Mit Behinderung geboren
Wiener Mama wollte eigenes Kind gar nicht im Arm halten
Erika F. (61) ist seit über 30 Jahren Mutter einer schwerbehinderten Tochter. "Heute" erzählt sie, wie sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden hat.
Die Wienerin Erika F. (61) ist Mutter zweier Töchter, die Jüngere kam mit einer schweren Entwicklungsstörung zur Welt. Erikas Leben gleicht nun seit über dreißig Jahren einer Achterbahnfahrt. Die Alleinerziehende war ab der Geburt pflegende Angehörige und arbeitslos. Vor einem Jahr konnte sie ihre Pension antreten, "das erleichterte meine Situation um einiges". Im "Heute"-Gespräch blickt sie auf die turbulenten Jahre zurück.
"Ich hätte die Schwangerschaft abgebrochen"
Noch vor der Geburt ihrer zweiten Tochter wollte Erika eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen und hat dafür bewusst einen Privatarzt aufgesucht. Dieser lehnte die Untersuchung aber vehement ab und reagierte auch auf Erikas Nachfragen nicht mehr. "Es war, als hätte er sich vor mir versteckt". Bis heute ist Erika sichtlich aufgebracht über die Situation. "Durch diese Untersuchung hätte ich erfahren, dass mein Kind eine Behinderung hat. Und ich hätte mich gegen die Schwangerschaft entscheiden können und es auch getan".
Schweres Schicksal
So bekam Erika ein Kind mit sichtbarer Behinderung. "Ich war schockiert und wollte mein Kind anfangs gar nicht im Arm halten. Sowas 'Schirches' erwartet man als Mutter einfach nicht". Auch der Oberarzt machte ihr damals kaum Hoffnung. "Er meinte, dass mein Kind ein Pflegefall bleiben werde".
Erst die Worte einer Psychologin konnten Erika helfen. "Sie erklärte mir, dass mein Kind mich als Mutter ausgesucht hätte. Ich sei stark genug, um ein Leben mit einer behinderten Tochter führen zu können". Und sie durfte recht behalten, denn Erika betreute ihre Tochter so gut, dass diese heute auch gehen und etwas sprechen kann.
Als ihre Tochter 25 war, wurden bei einer Routineuntersuchung des Blutbildes Auffälligkeiten festgestellt. Auch Erika wurde daraufhin genauer untersucht. "Dabei wurde festgestellt, dass meine Tochter ein Chromosom zu wenig hat. Ich aber eines zu viel. Das war der Grund, warum sie mit einer Behinderung zur Welt kam".
AMS-Schikane erschwerte ihr Leben
"Ich bin über das österreichische Sozialsystem wirklich sehr froh, denn nur durch Arbeitslosen- und Pflegegeld konnte ich das Leben mit meiner Tochter bisher so gut bestreiten". Dennoch fühlte sich die Mutter vom AMS immer wieder ungerecht behandelt. "Ich wollte und musste mich 'Vollzeit' um meine Tochter kümmern und konnte daher nicht einfach arbeiten gehen. Anfangs versuchte ich es, ich bin gelernte Schneiderin und fand einen Job. Doch man trennte sich schnell wieder von mir, da ich nur unregelmäßig arbeiten konnte".
Erika zählte schnell zu den sogenannten Langzeitarbeitslosen. "Ich wurde schnell in eine Schublade mit Menschen gesteckt, die absichtlich nicht arbeiteten. Faulen Menschen, die zu Unrecht unterstützt werden". Sie musste sich für zahlreiche Jobs bewerben und Kurse belegen.
Zu einem ihrer AMS-Termine musste sie auch ihre Tochter mitnehmen, weil niemand auf sie aufpassen konnte. "Meine Betreuerin sah meine Tochter brav in der Ecke sitzen und behauptete, dass sie nicht behindert wäre. Ich würde nur Ausreden erfinden, um nicht zu arbeiten".
