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Fallout 76 im Test: Einsam, gigantisch und spektakulär

Heute Redaktion
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Der neueste Fallout-Titel ist nun ein Multiplayer-Game und riesiger als je zuvor. Die große Stärke des Bethesda-Titels ist die einsame, aber wunderschöne Welt.

Erst im Mai 2018 angekündigt, ist Fallout 76 aus dem Hause Bethesda schon auf PC, PlayStation 4 und Xbox One erschienen. Das neunte Spiel der Fallout-Serie ist auch gleichzeitig ihr Anfang: Die Handlung findet in einer alternativen Zeitlinie der Erde im Jahr 2102 statt. 25 Jahre zuvor hat ein Atomkrieg den Globus verwüstet. Der Spieler findet sich als Bewohner des Bunker 76 wieder, und rückt aus, um das Ödland West Virginias wiederaufzubauen.

Konkret findet sich der Spieler in Appalachia wieder, einer eigenartig stillen und einsamen Region der Vereinigten Staaten. Die Spielewelt präsentiert sich dabei riesig, sie dürfte noch einmal vier Mal größer als jene von Fallout 4 sein, die bereits enorme Ausmaße hatte. Dementsprechend und mit der Beschränkung auf 24 Spieler pro Server bleibt auch die einsame Atmosphäre erhalten, denn egal wie viele Spieler den Multiplayer-Modus bevölkern, richtig voll kann es nicht werden. Und soll es auch gar nicht, schließlich will Bethesda die postnukleare Atmosphäre treffen: zerstörte und zur Wildnis gewordene Gebiete, in denen sich erst langsam wieder etwas Leben regt.

Klar wird auch schnell: Jeder Mensch, den man hier trifft, ist ein realer anderer Spieler. Das hat einen beeindruckenden Effekt, denn hier wird einem in Ansätzen bewusst, was eine Katastrophe wie ein Atomkrieg für die Menschheit bedeuten würde. Gleichzeitig hilft es aber auch dem Online-Erlebnis immens, nicht an jeder Ecke von Mitspielern eingekreist zu sein. Trifft man im Ödland auf eine Gruppe Gegner, denen man hoffnungslos unterlegen wäre, und taucht dann plötzlich ein schwerbewaffneter Krieger zur Hilfe auf, fühlt sich das wie eine echte Begegnung und nicht wie ein Hineinwerfen in eine Multiplayer-Masse an.

Schlaue PvP-Mechaniken

Ebenso frei fühlt es sich an, Fallout 76 zu spielen. Das kann man im Alleingang tun, oder als Gruppe mit bis zu drei weiteren Spielern. Zusammentun kann man sich aber auch mit allen Spielern, die man in der Welt findet. Spieler interagieren miteinander, es kommt zu spontaner Party-Bildung. Auffällig dabei: Ein Mikrofon haben bisher die wenigsten. Dafür kommen schlaue Multiplayer-Features zum Einsatz. Eines ist ein Kopfgeld-System, das verhindern soll, dass sich Spieler ausschließlich gegenseitig auslöschen. Wird der Spieler angegriffen und getötet, ohne dass er selbst den Kampf sucht, wird auf den Angreifer ein Kopfgeld für alle anderen Spieler ausgesetzt. Außerdem verliert man beim Bildschirmtod nur ein paar Materialien, die man gerade bei sich trägt – für Spieler, die nur andere Spieler ausbeuten wollen, gibt es also wenig zu holen.

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Wer gänzlich auf menschlichen Feindkontakt verzichten will, kann einen eigenen Modus aktivieren. Dieser verhindert, dass andere Spieler angreifen können und gleichzeitig kann man selbst auch nicht mehr auf andere Spieler schießen. Auch das Problem, dass stark aufgelevelte Charaktere Neueinsteigern das Überleben schwer machen, hat Bethesda gut in den Griff bekommen. Bei Kämpfen zwischen menschlichen Spielern "normalisiert" sich der Angriffsschaden. Konkret richten hochgelevelte Spieler an Mitspielern nur minimal höheren Schaden Schaden an, als es niedrigstufigere Figuren tun. Einsteiger können also Profis töten. Alle Effekte machen aber klar: PvP ist in Fallout 76 optional, nicht der Kern des Spiels.

