Politik
"Geht's dem noch gut?" – Neos-Chefin platzt der Kragen
Beate Meinl-Reisinger war Gast im ersten ORF-Sommergespräch des Jahres. Geld, Migration, Ausländerwahlrecht – die Neos-Chefin teilte ordentlich aus.
Nach einem Jahr ist es wieder soweit: Die Spitzenkandidaten aller im Parlament vertretenen Parteien stellen sich dem alljährlichen ORF-Sommergespräch. Neben personellen Änderungen – Susanne Schnabl ersetzt Tobias Pötzelsberger und Julia Schmuck als Moderatorin – ist heuer auch der Ort ein anderer: Die Gespräche finden im neugestalteten Parlament, dem Herzen der österreichischen Demokratie, statt.
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BMR rudert bei "Volksverräter"-Sager zurück
Als erste und einzige weibliche Parteivertreterin trat Beate Meinl-Reisinger (im pinken Blazer) an. Schon im Vorfeld des Gesprächs verriet die Neos-Chefin, die im Nationalratssitzungssaal neben FP-Chef Herbert Kickl sitzt, dass sie abseits der Kameras mit jedem zusammenarbeiten können und eine Gesprächsbasis mit jedem haben muss.
Auch mit Kickl, den sie vergangenes Jahr scharf kritisierte und die FPÖ als "Volksverräter" bezeichnete. "Ich finde mittlerweile, dass das falsch war", zeigte sie sich auch selbstkritisch. Die Neos-Chefin berief sich auf ein Zitat: "Wenn man mit Ungeheuern kämpft, sollte man aufpassen, nicht selbst eins zu werden". Was die Tatsachen betreffen – sie warf der FPÖ vor, Kreml-Propaganda zu betreiben – bleibe sie hart in der Sache. Die Sommerloch-Diskussionen langweilen sie: "Ich bin zunehmend wütend, über was man diskutiert, vom Kanzler abwärts. Wer ist normal, wer nicht? Und das in einer Zeit, wo wir so riesengroße Probleme haben." Bei der Polit-Nulllohnrunde werden Neos zwar mitziehen, die Debatte sei aber "unnötige Showpolitik". Bargeld in der Verfassung sei "Schattenboxen von Kanzler und Finanzminister".
Es sei "etwas im Umbruch" sagte die Neos-Chefin, angesprochen auf eine Arbeitszeitverkürzung. Habe früher noch eine gute Ausbildung und eine "Streng dich an"-Mentalität gereicht, um im Leben zurechtzukommen, sei die Situation heute viel schwieriger. Sie habe Verständnis dafür, dass jüngere Menschen vermehrt eine Vier-Tage-Woche befürworten. Große Bedenken habe sie bei einer flächendeckenden Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich in allen Berufsgruppen, "weil wir uns das simpel nicht leisten können" und weil es bereits in vielen Branchen wie dem Gesundheitssystem einen Personalmangel gebe.
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"Geht's dem noch gut?"
"Ich bin nicht für Vollzeit. Ich bin dafür, dass es weniger Anreize geben soll für Teilzeit", lautet ihre Devise. Wer Vollzeit arbeite, solle auch entsprechend belohnt werden, "beziehungsweise sollte der Finanzminister, wenn Sie einen Euro mehr verdienen, nicht 60 Cent abnehmen – das wäre schon einmal ein großer Anreiz für Vollzeit", so die Neos-Chefin. Das Gießkannen-System, das sie der Regierung vorwarf, sei nicht nur ausgabenseitig problematisch, es habe auch die Inflation angetrieben.
Daraufhin begann sie einen Frontalangriff auf Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP): "In dieser Situation stellt sich der Finanzminister hin und sagt – nachdem er selber Schuld ist und das Geld mit beiden Händen ausgegeben hat: 'Jetzt bitte hübsch Lohnzurückhaltung. Liebe Arbeitnehmer, jetzt verlangt's nicht zu viel'", sagte die Neos-Chefin in ihrem gewohnten kritischen Ton – "geht's dem noch gut?", hackte sie nach.
"Ned persönlich bitte"
Meinl-Reisinger sagte im Gespräch, sie wolle die Lohnnebenkosten senken, damit Arbeitnehmer 5 Prozent mehr netto vom brutto erhalten. Das wäre eine starke Position für die Gewerkschaft im Hinblick auf die Lohnverhandlungen im Herbst, sagte sie. Und weiter: "Wenn ich Gewerkschaftsvertreterin wäre, würde ich dem Finanzminister jetzt ordentlich auf die Zehen steigen", lautete ihr Appell. Dieser sei nämlich – "ned persönlich, bitte – der größte Krisengewinner".
Um den Generationenvertrag, "der unser Land stark gemacht hat", wieder in Ordnung zu bringen brauche es vor allem Gerechtigkeit. Das heiße, Anreize zu setzen, dass die Menschen länger gesund arbeiten und Jungen eine Chance zu eröffnen, etwa einem Startkapital oder einem Chancenkonto. So könne das Pensionssystem – Neos ("Stehen für alle, die vorankommen wollen") liebäugeln etwa mit dem schwedischen Weg, der ein Referenzpensionsalter mit Abschlägen und Zuschlägen vorsieht – wieder repariert werden.
