Bodenverbrauch
Zersiedelung in Österreich rasant angestiegen
Stark zersiedelte Flächen haben sich laut einer aktuellen Boku-Studie seit dem Jahr 1975 verfünffacht.
Die Zersiedelung, also die Ausbreitung von Siedlungen in die Landschaft in geringer Dichte, ist ein noch wenig thematisierter Aspekt beim hierzulande heiß diskutierten Thema des Bodenverbrauchs, meinten Experten bei einer Pressekonferenz in Wien. Dass es ein bedeutender Aspekt ist, zeigten die vorgelegten Zahlen: Stark zersiedelte Flächen haben sich demnach seit dem Jahr 1975 verfünffacht.
Forschende der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien und des deutschen Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) haben den Grad der Zersiedelung in Österreich von 1975 bis 2020 in Fünfjahresschritten erhoben und zwar mit einer Auflösung von 100 mal 100 Metern der Flächen (Rasterzellenauflösung). Möglich wurde diese zeitlich weit zurückreichende Analyse über die Auswertung neuster Daten des Global Human Settlement Layer (GHSL).
"Heute"-Talk mit Ökonom Gernot Wagner
Landfraß auf die Fläche Burgenlands gestiegen
Die Fläche, die als hoch und sehr hoch zersiedelt gilt, stieg hierzulande in dem untersuchten Zeitraum, also den knapp 50 Jahren, von rund 1.100 Quadratkilometern auf etwa 5.800 Quadratkilometer, wie IÖR- und Boku-Forscherin Anna-Katharina Brenner ausführte. Besonders besorgniserregend sei, dass die Bebauung mit einem sehr hohen Zersiedelungsgrad - als "die landfressendste und ressourcenintensivste Form der Bebauung" - am schnellsten wächst, sagte Ökologe Helmut Haberl von der Universität von Bodenkultur (Boku) Wien.
Zwischen dem Jahr 1975 und 2020 wuchs die Fläche der bebauten, einen Hektar großen Rasterzellen in Österreich von rund 9.000 auf etwa 12.700 Quadratkilometer, "nahezu die Fläche des Burgenlands", berichtete die APA. Hier eingeschlossen ist jegliche Fläche mit Bebauung, also auch innerstädtisches bzw. sehr verdichtetes Gebiet. "1975 war Österreich dabei überwiegend gering zersiedelt", so Brenner, 73 Prozent der bebauten Flächen wurden damals als gering oder sehr gering zersiedelt klassifiziert. "2020 waren es nur noch 35 Prozent", führte sie weiter aus.
Burgenland, OÖ, NÖ am stärksten zersiedelt
Im Bundesländervergleich zeigte sich, dass es in allen Bundesländern, bis auf Wien, einen Anstieg beim Zersiedelungsgrad gab. Die Fläche der bebauten Rasterzellen, die als sehr hoch zersiedelt gelten können, hätten sich aber in Oberösterreich, Kärnten und der Steiermark bis 2020 um das Acht- bis Dreizehnfache vergrößert. Das Burgenland, Niederösterreich und Oberösterreich waren 2020 die am stärksten zersiedelten Bundesländer.
"Verlieren mit den Böden unsere Lebensversicherung"
Das Phänomen der Zersiedelung ist dabei besonders durch freistehende Einfamilienhäuser, großflächige Gewerbegebiete und Einkaufszentren "auf der grünen Wiese" wahrnehmbar. Sie steht für einen hohen Flächenverbrauch pro Person und enorme Ressourcenintensität, wie Haberl meinte: "Wir überbauen in zersiedelten Strukturen, die besonders stark die Landschaft beeinträchtigen."
Katharina Rogenhofer, Sprecherin des Instituts "Kontext", verwies auf die Bedeutung der Böden, u.a. auch als CO2-Speicher und in ihrer Funktion als Versickerungsgebiete, insbesondere bei Starkregen, wie er sich gerade wieder in den vergangenen Wochen ergeben hätte. Mit dem Verlust an natürlichem Boden - Hochrechnungen gehen hierzulande von 12 Hektar pro Tag aus - "verlieren wir unsere Lebensversicherung". Zersiedelung, auch unter dem Aspekt des notwendigen Straßenbaus und weiterer Infrastruktur, führe zu mehr Ressourcenverbrauch, gleichzeitig spiele in zersiedelten Gebieten das Auto eine entscheidende Rolle.