Welt und Story: Warm und kalt

Ein Kompliment muss man der Umgebung aussprechen. Die Welt ist riesig und wunderschön dank Lichtstimmungen und Leveldesign umgesetzt. Eine neue Engine würde der Serie aber trotzdem schön langsam gut tun, schwer ins Gewicht fallen die kleinen Abstriche aber nicht. Es gibt auch die Nachbildungen realer Orte zu finden: so sind in Fallout 76 etwa der Regierungssitz des US-Bundesstaates West Virginia – das Capitol – oder die Stahlbogenbrücke New River Gorge Bridge zu finden.

So stark die grafische Umsetzung ist, etwas leidet die Handlung unter den minimalistischen Erzählelementen. Die Welt wirkt insgesamt auch sehr einsam und tot – alle nichtmenschlichen Questgeber und Charaktere aus den Hintergrund-Geschichten sind nicht mehr am Leben. Dadurch entsteht der Eindruck, man erlebt alles im Nachhinein und hat keinen Einfluss auf die Story. Die Handlung wird zudem fast ausschließlich über Terminals und Holotapes erzählt. Das muss einem liegen, sonst hat man wenig Freude damit. Dass die Story aber nicht im Mittelpunkt steht, zeigen viele kleine Mechaniken – beispielsweise, dass man von Feinden angegriffen werden kann, während man Handlungsfetzen an Terminals nachliest.

Neueinsteiger haben es schwerer

Insgesamt scheint sich Fallout 76 sowieso mehr an Kenner der Serie als an Neueinsteiger zu richten. Im Vergleich zu anderen Fallout-Serienteilen wird relativ wenig in Tutorials erklärt, im Zweifelsfall hilft das Wiki. Auch das Perk-System durchschaut man nicht sofort. Perks sind passive Fähigkeiten, die bestimmte Boni aktivieren. Sie kommen als Tauschkarten daher und koalieren mit den auflevelbaren Charaktereigenschaften Stärke, Wahrnehmung, Ausdauer, Charisma, Intelligenz, Beweglichkeit und Glück.

Bis man die Möglichkeiten des Systems erfasst hat, zieht etwas Zeit ins digitale Land. So kann der Spieler beispielsweise nur Stärke-Perks nutzen, die den Wert des Spielers in der Kategorie Stärke nicht überschreiten. Perks lassen sich auch kombinieren, um damit auf Kosten von Materialien stärkere Perks zu erschaffen. Generell bleibt hier viel Freiraum zum Experimentieren, denn das Spiel macht mit verschiedenen Situationen die Nutzung ganz unterschiedlicher Perks notwendig.

Es schießt sich nun viel leichter

Kenner der Serie werden sich in Fallout 76 trotz einiger neuer Elemente dennoch gleich heimisch fühlen. Steuerung, Schießereien, Menüs und Charakter-Einstellungen sind beinahe identisch wie in Fallout 4. Beinahe, denn eine der großen Neuerungen und Stärken ist der Kampf. Endlich ist es in der Ego-Perspektive möglich, präziser zu zielen und genauer zu schießen. Die Steuerung ist am Punkt, in Fallout 4 wurden einige Gefechte da zum verwackelten Krampf.

Eine Überarbeitung bekam das VATS-Zielsystem. Statt bei Gefechten vor abgegebenen Schüssen die Zeit zu verlangsamen, läuft alles in Echtzeit ab. Per Button löst man das automatische Zielen aus und bekommt die prozentuelle Wahrscheinlichkeit eingeblendet, ein bestimmtes Körperteil des Gegners zu treffen, ohne direkt darauf zielen zu müssen. VATS verbraucht allerdings Action Points, kann also nicht mehrmals hintereinander ausgelöst werden und Kämpfe gehen somit nach den automatisierten Treffern schließlich in ein Standard-Shooter-Ballern über.