„"Eine Erbschaftssteuer kommt mit uns nicht in Frage."“
Klares Nein zu Vermögenssteuer
Die Neos-Politikerin kritisierte mehrfach, dass die Steuerlast in Österreich zu hoch sei. Demnach schob sie dem "unerträglichen" Ruf der Babler-SPÖ nach einer Vermögenssteuer einen Riegel vor: "Das kommt mit uns nicht infrage". Diese fange bei den Millionären an, "am Schluss landet man bei den Häuslbauern und der Mitte der Gesellschaft", positionierte sie sich dann mit Hausverstand und Klarheit ebendort. "Der gelernte Österreicher weiß, am Schluss zahlt er mehr Steuern", schloss sie das Thema ab.
EU-Armee – "je schneller, desto besser"
Aufstehen. Krone richten. Weitergehen. So lautet das Motto der Neos nach den jüngsten Wahlklatschen – insbesondere in Salzburg, wo die Partei nicht nur aus der Landesregierung, sondern gleich aus dem Landtag geschmissen wurde. Nach einigen theoretischen Fragen (etwa einer möglichen Kandidatur von Sepp Schellhorn für die Parteispitze oder der personellen Aufstellung für die EU-Wahl kommendes Jahr) ging es schließlich um die "heilige Kuh" in Österreich – die Neutralität.
Hier fordern die Neos eine neue Diskussion, das Verständnis von Neutralität sei angesichts der aktuellen Bedrohungslage überholt. Meinl-Reisinger sprach sich für ein EU-Heer aus – "je schneller, desto besser". Sie räumte zwar ein, dass eine Armee aus allen Mitgliedsstaaten unwahrscheinlich sei, "aber innerhalb der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik alles zu tun, um stärker zusammenzuarbeiten und die Dinge – ohne die USA – selbst in die Hand zu nehmen, halte ich für sehr wichtig". Eine Idee, dass in so einem Fall auch Atomwaffen in Österreich stationiert werden sollen, winkte BMR ab: "Nein, das ist ein Blödsinn".
"Zu viel irreguläre Migration"
Dass die Neos – nicht nur wegen ihrer Parteifarbe – für ein modernes Gesellschaftsbild stehen, unterstrich Meinl-Reisinger im Sommergespräch. So bezeichnete sie etwa ihren homosexuellen Parteikollegen Yannick Shetty als "mutig und toll" und zeigte sich zerknirscht darüber, "dass sich ein schwules oder lesbisches Pärchen in Wien mittlerweile wieder überlegt, sich Händchenhaltend zu zeigen". Sie ortete eine erhöhte Aggressivität gegenüber Homosexuellen, die unter anderem durch fundamentale Einstellungen, beispielsweise bei Muslime, entstehe.
Ob es zu viel Zuwanderung gebe, wollte die Moderatorin von der pinken Chefin wissen. "Nein, aber was ich schon verstehen kann, ist, dass es zu viel irreguläre Zuwanderung gibt", antwortete sie. Es brauche stattdessen qualifizierte Zuwanderung mit "klugen Köpfen", die nach Österreich kommen. Sie tritt ein für eine offene Gesellschaft, die sich gegen "Feinde" wehren solle.
Man dürfe den Feinden der Demokratie nicht die Instrumente der offenen Gesellschaft in die Hand geben. Als Beispiel nannte die Neos-Chefin etwa die Möglichkeit von Moscheeschließungen, in denen Radikalisierungen stattfinden. Zudem sei es inakzeptabel, dass in Wien Erdogan-Anhänger wie Graue Wölfe durch die Stadt ziehen und seinen Namen skandieren.
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"Wir wollen Wahlrecht für EU-Bürger"
Es sei problematisch, wenn ein Drittel der Bevölkerung in Österreich nicht am politischen Geschehen teilhaben könne, so Meinl-Reisinger. Sie formulierte ihre Forderung klar: "Wir wollen ein Wahlrecht für EU-Bürger." Auch für Nicht-EU-Bürger, die sich demokratiepolitisch engagieren, solle es einen erleichterten Zugang zur Staatsbürgerschaft geben. Wenn eine Person sich zum neuen Heimatland bekennt, "tät ich das abfeiern", sagte die Neos-Chefin. Bei konkreten Hürden – etwa wie lange jemand in Österreich leben muss – zeigte sie sich offen für Diskussion.
Um das Gespräch in einer lockeren Atmosphäre zu beenden, fragte die ORF-Moderatorin, welches Lied die Politikerin Meinl-Reisinger am besten beschreiben würde. Die Welt der Musik sei "viel zu schön", um sich auf einen Song festzulegen, wich sie aus. Auch, wenn sie sich als Bilderbuch-Fan outete, würde sie aktuell einen "Wut-Song" spielen, der ihren Ärger auf die politische Situation im Land ausdrücke.