Wien
Polizeigewalt? Frau soll sich Schläge eingebildet haben
Eine junge Mutter aus Wiener Neustadt berichtet von Polizeigewalt. Aber das Verfahren wurde eingestellt, obwohl sie zwei Zeugen hatte.
"Wenn sie mir wenigstens vorwerfen würden, die Sache zu erfinden", erzählt die 23-jährige Luisa (Name geändert) aus Wr. Neustadt im "Heute"-Talk. Die junge Mutter und Rechtswissenschaften-Studentin fühlt sich wie im falschen Film. Sie soll von einem Beamten per Schlagstock verprügelt worden sein, erlitt eine Prellung des rechten Knies und ein Bluterguss am Ellenbogen, dazu eine Wunde am Finger.
Polizist mit Schlagstock
Zugefügt haben soll ihr das ein Polizist mit seinem Schlagstock, im Rahmen des umstrittenen Polizeieinsatzes bei einer Kundgebung am 1. Mai in Wien. Luisa zeigte den Beamten an, dieser wurde ausgeforscht, dementierte grundsätzlich, gestand aber einen Einsatz des Schlagstockes ein. Er könne außerdem nicht ausschließen, dass es zu einem Sekundärtreffer gekommen ist. Doch die Staatsanwaltschaft Wien stellt das Verfahren ein. Luisa sei einfach gestolpert und soll dies fälschlicherweise als "Misshandlung" interpretiert haben.
Es wäre nicht der erste aufsehenerregende Fall rund um den 1. Mai. Ein anderer Demo-Teilnehmer saß drei Tage hinter Gitter, weil er einen Beamten getreten haben soll.
Spontaner Besuch
Luisa hatte überhaupt nicht geplant, den 1. Mai in Wien zu verbringen. Eine langjährige Freundin lud sie ein, in der Bundeshauptstadt an jenem Samstag etwas essen und trinken zu gehen. Erst während der gemeinsamen Autofahrt erfuhr man von der Demonstration und entschloss, spontan den Reden zu lauschen.
Angespannte Lage
Bei der Ankunft war die Lage allerdings schon angespannt. Die Polizeipräsenz war groß, es kam zu ersten Festnahmen. Eine leere Dose flog in Richtung der Exekutive, eine Kette an Beamten drängte daraufhin die Teilnehmer ab, Schlagstock und Pfefferspray wurden eingesetzt. Die Freundinnen bekamen Panik. "Ich wollte dort so schnell wie möglich weg, zwängte mich durch eine schmale Hecke und sah dann, dass meine Freundinnen noch auf der anderen Seite standen", erzählt Luisa.
„"Mir ist das vorgekommen wie beim Krampus", erzählt Luisa“
"Plötzlich kam ein Polizist auf mich zu, der gerade einen älteren Mann mit dem Schlagstock schlug. Ich blieb erschrocken neben der Hecke stehen. Der Beamte ließ von dem Mann ab und stieß mich in die Hecke. Ich dachte zuerst er wolle mich einfach aus dem Weg haben, doch als ich schon in der Hecke lehnte, fing der Polizist an auf mich einzuschlagen. Auf meinen Ellbogen, die Hüfte und das Knie. Ich habe weder etwas zu ihm gesagt noch mich ihm genähert. Es war mir völlig unerklärlich, mir ist das vorgekommen wie beim Krampus", berichtet die 23-Jährige.
Luisa traf wieder auf ihre Freundinnen, eine hatte die Schläge beobachtet, die andere sah nur den vorangegangenen Stoß. Das Trio setzte sich auf die Wiese, die Lage war inzwischen ruhiger, lauschte den Redebeiträgen und begutachtete die Verletzungen.
Einschüchterung nach Anzeige?
Nachts im Bett schmerzte Luisa indes jede Bewegung. Am 2. Mai, gegen 12 Uhr, suchte sie die Unfallchirurgie Wiener Neustadt auf und ließ sich die Verletzungen attestieren. Zwei Stunden später erstatte sie mit ihrer Mutter Anzeige bei der Polizei – gegen die Polizei – und nannte die beiden Zeugen sowie deren Telefonnummer. Die Ambulanzkarte, die Anzeige sowie alle weiteren Dokumente liegen "Heute" vor.
Das Bein schmerzte weiterhin "außerdem war ich sehr schreckhaft und hatte Albträume". Zwei Tage später klingelte es um 8 Uhr Früh an der Tür. Drei Uniformierte standen vor Luisa, fragten, ob sie diejenige sei, die den Polizisten angezeigt habe. Der Kollege habe vergessen, ihre Telefonnummer zu kontaktieren, deswegen seien sie hier. Luisa empfand dies als Einschüchterung.
Erste Zeugenvernehmung
Wenige Tage später kam es schließlich zur Vernehmung der ersten Freundin als Zeugin, sie ging allein zur Polizeiinspektion Gloggnitz (Neunkirchen). Das erste, das ihr dort entgegenhalten worden sei, war, was sie als alleinerziehende Mutter überhaupt auf einer Demonstration mache. Die Befragung empfand sie als einschüchternd, ihr seien die Worte im Mund verdreht worden, ständig sei auf die 700 Euro Strafe bei Falschaussage verwiesen worden. Aufgelöst und den Tränen nahe unterschrieb sie schließlich ihre Aussage.
