Österreich
Vier Pfleger: "Unser Leben wurde völlig zerstört"
Am 17. Oktober 2016 änderte sich das Leben von vier Pflegern schlagartig: Sie sollen im Altenheim Clementinum wehrlose Greise gequält haben. Jetzt sprechen die vier Ex-Pflegekräfte Klartext.
Diplom-Pfleger Dominik G. (29, Anm.: damals 40 Stundenkraft; 20 Stunden Pflege und 20 Stunden Pflegeberater, war über 3 Jahre im Heim), die drei Pflegehelferinnen Carina Z. (32, damals 30 Std. beschäftigt, 1,5 Jahre im Heim), Anneliese S. (51, 35 Std. beschäftigt, vier Jahre im Heim), Gabriele B. (54, 40 Stunden beschäftigt, 3 Jahre im Heim) und eine Bürokraft sollen für den größten Pflegeskandal seit Lainz verantwortlich sein. Die Vorwürfe sind schauderhaft, die Aussagen der Belastungszeugen (zwei Ex-Kollegen) erschütternd.
Schwere Vorwürfe
Demente und wehrlose Greise soll das Quartett in einem Pflegeheim in Kirchstetten (St. Pölten) gequält und erniedrigt haben. Zehn Leichen wurden wegen des Verdachtes des Medikamentenmissbrauches exhumiert („Heute" berichtete). Laut Staatsanwaltschaft waren die toxikologischen Gutachten unauffällig, die kontradiktorischen Vernehmungen mit Zeugen und Beschuldigten sind abgeschlossen, die Widersprüche häufen sich.
Widersprüche
So wurde etwa Patient H. am 17.3.2016 im Heim aufgenommen, am 17.3. kam er, nachdem er randaliert hatte, nach Mauer, am 22.3 retour. Dominik G. soll gleich nach dessen Rückkehr Medikamente vertauscht haben. Zeugin: Kollegin Maria G. Nur: Die war laut Protokoll von 15. bis 28. März 2016 im Krankenstand.
Patient S. wiederum soll von Anneliese S. am 2. Oktober 2016 geschlagen worden sein. Einmal im Bauchbereich beim Mobilisieren und zeitgleich (!) beim Zu-Bett-bringen am Arm. Zeugin: Maria G. Nur: Anneliese S. war an diesem Tag bei der Hundemesse in Tulln, hatte kurzfristig Dienst getauscht. Dann sah die Kronzeugin angeblich, wie Dominik G. und Carina Z. einer Putzfrau eine große Menge Abführmittel in die Trinkflasche gaben und die Putzfrau daraus trank. Nur: Die Frau wurde befragt und gab an, niemals Durchfall während ihrer Tätigkeit im Pflegeheim gehabt zu haben. Weitere Anschuldigungen dürften zeitlich oder praktisch unmöglich sein (Anm.: weil etwa Beschuldigte gar nicht im Dienst waren oder bei der "Aromatherapie" mit Franzbranntwein, weil Franzbranntwein gar nicht im Heim vorhanden war).
Die Misshandlungs-Vorwürfe entkräftet Dominik G. so: "Die meisten Patienten bekamen ja Blutverdünner. Das heißt, dass diese Patienten leicht blaue Flecken bekommen. Sie wurden wöchentlich, am Badetag, genauestens untersucht. Und da war gar nichts."
WhatsApp-Gruppe
Eine interne WhatsApp-Gruppe (acht Personen; darunter das Quartett und Maria G.; gegründet 2014 von Dominik G. zur besseren internen Kommunikation) brachte die vier Pfleger in Bedrängnis. "Hier wurde sehr viel falsch hineininterpretiert", so Dominik G. und verweist auf seine penible, umfangreiche Dokumentation. "Bei einem Chat-Verkehr sprachen wir über eine mögliche Vendal-Steigerung (Anm.: Wirkstoff Morphinhydrochlorid-Trihydrat; zur Linderung schwerer und schwerster Schmerzen) eines Patienten. Und ich schrieb: 'Machen wir es so wie bei Patientin xy'. Und da ja Patientin xy dann verstorben war, angeblich völlig überraschend im 94. Lebensjahr, wurde da eine Medikamentenüberdosis interpretiert." Teilweise waren die WhatsApp-Verläufe auch mit Sarkasmus behaftet. "Wir dürfen ja nichts nach außen tragen, die Gruppe diente rein zur Kommunikation, wir sahen uns durch den Schichtbetrieb teilweise nicht. Ein renommierter Gutachter durchleuchtete die Chats und konnte nichts Unanständiges finden. Er nannte es Psychohygiene", berichtet Dominik G.
