"Ich trete heute mit einer sehr persönlichen Botschaft an Sie heran." Mit diesen Worten begann der Politiker Anfang November sein Statement vor den Medien. Er habe sich nach reichlicher Überlegung dazu entschieden, seine Laufbahn zu beenden, um sich stärker der Familie zu widmen, so Lindner.
Was war passiert? Der Landesrat, zuständig für Kinder- und Jugendschutz, ging schon länger mit dem Gedanken schwanger, zurückzutreten, um mehr Zeit für seine Frau und die beiden Söhne zu haben. Ein Roman bestärkte ihn schließlich in seinem Entschluss: In "Die Wut, die bleibt" skizziert Autorin Mareike Fallwickl frauliche Überlastung, die dramatisch endet.
Der "Spiegel" hat Lindner und die Schriftstellerin in Linz zum Gespräch getroffen. In seinem Leben werde sich jetzt "so ziemlich alles ändern", sagt er zu Beginn des Interviews. Der 41-Jährige bleibt einzig ehrenamtlicher Gemeinderat in seiner kleinen Heimatgemeinde. "Ansonsten bin ich zu Hause und orientiere mich komplett neu."
Er verweist darauf, dass es freilich nicht nur den Politiker, sondern auch noch den Menschen gebe. "Und der sagt: Jetzt habe ich zehn Jahre mit meinen Kindern versäumt, es wird Zeit für einen Cut. Jetzt kümmere ich mich um die zwei Jungs." Der scheidende Landesrat räumt freilich ein, dass er sich in einer privilegierten Situation befinde: "Ich kann es mir leisten. Ganz viele Frauen und auch Männer können das nicht."
„Ich kann es mir leisten. Ganz viele Frauen und auch Männer können das nicht.“Michael Lindnerüber seinen Rückzug
Aus Fallwickls Sicht ein Grund für eingefahrene Rollenbilder: "Weil wir ein System mit flexiblen Modellen wie zum Beispiel 'Shared Leadership', also geteilte Führung, nicht kennen. Gäbe es eine größere Gruppe an Menschen, die diese Politik macht, könnte man die Erwerbstätigkeit und die Care-Arbeit besser aufteilen, man könnte sich abwechseln, betont sie.
Lindners Söhne sind sieben und zehn Jahre alt. "Ein spätes Umdenken?", fragt der "Spiegel". "Ich hätte mir gewünscht, auch schon früher zu so einem Bewusstsein gekommen zu sein", sagt der scheidende Politiker. "Ich habe viel versäumt." Er schaue aber nun nach vorn und überlege, was er seinen Buben noch mit auf den Weg geben will. Für ihn steht fest: Die beiden würden jetzt bereits viel offener mit ihm kommunizieren.
„Österreich und Deutschland sind einfach ganz ganz weit hinten.“Mareike Fallwicklüber Möglichkeiten für Eltern
Und was würde sich Mareike Fallwickl von anderen Politikern, die ihr Buch lesen, für eine Reaktion wünschen? "Dass sie Möglichkeiten schaffen." Die Autorin verweist auf Staaten mit 98 Prozent der Väter in Elternzeit. "Es gibt auch Länder, da ist es viel einfacher, Jobsharing zu betreiben oder Shared Leadership. Österreich und Deutschland sind einfach ganz ganz weit hinten."