Hans Joachim Schellnhuber

Experte lässt aufhorchen:"Klimaneutralität von gestern"

Dem Weltklima droht durch die fortgesetzte Treibhausgas-Emission bald ein fataler Kollaps. Ein "Zwei-Jahrhundert-Projekt" soll uns davor bewahren.

Roman Palman
Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber während einer Pressekonferenz 2021.
Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber während einer Pressekonferenz 2021.
imago images/Reiner Zensen

2023 könnte das Jahr sein, an dem die Welt endgültig ins Schwitzen kommt. Weltweit kam es zu extremen Unwettern mit tödlichen Starkregen-Ereignissen und Überflutungen, dazu Hitzerekorde rund um den Globus und ein Eisschwund an den Polen, der sich gewaschen hat. 

"Wir sind an einem Punkt, an dem sich der Charakter des Systems verändert", warnte der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber laut einem Bericht der Austria Presse-Agentur APA bei der Verbund-Energiekonferenz am Wolfgangsee vergangene Woche.

Die letzten 12.000 Jahre der gegenwärtigen Epoche namens Holozän seien von unglaublicher klimatischer Stabilität geprägt gewesen, erklärte der künftige Generaldirektor des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) im niederösterreichischen Laxenburg. Doch damit scheine es nun vorbei: "Ganz gleich, wohin Sie schauen, die Kurven verlassen den normalen Bereich".

Kipppunkte 

Schellnhuber wurde mit seiner Forschung zu den sogenannten Kipppunkten (eng. "Tipping Points") bekannt, die zuletzt auch durch die Aktivisten der "Letzten Generation" in den Vordergrund gerückt wurden. Konkret gemeint sind damit Elemente, bei denen durch fortschreitende Erwärmung eine oftmals unumkehrbare Veränderung ausgelöst wird – mit eskalierenden Folgen für das gesamte Klimasystem der Erde.

Dazu gehören etwa das Abschmelzen der polaren Eisschilde und das Auftauen von Permafrostböden. Ersteres weil der dunklere Boden bzw. das Wasser unter dem hellen Eis eine geringere Reflektionsrate des Sonnenlichts (Stichwort: Albedo) aufweist, wodurch noch mehr Wärmeenergie im System Erde gespeichert wird. Letzteres, weil beim Auftauen unter dem Permafrost eingeschlossenes Methan, ein deutlich potenteres Treibhausgas als CO2, in rauen Mengen freigesetzt wird.

Weitere Kippelemente sind zudem zunehmende Waldbrände in den gemäßigten Klimazonen, die steigende Trockenheit im tropischen Regenwald sowie eine Abschwächung der großen Atlantische Umwälzströmung (AMOC) als Teil des globalen ozeanischen Umverteilungssystems für Wärme und Süßwasser. Das wiederum würde sich negativ auf den Monsunregen auswirken.

Die <strong>Kippelemente</strong>: Werden bestimmte Temperaturen überschritten, können zentrale Elemente unseres Klimasystems aus dem Gleichgewicht geraten.
Die Kippelemente: Werden bestimmte Temperaturen überschritten, können zentrale Elemente unseres Klimasystems aus dem Gleichgewicht geraten.
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

"Lebenswichtige Organe"

Für Schellnhuber ist das Klimasystem der Erde vergleichbar mit einem menschlichen Organismus, die angeführten Kippelemente seien dabei die "lebenswichtigen Organe der globalen Umwelt".

Wenn die innere Körpertemperatur eines Menschen um zwei Grad steige, sei er bereits krank. Bei drei oder vier Grad Erhöhung würde langfristig ein lebenswichtiges Organ nach dem anderen kollabieren, erklärte der Klimaforscher: "Und so ist das auch mit der Erde".

2-Grad-Grenze essenziell 

Blase die Menschheit weiter wie bisher Treibhausgase in die Luft, könnten die Temperaturen deutlich über jenen Bereich ansteigen, an den die globale Tier- und Pflanzenwelt – und damit auch wir Menschen – angepasst sind und zurechtkommen könnten.

Das sei auch der ganze Sinn des Pariser Klimaziels, führte Schellhuber weiter aus: "Weil wir, wenn wir unter zwei Grad bleiben, nahezu alle fatalen Kippprozesse vermeiden können". Um das noch zu erreichen, müsste bis zur Mitte des Jahrhunderts der völlige Ausstieg aus fossilen Energien gelingen. Die Politik sei dahingehend aber zahnlos, beklagte Schellnhuber: "Bei der wichtigsten Frage der Menschheit haben wir die schwächsten Instrumente".

Steuern Raumschiff Erde aus sicherem Bereich

Schon heuer werde die 1,5-Grad-Grenze der globalen Erwärmung aller Wahrscheinlichkeit nach zumindest touchiert, bis 2030 vermutlich dauerhaft überschritten. Die Zwei-Grad-Grenze werde in zehn bis 30 Jahren erreicht sein, warnte der Experte: "Das heißt, wir haben eine Overshoot-Dynamik. Wir müssen davon ausgehen, dass wir das Raumschiff Erde aus dem sicheren Bereich heraustreiben werden."

Zurückrudern wird mehr als schwer. Deshalb müsse die Überschreitung so gering und so kurz wie möglich gehalten werden. Und dafür brauche es mehr als nur Klimaneutralität, mahnt der baldige IIASA-Chef. Die Staaten dieser Welt müssten stattdessen klimapositiv werden: Es gehe also darum, Emissionen nicht nur zu verhindern, sondern bereits ausgestoßene Treibhausgase der Atmosphäre wieder zu entziehen. 

"Klimaneutralität ist von gestern. Wir müssen das Klima wieder restaurieren und das wird eine Aufgabe von 200 Jahren werden." – Hans Joachim Schellnhuber

"Zwei-Jahrhundert-Projekt"

Eines der zentralen Ziele sei dabei die "Demineralisierung der Wirtschaft". Statt immer mehr mit Beton und Asphalt zu arbeiten, brauche es Umkehr mit neuem Fokus auf Biomasse als ökologischen Rohstoff. Bei gleichzeitiger Aufforstung, so führte der Klimaexperte aus, würde die Biosphäre mittels Photosynthese von selbst CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Er sprach dabei von einem "Zwei-Jahrhundert-Projekt", das aber deutlich günstiger und skalierbar sei, als andere potenzielle Lösungen wie Geoengineering.

1/50
Gehe zur Galerie
    <strong>21.11.2024: Für 4,90 Euro völlig ungenießbares Schulessen serviert</strong>. Die Debatte um Mittagessen und Jause in heimischen Schulen und Kindergärten kocht hoch. <a data-li-document-ref="120073491" href="https://www.heute.at/s/fuer-490-euro-voellig-ungeniessbares-schulessen-serviert-120073491">"Es schmeckt nicht", ärgert sich nicht nur Wienerin Daniela D.</a>
    21.11.2024: Für 4,90 Euro völlig ungenießbares Schulessen serviert. Die Debatte um Mittagessen und Jause in heimischen Schulen und Kindergärten kocht hoch. "Es schmeckt nicht", ärgert sich nicht nur Wienerin Daniela D.
    privat, iStock