Die ersten Vorwürfe waren übrigens am 17. Oktober 2016 aufgekommen, zwei Beschuldigte waren im Dienst – wurden ohne Angabe von Gründen fristlos gefeuert und hinausbegleitet. Eine Pflegerin erfuhr überhaupt erst aus den Medien von den Vorwürfen – am nächsten Tag lag die fristlose Entlassung im Postkasterl. "Die schweren Vorwürfe wurden überhaupt nicht geprüft, wir wurden sofort gefeuert, wir wurden weder informiert, geschweige denn gefragt. Die Angehörigen wurden angerufen und es wurde gesagt wir hätten diese furchtbaren Dinge fix gemacht. Kein vielleicht, kein soll, keine Unschuldsvermutung. Jetzt wurden die leitenden Positionen im Heim ausgetauscht", so Dominik G.
Anklage oder nicht?
Was bleibt? Die Staatsanwaltschaft muss einen Vorhabensbericht ans Ministerium schicken, dann wird über eine mögliche Anklage entschieden. "Vorhabensbericht deshalb, weil der Fall von besonderem öffentlichen Interesse ist", erklärt Staatsanwalt Leopold Bien. Die Kronzeugin wurde von den vier Pflegern wegen Verleumdung angezeigt.
So geht es den 4 Pflegern
Alle vier Beschuldigten sind in Therapie, überstehen den Tag nur mit Medikamenten (Schlafmittel, Anti-Depressiva). Dominik G. ist jetzt im Krankenstand, hat starke finanzielle Einbußen. Er und Kollegin Carina Z. waren sogar im Herbst 2017 einen Tag in U-Haft. Warum? Weil sie in einem Heim in Wien gearbeitet hatten. Somit bestand Tatwiederbegehungsgefahr. Das Heim wurde dann geprüft, Untersuchungsleiter war der jetzige Wiener SP-Stadtrat Peter Hacker. "Es wurde nichts gefunden, alles war in Ordnung. Die Heimleitung kannte alle Vorwürfe gegen uns. Nur: Was sollten wir tun? Wir müssen ja von irgendwas leben", so Dominik G.
Carina Z. (32), die unmittelbar nach der U-Haft zusammengebrochen war, war danach stationär im Spital Mauer-Öhling. Sie bezieht jetzt Reha-Geld. "Auch meine Beziehung wurde hart auf die Probe gestellt", so die 32-Jährige. Die 54-jährige Gabriele B. bezieht jetzt Krankengeld. "Die Causa belastete meine Familie sehr", so die zweifache Mutter. "Eine Tochter hörte sogar mit der Ausbildung auf, sie konnte nicht mehr", erzählt die 54-Jährige.
Suizidversuch
Anneliese S., die am längsten im Heim gearbeitet hat, war mit Therapiehund "Luna" beliebt im Heim. Sie hatte sich wenige Tage nach Bekanntwerden der Causa gegen die Vorwürfe in "Heute" gewehrt ("Heute" berichtete), bekam auch Rückendeckung von Angehörigen ("Heute" berichtete). "Luna" hat sie nicht mehr, sie hat ein sehr gutes Platzerl für die Labradorhündin gefunden. Die Mutter eines behinderten Sohnes (24) machte sieben Monate lang einen Kochkurs, bekam dann ein Burn-Out, schluckte eine Tablettenüberdosis. "Ein Selbstmordversuch, ich war am Ende", sagt sie. Die jetzt 51-Jährige war dann von Februar bis April 2018 stationär in Mauer, begann nach der Entlassung massiv Alkohol zu trinken. "Jetzt bin ich stationär in Therapie im Anton-Proksch-Institut in Wien-Liesing, bekam für das Gespräch mit 'Heute' einen Sonderausgang." Anfang April wird Anneliese S. entlassen, muss sich dann weiter um ihren Sohn kümmern. "Derzeit kümmern sich Dominik und Carina täglich um mein Kind, sonst wäre ich komplett aufgeschmissen", erzählt die gebeutelte Anneliese S.
Egal ob es zur Anklage kommt oder nicht ("Eine Anklage sehen wir gelassen. Wir haben nichts zu verbergen, sind unschuldig und dann weiß es jeder"), die vier Pfleger sind gezeichnet: "Unser Leben ist zerstört, wir sind psychisch und finanziell schwer angeschlagen. Und das wegen einer Kollegin."
Warum die Anschuldigungen der beiden Kollegen? "Wir halten sie mittlerweile für krank, sonst kommt man ja nicht auf solche ekelhaften Anschuldigungen. Sie überwacht zum Beispiel ihre Kinder via Kamera und Handy ohne deren Wissen. Im Dienst bekamen wir das mit. Sie hat einfach gelogen, fast alle Lügen lassen sich jedoch widerlegen."
Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.