegenotstand für den normalen Bürger?
Die Menschen in unserem Land spüren den Pflegenotstand täglich. In Krankenhäusern werden Abteilungen geschlossen oder können erst gar nicht eröffnet werden, weil zu wenig Personal da ist, Operationen werden verschoben. Im Bereich der Langzeitpflege gibt es Tausende leere Pflegebetten, weil zu wenig Personal da ist. Wenn man mobile Betreuung oder Pflege zu Hause braucht, gibt es lange Wartelisten.

Wieso verlassen immer mehr Personen diese Branche? Was kann man tun, um dies zu verhindern?
Wie schon gesagt, die physischen und psychischen Belastungen waren bereits vor der Corona-Pandemie enorm. Nach über zwei Jahren Ausnahmenzustand im Gesundheits- und Langzeitpflegeberich hat sich für die Beschäftigten nichts getan. Die Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, haben keine Hoffnung mehr, dass sich ihre Situation verbessert. Deshalb ist es nötig, dass rasch die ersten Schritte für eine Pflegereform gesetzt werden, um die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen zu verbessern. Nur ernsthaftes Bemühen kann dazu führen die Abwanderung der Beschäftigten aus dieser so wichtigen Branche zu beenden.

Wie kann man diese Berufe für junge Menschen wieder attraktiver machen?
Die Berufe an sich sind attraktiv, weil sie sinnstiftend und sichere Berufe sind. Wir brauchen mehr Angebote, die es jungen Menschen ermöglichen, gleich nach der Pflichtschule in eine Ausbildung zu gehen. Die ersten Pilotprojekte für berufsbildende mittlere und höhere Schulen sind vielversprechend. Aber es gibt zu wenig davon und sie sind oft nicht kostenfrei. Dieser Schultyp für Gesundheitsberufe muss daher österreichweit ausgebaut und ins Regelschulwesen überführt werden – und der Schulbesuch darf natürlich nichts kosten.

Etwa 80 Prozent der Beschäftigten im Pflegebereich sind Frauen. Warum?
Das hat mit unseren traditionellen Rollenbildern zu tun: Pflege ist weiblich und zum Beispiel Sicherheit, wie Polizei oder Bundesheer, sind männlich konnotiert.

Wie viele Personen fehlen derzeit in Pflegeberufen?
Viele, konkrete österreichweite Erhebungen fehlen.

"Wir haben jetzt schon eine Versorgungskrise in den Krankenhäusern und in der Altenpflege."

Laut Gesundheit Österreich GmbH, die im Auftrag des Sozialministeriums 2019 eine Studie erstellt hat, werden bis 2030 ca. 76.000 Pflegekräfte fehlen? Was kann man dagegen unternehmen?
Mehr Ausbildungsplätze schaffen: BMS/BHS Schulen für Gesundheitsberufe österreichweit ausrollen und mehr Angebote auf FH Ebene schaffen. Besonders wichtig ist, dass man sich die Ausbildung auch leisten kann. Das bedeutet die Einführung eines existenzsichernden Ausbildungsgeldes. Um die Menschen nach der Ausbildung auch in den Berufen halten zu können braucht es bessere Arbeitsbedingungen. Am Ende des Arbeitslebens muss das berühmte Licht am Tunnel erkennbar sein, das bedeutet wir brauchen einen besseren Zugang zu Schwerarbeitspension für Beschäftigte die jahrelang in der Pflege gearbeitet haben. In der Pflege arbeiten über 80 Prozent Frauen, deren Zugang zur Alterspension zwischen 2024 und 2033 auf das 65. Lebensjahr ansteigt. Nach jahrelanger Personalnot und Pandemie haben es sich diese Frauen nicht verdient, auch noch mit einem höheren Pensionsalter bestraft zu werden.