Monster und Mutanten

Neu hinzu kommen in Fallout 76 auch Feinde. Das Scorchbeast macht als riesiges Flugmonster die Lüfte unsicher und legt sich mit Energie-Atem mit ganzen Spielergruppen an. Oder das Grafton Monster, das mit riesigen Armen alles niederwalzt, was sich in den Weg stellt. Dazu kommen auch mysteriöse Horror-Wesen wie der Wendigo, der Mothman oder das Flatwoods-Monster. Gut 50 Tiere und Kreaturen sind in Fallout 76 zu finden, viele mit verschiedenen Unterarten. Besonders gruselig: die entstellten Scorched zeigen was mit jenen Personen passierte, die es im Atomkrieg nicht rechtzeitig in einen Bunker geschafft haben.

Von der Questreihe her ist Fallout 76 ein Singleplayer-Spiel in einer Multiplayer-Welt. Weiter folgt man einer Aufgabenstellung quer durch das Land und erledigt neben den Hauptaufgaben unzählige Nebenmissionen, die vom Aufspüren Überlebender bis hin zur Jagd auf legendäre Grusel-Gestalten reichen. Auch die verschiedenen Umgebungen unterscheiden sich sehr und reichen von einem sonnigen Wiesengebiet bis zu düsteren Waldstücken und verfallenen Ruinen. Für Ästhetiker kommt da der neue Fotomodus gerade recht, der Schnappschüsse als Ladebildschirme nutzt und so das Spiel ein wenig personalisiert.

Überfrachtet, aber ...

Wie im Vorgänger kann der Spieler auch in Fallout 76 zum Bauherren werden. Dazu muss aber tonnenweise Material gesammelt werden, das zerlegt und aufbereitet werden. Mit Rohstoffen aus der Natur kombiniert kann man dann frei auf der Karte eine Basis errichten. Das Spiel wechselt dann in den Baumodus, in dem man Stellen für Gebäude wählen und diese sogar zu einem gewissen Grad einrichten kann. Eine Tiefe wie bei den "Sims" sollte man aber nicht erwarten. Hier geht es anfangs eher um notdürftige Unterschlüpfe und später um Verteidigungsanlagen für die Basis.

Weiter leidet Fallout 76 an einer Überfrachtung. Spieler sollen einfach zu viel tun – sie müssen ihren Hunger und Durst bei den Überlebensanzeigen im Auge behalten, Krankheiten heilen, Basen bauen, Waffen modifizieren, Rüstungen anpassen, Ressourcen sammeln, zusammenarbeiten und gegeneinander kämpfen, sich im unübersichtlichen Inventar und umständlichen Menü zurechtfinden, frei erforschen sowie entdecken und gleichzeitig einer vorgegebenen Handlung folgen. Gerade anfangs herrscht da etwas Frust, bis sich die Routine breitmacht.

... trotzdem überragend

Und dennoch ist Fallout 76 überragend und bietet genau das, was man an Fallout bisher kannte und liebte: unglaublich gut gestaltete Landschaften, eine dichte Atmosphäre, fast vollkommene Freiheit bei der Spielweise und faszinierende Kreaturen. Was an Story in den Hintergrund gedrängt wurde, wiegt der Multiplayer-Aspekt auf. Fallout 76 lässt sich weiter als einsamer Wolf spielen, das Aufeinandertreffen von und Kooperieren mit anderen Spielern in der Einsamkeit der riesigen Welt ist spektakulär. Man kann es schade finden, dass hier Online-Pflicht herrscht. Als Singleplayer-Game würde Fallout 76 aber sowieso nicht wirklich überwältigend funktionieren.

Beim Streifzug alleine würde man nur toten oder mechanischen Questgebern gegenüberstehen, die Story fast nur über Hologramme und Co. erleben. Vom Kern, das Gefühl zu vermitteln, einer von wenigen Überlebenden in einer atomar zerstörten Welt und auf jeden Mitstreiter angewiesen zu sein, wäre man weit entfernt. Und dieser Kern soll über Monate weiter ausgebaut werden. Bethesda plant ständige Updates bei Community-Events, Fraktionen, Erweiterungen von Baumöglichkeiten und Quests, auich zeitweilige Bildrateneinbrüche sollen verschwinden. Fallout 76 ist ein gigantisches, gemeinschaftliches Überlebensabenteuer geworden, das auch viele jener Spieler überzeugen können wird, die bisher der Meinung waren, dass ein Fallout nur als Einzelspieler-Game funktionieren kann. (pic/rfi)