Coronavirus
2 Gründe, warum Österreich jetzt wieder aufsperren kann
Erstmals seit mehr als einem halben Jahr ist die 7-Tages-Inzidenz in Österreich wieder zweistellig. Experten erklären die Gründe für den Rückgang.
Mit einer 7-Tages-Inzidenz von 95,1 pro 100.000 Einwohner steht Österreich in der Pandemie-Entwicklung so gut da wie schon seit Mitte Oktober 2020 nicht mehr. Seit Mitte April zeichnet sich ein deutlicher Trend nach unten im ganzen Land ab.
Im Osten hatte sich die aggressivere Briten-Mutation B.1.1.7 wesentlich früher durchgesetzt, als im Westen. Weil gleichzeitig noch weniger Menschen geimpft waren, waren die Zahlen hier rasant nach oben geschnellt. Die Landeschefs reagierten mit harten Maßnahmen. Offenbar gerade noch rechtzeitig, wie Gerald Gartlehner, Epidemiologe an der Donau-Uni Krems laut ORF erklärt: "Ohne den Lockdown ab Anfang April würden Wien, Niederösterreich und das Burgenland heute nicht so gut dastehen."
Mittlerweile scheint die Pandemie in ganz Österreich aber wieder halbwegs in kontrollierbare Bahnen gelenkt. Die gute Nachricht: die Infektionszahlen werden der Prognose der Experten zufolge weiter sinken. Dafür gibt es mehrere Gründe, wie der Simulationsforscher Niki Popper von der TU Wien im ORF-Gespräch erklärt:
Impfung
"Bei der Grundimmunisierung sind wir enorm fortgeschritten – 20 Prozent durch die Covid-19-Erkrankungen und 14 Prozent Immunisierte" , schildert der Experte die Ergebnisse seiner Modellrechnungen für Anfang Mai. Bereits jetzt zeige sich durch die fortschreitenden Impfungen ein Rückgang der Hospitalisierungen. Auch der Reproduktionsfaktor, derzeit bei 0,85, nimmt weiter ab: "Ab Mitte Mai steigt der Effekt bei der Ausbreitungsreduktion. Das setzt sich im Juni fort", rechnet Popper vor.
Komplexitätsforscher Peter Klimek von der MedUni Wien berichtet, dass es bereits einen Rückgang der Sterblichkeit unter Hochbetagten gebe. Er erwartet sich durch die Impfungen eine Entlastung der Intensivstationen in den kommenden Wochen.
Saisonaler Effekt
Wie auch bei der Grippe wird beim Coronavirus ein jahreszeitlich bedingter Rückgang erwartet. Dieser saisonale Effekt – und was überhaupt alles darunter zu verstehen ist – ist in der Wissenschaft aber immer noch ein Streitthema. "Zur Saisonalität gibt es keine Evidenz. Das ist der große Gral, den wir suchen. Die Mechanismen sind unklar", so Popper. Neben dem Wetter kämen noch andere Faktoren wie UV-Intensität, geändertes Sozialverhalten und geschlossene Schulen hinzu. Dieser Effekt sei in Österreich "massiv" ausgeprägt, in anderen Ländern hingegen kaum.
Öffnungsschritte
Die mit 19. Mai angesetzten Öffnungsschritte in ganz Österreich sind für die Experten Anbetracht der günstigen Entwicklung offenbar durchaus gerechtfertigt. Zwar erwarten sie einhergehend einen neuerlichen Anstieg der Infektionszahlen, besonders unter jüngeren Menschen. "Mit Juni wird man aber auch bei dieser Gruppe einen Effekt durch die Impfungen merken", sagt Klimek. Deshalb sei das Risiko durch die Öffnungen "überschaubar".
Ausblick auf den Herbst
Im Herbst dürfte die Kurve aber wieder steiler nach oben gehen. Zum einen wird der Verlust der Immunität durch Genesene der zweiten Welle schlagend werden, auch für Geimpfte rechnet die Regierung derzeit nur mit einem halben Jahr Immunität nach dem 2. Stich. "Wiederinfektionen werden mehr und mehr zum Thema", mahnt der Experte. Zusätzlich schwinden die saisonalen Effekte wieder dahin.
Neuen Lockdown verhindern
Ganz im Gegensatz zum Coronavirus: "Verschwinden wird das Virus nicht", warnt auch Epidemiologe Gartlehner. Eine Herdenimmunität könne erst erreicht werden, wenn auch Kinder geimpft werden, sagt auch Klimek. Entscheidend werde bis dahin sein, die Ausbreitung von neuen Corona-Mutationen rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. Das heißt: Hände waschen, desinfizieren, Maske tragen und auch das Testen müssen in vollem Umfang fortgeführt werden.
Härte Maßnahmen könnten uns dieses Mal aber erspart werden. Gegenmaßnahmen, "die die Freiheit beschränken", müssten vermieden werden, appelliert auch Popper. Damit es nicht dazu komme, sei es wichtig, "das Augenmerk auf die Schwächen zu legen, Impfungen aufzufrischen, Schulscreenings durchzuführen und rasch Mutationen zu erkennen".