Angenommen es wird nichts unternommen, um die Probleme zu lösen: Was würde uns da erwarten?
Wir haben jetzt schon eine Versorgungskrise in den Krankenhäusern und in der Altenpflege. Tausende leere Betten und geschlossene Abteilungen zeugen davon. Die Beschäftigten sprechen jetzt schon von "gefährlicher" Pflege, weil sie aufgrund des Personalmangels nicht so arbeiten können, wie sie es gelernt haben. Fehler bei der Arbeit können nicht mehr ausgeschlossen werden. Das alles würde sich verschärfen, und die Gesellschaft trägt diesen enormen Schaden, indem sich zu guter Letzt unsere Lebensdauer verkürzen und unsere Lebensqualität verschlechtern wird.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft im Pflegebereich aus?
Wenn ausreichend Investitionen in den Ausbau der Versorgung, in die Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen getätigt werden, sieht es für die Bevölkerung und die Beschäftigten gut aus. Diese Investitionen bringen nicht nur gute und sichere Arbeitsplätze, die auch positive wirtschaftliche Auswirkungen haben werden, sondern sichern der Bevölkerung eine gute Gesundheitsversorgung und Betreuung im Alter.

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf das Personal aus?
Die Corona- Krise verschärft die Belastungen massiv. Unsere Umfrage im Sommer 2021 hat ergeben, dass rund 7 von 10 Beschäftigten Depressionssymptome wie permanente Erschöpfung und Ermüdung aufweisen. Rund die Hälfte der Befragten leidet an Vergesslichkeit, Schlafproblemen und Konzentrationsstörungen. Das kann natürlich auch die Sicherheit der Patient:innen und Klient:innen beeinflussen.

Und im Sommer 2021, in dem die Pandemie auch kurz eine Pause einlegte, dachten 4 von 10 Beschäftigten einmal oder öfter im Monat daran, aus dem Beruf auszusteigen. Umso wichtiger ist es, sofort mit der Pflegereform zu starten, um die noch verbleibenden Beschäftigten zu halten und potentielle EinsteigerInnen für Pflegeberufe zu motivieren.

Die Corona-Zahlen sind auf Rekordniveau. Trotzdem meinte GECKO-Leiter Rudolf Striedinger in einem Interview mit dem "Profil": "Die Überlastung des Gesundheitssystems ist in keinem Bundesland absehbar", daher brauche es keine neuen Corona-Regeln. Stimmen Sie ihm da zu?
Nein, dem ist nicht zuzustimmen. Vielleicht sollte man die Beschäftigten, deren VertreterInnen oder jene Menschen fragen, deren Operationen, Therapien etc. verschoben werden. Die gesamten gesundheitlichen Folgen sind noch überhaupt nicht absehbar. Die Belastungen für die Gesundheitsversorgung werden noch massiv ansteigen. Doch die Gesundheitsversorgung in Österreich ist bereits jetzt am Anschlag. Das zeigen auch die vielen Überlastungsanzeigen, die Beschäftigte an ihre Arbeitgeber oder deren VertreterInnen an die Behörden und Politik übermitteln, wie es zuletzt auch die Offensive Gesundheit getan hat. Die Anzeigen beschreiben, dass schon längst keine ausreichende und sichere Versorgung mehr möglich ist.

"Es muss nun sofort eine Pflegereform angegangen werden."

Was fordert die Arbeiterkammer vom neuen Gesundheits- und Pflegeminister Johannes Rauch?
Es muss nun sofort eine Pflegereform angegangen werden. Dazu braucht es den politischen Willen aller politisch Verantwortlichen und nicht nur des Gesundheitsministers allein, außerdem die finanziellen Mittel, um an den vielen Rädern zu drehen, die dafür notwendig sind. Es ist nicht leicht, aber es lohnt sich für die Menschen in Österreich.

Aktuell kommen viele Menschen aus der Ukraine nach Österreich. Ist das vielleicht eine Chance, um den Mangel auszugleichen?
Wir brauchen jede Person, die in diesem Bereich arbeiten möchte und geeignet dafür ist. Wir müssen aber auch diesen Menschen einen unbürokratischen Zugang zu diesen Berufen ermöglichen. Das wird ebenso eine Aufgabe der Politik sein.

Was muss z.B. ein/e ukrainische/r PflegerIn tun, wenn sie gerade erst angekommen ist und hier gerne als Pflegekraft arbeiten möchte?
Sie muss sich an die zuständigen Behörden wenden, um ihre Ausbildung nostrifizieren zu lassen. Das ist je nach Ausbildung in Wien der Magistrat oder die Fachhochschule. Liegt ein Bescheid vor, kann sie derzeit auch ohne Registrierung im Gesundheitsberuferegister arbeiten. Diese Aussetzung der Registrierung gilt aktuell pandemiebedingt bis 30. Juni 2022. Ich denke wir sollten diese Aussetzung jedenfalls verlängern.

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