Welt
Zwangshochzeit – sie musste ihren Vergewaltiger heirate
Ein Besuch in der Heimat verändert für Laura (Name geändert) alles: Sie wird im Kosovo Opfer sexueller Gewalt und muss ihren Peiniger heiraten.
(Anm. d. Redaktion: Lauras Fall kam in der Schweiz zweimal vor Gericht: Das erstinstanzliche Gericht verurteilte ihren Ex-Mann zu vier Jahren Freiheitsstrafe, das Zweitinstanzliche sprach ihn aufgrund mangelnder Beweise frei.)
Laura kommt in den späten 2000ern als 17-Jährige in die Schweiz – ursprünglich stammt sie aus dem Kosovo. Hier geht sie zur Schule und lernt Freunde und Freundinnen kennen. Jeden Sommer reist sie mit ihren Eltern zurück in den Kosovo, um die Sommerferien mit dem Rest ihrer Familie zu verbringen. So auch 2011.
In jenem Sommer sitzt sie mit ihrer Cousine und dessen Vater in einem Restaurant. Ein Mann gesellt sich zu ihnen – Lauras Cousine kennt ihn. Sie unterhalten sich, später schlägt er vor, in ein anderes Restaurant zu fahren. Laura willigt ein – und tappt in seine Falle.
Im Bad eingesperrt
Er fährt in eine Umgebung, die Laura nicht kennt. Schließlich hält er vor einem leerstehenden Haus an. Sie betreten es, die Tür sperrt er hinter sich ab. Er fängt an, Laura anzufassen. Sie schreit, dass sie nach Hause will. Laura flüchtet ins Badezimmer und sperrt sich ein – ein Handy hat sie nicht dabei. Er verspricht, sie nach Hause zu fahren, wenn sie rauskommt.
Letztlich verlässt Laura das Badezimmer – er zerrt sie ins Wohnzimmer und vergewaltigt sie. So schildert es Laura. Wie lange der Übergriff dauert, weiß sie nicht mehr genau. Eine Ewigkeit.
Sie zieht sich an, er fährt sie nach Hause. Überall, mit Ausnahme vom Gesicht, hat Laura blaue Flecken. Unterwegs bedroht er sie. Sagt, dass er ihrer Familie etwas antun wird, wenn sie jemandem davon erzählt. Und dass sie sich in einigen Tagen verloben werden. "Hat man im Kosovo Sex mit jemandem, heiratet man diese Person – das ist einfach so", erklärt Laura. Das dachte sie zumindest. "Für mich war klar: Ich habe keine andere Wahl."
Die Heirat
Ihrer Familie erzählt sie nichts. Sie sperrt sich tagelang im Zimmer ein und weint – aber so leise, dass sie niemand hört. Einige Tage nach dem Vorfall verlobt sich Laura mit ihrem Peiniger. Ihren Eltern sagt sie, dass sie das so wolle. "Meine Mutter spürte, dass etwas nicht stimmt – aber ich beruhigte sie."
Im Frühling 2012, Laura war inzwischen zurück in der Schweiz, kehrt sie unter Drohungen in den Kosovo zurück. Was sie nicht weiß: Ihr Verlobter hat einen Termin beim Standesamt gemacht, sogar Trauzeugen organisiert. Sie unterschreibt die Ehe-Dokumente.
Zurück in der Schweiz muss sie Dokumente für den Familiennachzug einreichen. Sie zögert lange. Hofft, dass er nachlässt. Als sie die Dokumente schließlich einreicht, geht es schnell. Im Januar 2013 reist ihr Ehemann in die Schweiz.
VIDEO – die bekannte Profilerin Patricia Staniek zu Vorsichtsmaßnahmen:
Isolation und Morddrohungen
Sie wohnen drei Monate in einer Einzimmerwohnung. Während dieser Zeit soll er Laura weitere drei Male vergewaltigt haben.
Sie arbeitet den größten Teil des Tages, hat zwei Jobs, um nicht nach Hause zu müssen. Unternimmt mehrere Versuche, sich das Leben zu nehmen, isoliert sich von Familie und Freunden.. Isst kaum noch, lebt in ständiger Angst davor, ermordet zu werden. "Ich wartete nur darauf, dass mein letzter Tag kommt."
Sprung in die Freiheit
Nach einer Nachtschicht im Frühling 2013 bekommt Laura einen Anruf von ihrer Mutter. Ihr Mann ist bei ihren Eltern zu Hause aufgekreuzt, sucht dort nach ihr und spricht Drohungen aus.
Laura fährt zu ihnen. Auf dem Weg entscheidet sie sich, ihrer Familie endlich die Wahrheit zu erzählen. Angekommen, schreit sie ihren Mann an: "Wenn du mich umbringen willst, mach es jetzt". Dann rennt sie los. Ihr Ziel: der Polizeiposten. Ihr Ehemann sprintet hinterher, verliert sie aber aus den Augen.
Laura erzählt den Polizisten alles. Danach verbringt sie rund drei Wochen im Frauenhaus, bis sie erfährt: Ihr Ehemann wurde festgenommen.
Neues Leben
Rund eineinhalb Jahre später wird er wegen Vergewaltigung, Drohung und Nötigung zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er kommt ins Gefängnis, legt Berufung ein – und bekommt Recht.
Das Obergericht entscheidet im Januar 2016, dass die Beweislage zu dünn ist und lässt ihn laufen. Zurück in den Kosovo muss er trotzdem – weil er nicht mehr mit Laura wohnt, verfällt seine Aufenthaltsberechtigung. Ende 2016 ist auch die langersehnte Scheidung vollzogen.