"Von uns drei war Luisa als erste durch die Hecke gegangen", erzählte sie den Beamten laut Protokoll. Sie sah damals den Schlag auf den anderen Mann, rief ihrer Freundin zu, dass sie aufpassen solle. "Dann ließ der Polizist von dem Mann ab, sah Luisa an und stieß sie in die Hecke. Sie lehnte daher rücklinks an der Hecke. Er sah sie an und schlug ihr drei Mal mit dem Schlagstock in den Bereich des Ellenbogens, rechte Hüfte und aufs rechte Knie."
„"Sie zog sich vor allen Leuten die Hose runter" - aus dem Protokoll“
Der befragende Beamte hakte ein, den Schlag aufs Knie habe sie gar nicht sehen können, wegen der Hecke. Und überhaupt könne sie ja auch nicht ausschließen, ob die Verletzungen nicht schon vorher passiert sind. Die Rötung am Knie hatte Luisa ihren Freundinnen gezeigt, als sie auf der Wiese saßen. Sie hatte deswegen die Hose übers Knie gezogen. Im Protokoll stand: "Sie zog sich vor allen Leuten die Hose runter". Der nachträglichen Bitte, diesen Satz zu löschen, wurde nicht stattgegeben.
Ihre Freundin fertigte daraufhin ein Gedankenprotokoll der Vernehmung an und übermittelte dieses der Wiener Polizei. Zwei Tage später legte die außerdem Beschwerde ein, die Antwort kam nach zwei Monaten, am 5. Juli. Der Postenkommandant habe die Beamten befragt und konnte keine Hinweise auf unrichtiges Verhalten finden.
Zweite Zeugenvernehmung
Die Zeugeneinvernahme der zweiten Freundin verlief ohne besondere Vorkommnisse in Wiener Neustadt. Die Freundinnen waren noch nie auf einer Demo, wollten auch nur die Schlusskundgebung im Park anhören. Dabei sei auch sie von einem Polizisten weggestoßen worden, blieb aber unverletzt.
Sie gab an, den für sie grundlosen Stoß gegen Luisa in die Hecke gesehen zu haben. Daraufhin hätte sie zwecks Videoaufnahme ihr Handy aus der Hosentasche geholt. Doch da war der Vorfall schon vorbei. Die Schläge selbst hat sie deswegen nicht gesehen.
Verfahren eingestellt
Das Referat "Besondere Ermittlungen" berichtete mittels Anfangsverdacht an die Staatsanwaltschaft Wien. Einer parlamentarischen Anfragebeantwortung zufolge war Luisas Fall einer von drei Beschwerden wegen mutmaßlichen körperlichen Übergriffen, denen nachgegangen wurde (und in zwei Fällen immer noch wird). Am 14. Juli folgte dann die Benachrichtigung über die Einstellung des Verfahrens. Luisas Anwältin beantragte eine Begründung.
Begründung
Einleitend wurde die erste Freundin zitiert, die die drei Schläge gesehen hat. Der Beamte habe davor nichts zu Luisa gesagt. Daraufhin wurde auf die zweite Zeugin Bezug genommen, die nur den Stoß gesehen hat. Abschließend wurde die Sicht des ausgeforschten Beamten geschildert.
Das sagt der Beamte
Der beschuldigte Polizist gestand im Zuge seiner Einvernahme am 22.6.2021 ein, "den Einsatzstock gegen einzelne Personen angewandt", diese Anwendungen aber ordnungsgemäß dokumentiert zu haben. Die Prügel-Vorwürfe wies er zurück. Er könne jedoch nicht ausschließen, dass es durch die Anwendung des Einsatzstockes gegen unbekannte Täter zu einem Sekundärtreffer bei Luisa gekommen sei. Viele Personen kamen zu Sturz, doch keinesfalls habe er den Einsatzstock drei Mal bewusst und gezielt auf eine am Boden bzw. im Gebüsch liegende weibliche Kundgebungsteilnehmerin eingesetzt.
Die Staatsanwaltschaft sah deswegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des angezeigten Exekutivbeamten. Dabei verwies man insbesondere auf die Aussage der zweiten Freundin. Die Staatsanwaltschaft befand, dass Luisa im Zuge eines Tumults zu Sturz kam und sich dadurch die Verletzungen zuzog. "Es ist davon auszugehen, dass die Betroffene die rechtmäßig angewandte Körperkraft subjektiv als 'Misshandlung' empfand." Es bestehe kein Grund zur Annahme einer wissentlichen falschen Verdächtigung.
Wie es weiter geht
Das Vertrauen ins österreichische Rechtssystem hat Luisa dadurch verloren – und das als Studentin der Rechtswissenschaften. Rechtlich wäre noch ein Fortführungsantrag möglich, doch an dessen Sinnhaftigkeit zweifelt sie. Vor allem, weil der jungen Mutter auch so schon genug Kosten für die anwaltliche Vertretung entstanden sind.
Sie kritisiert außerdem, dass es noch immer keine polizeiexterne Beschwerdestelle für Misshandlungsvorwürfe gegen Organe der Sicherheitsexekutive gibt, obwohl dies schon lange gefordert wird. Der "Verein zur Dokumentation von staatspolitischen Handlungen im privaten und öffentlichen Raum" ("Antirepressionsbüro") hätte allerdings bereits einen Schritt in die richtige Richtung gemacht und ihr sehr weitergeholfen.