Wunsch nach mehr Unterstützung
Die ersten Jahre mit ihrer Tochter waren schwierig. "Ich musste meine Wohnung, mein ganzes Leben auf ihre Bedürfnisse abstimmen – ich war extrem überfordert". Erika F. wünscht sich von Behörden und Spitälern mehr Unterstützung, wenn man mit einem behinderten Kind nach Hause entlassen wird. "Mein Kind konnte anfangs durch die Lippenspalte nicht trinken und wurde immer dünner. Ich war ratlos. Sie wurde erst später operiert, nachdem ich Ärzte darauf aufmerksam machte".
Danach suchte sie sich Hilfe beim Jugendamt und man schickte ihr einen Besuchsdienst. Dieser sollte sie im Alltag unterstützen. "Es war aber nur zusätzlicher Stress, weil ich immer die Wohnung putzen wollte, bevor sie kamen. Ich wollte nicht, dass andere für mich aufräumen". Sie stornierte den Dienst nach einer Woche wieder.
"Als Mutter trägt man Verantwortung"
Es sei bis heute kein leichtes Leben, doch Zeit, um über ihr Schicksal nachzudenken, blieb bisher nie. "Ich war schon immer sehr sozial und kümmerte mich oft um die Probleme anderer. Dabei habe ich vollkommen auf mich vergessen, konnte also weder depressiv noch alkoholabhängig werden. Eine Mutter trägt die Verantwortung für das Wohl ihres Kindes".
In ein betreutes Wohnen wollte sie ihre Tochter lange nicht geben. "Doch jetzt bin ich in Pension und würde mir schon auch noch ein bisschen Zeit für mich wünschen. Meine Tochter will aber nicht ausziehen, wir haben uns natürlich sehr aneinander gewöhnt", erklärt Erika im Gespräch. Für andere opfere sie sich jetzt in der Pension aber nicht mehr auf. "Ich habe keinen Bock mehr auf den Blödsinn anderer Menschen."
"Ich kämpfe um mein Recht"
Als die Pension für Erika näher rückte, machte sie sich erstmals auch intensivere Gedanken über ihre weitere finanzielle Situation. "Ich habe gehört, dass man sich die Jahre als pflegender Angehöriger nachverrechnen lassen kann. Wusste aber nicht, ob das auch in meinem Fall für ganze 30 Jahre machbar ist". Beim ersten Versuch wurde ihr erklärt, dass es diese Regelung nicht mehr gebe und man ihr maximal ein Jahr verrechnen könne. "Das ließ ich aber nicht auf mir sitzen, informierte mich bei der Ombudsstelle der PVA und versuchte mein Glück nochmal".
"Heute" hat nachgefragt – die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) hat dazu folgendes geantwortet:
"Die Anrechnung der Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes ist gesetzlich geregelt (Selbstversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes § 18a ASVG, Selbstversicherung für pflegende Angehörige § 18b ASVG). Hierzu ist anzumerken, dass der versicherten Person dabei keine Kosten erwachsen. Die Beiträge werden aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und aus Mitteln des Bundes getragen. Wir empfehlen unseren Kunden, sich mittels persönlicher Beratung bei unseren Mitarbeitern zeitgerecht zu informieren".
Erika wurde geraten, all ihre Unterlagen gesammelt einzusenden, man würde sich den Fall nochmal im Detail ansehen. "Und siehe da, es hat funktioniert und ich bekomme jetzt eine normale Pension. Eine Sorge weniger in meinem Leben". Für die Zukunft wünscht sich die Alleinerziehende, einmal alleine auf Urlaub fahren und Energie tanken zu können. "Wie es mit meiner Tochter weitergeht, wird die Zeit zeigen. Wichtig ist mir aber noch zu sagen, dass man niemals aufgeben und immer um sein Recht kämpfen sollte. Auch wenn Behörden oft im Weg stehen. Ich habe gezeigt, dass man alles schaffen kann."