"Horror in meinem Zuhause"

Wegen 12 Euro – Frau zu zehn Jahren Haft verurteilt

Eine junge Ukrainerin soll für zehn Jahre in eine russische Strafkolonie. Sie habe mit einem Kleinstbetrag für humanitäre Hilfe "Terror finanziert".
23.03.2025, 11:09

Umgerechnet knapp 12 Euro könnten Kateryna Korovina nun zehn Jahre ihres Lebens kosten. Die 28-jährige Ukrainerin hatte nach Beginn der russischen Invasion Kleinstspenden für humanitäre Hilfe in ihrer Heimat getätigt. Dafür wurde sie Ende Februar dieses Jahres von einem russischen Militärgericht wegen "Finanzierung von Extremismus und Terrorismus" verurteilt.

"Die irrsinnige Strafe hat mich eher zum Lachen gebracht", schrieb sie später in einem Brief aus dem Gefängnis. Das freie russische Portal "Mediazona" und die Menschenrechtsorganisation KHPG aus Charkiw berichteten jetzt über ihren erschütternden Fall.

"Plötzlich ein Fremder im eigenen Zuhause"

Korovina lebte demnach bis zu ihrer Verhaftung bei ihren Eltern in der kleinen Ortschaft Pishchane am Rande von Starobilsk. Die Gemeinde geriet bereits Anfang März 2022 unter russische Kontrolle. Anstatt auf jubelnde Bürger trafen Putins Schergen bei ihrem Einmarsch allerdings auf Widerstand. Nach der illegalen Annexion der Region Luhansk sollten alle Donbass-Bewohner ihren ukrainischen Pass vernichten und "Russen" werden – die 28-Jährige verweigerte.

Warum, erklärte sie emotional vor Gericht: "Ich kenne keinen anderen Ort auf der Welt, an dem man eines Tages aufwacht und plötzlich ein Fremder in seinem eigenen Zuhause ist, wo man geboren und aufgewachsen ist. Das ist surreal, wirklich! Was hätte ich denn tun sollen? Den Pass eines Landes annehmen, das nicht das meine ist? Und was, wenn China uns morgen holt – soll ich dann auch einen chinesischen Pass nehmen?"

Sie selbst habe Mühe, die russische Invasion zu verkraften, ihre Familie sei dadurch auseinandergerissen worden: "Was soll ich fühlen? Auf der einen Seite habe ich Verwandte in Russland, die ich liebe. Auf der anderen Seite habe ich Verwandte in der Ukraine, um die ich mich jeden Tag sorge. Und was sehe ich vor mir? Zerstörte Städte, die ich als heil, schön und wohlhabend in Erinnerung habe."

Agenten Andrej und Maksim

Nach zwei Jahren unter russischer Besatzung geriet sie schließlich im März 2024 ins Visier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Auf dem Weg zu einer Apotheke lauerten ihr zwei unbekannte Männern in Zivilkleidung auf, zwangen sie in ein Auto. Dort wartete bereits Agent "Maksim" auf sie. Dieser verhörte sie noch im Wagen mehrere Stunden wegen eines angeblichen Spionageverdachts. Später kam noch ein zweiter Agent, "Andrej", dazu und drohte: Sollte sie nicht kooperieren, müsse er einen "anderen Ansatz" wählen.

In einer Polizeiwache wurde das Verhör fortgesetzt. Immer wieder hätten ihr die FSB-Agenten psychisch zugesetzt, sie angeschrien, dass sie der Grund dafür sei, dass der Krieg immer noch tobe. Für ihren Spionageverdacht fanden die Russen keine Beweise – dafür etwas anderes.

Aus Angst vor Folter hatte Korovina den Männern das Passwort zu ihrem ukrainischen Bankkonto genannt. Maksim schoss sich auf zwei kürzlich getätigte Überweisungen ein. Stundenlang habe der FSB-Offizier ihr daraufhin eingehämmert, dass sie "Terroristen und Extremisten" finanziert habe. Der russischen Logik nach fließt alles Geld, das in die Ukraine geschickt wird, am Ende ans Militär und damit zur rechtsextremen Gruppierungen wie "Asow" und dem "Rechten Sektor".

"Geständnis" unterzeichnet

Korovinas Erklärung, dass ihre kleinen Spenden für humanitäre Hilfe an Zivilisten bestimmt waren, interessierte niemanden: "Maksim sagte mir, ich solle aufhören, mich dumm zu stellen und das Protokoll unterschreiben". Das tat sie auch – und belastete sich damit selbst.

Direkt im Anschluss wurde sie von den russischen Ermittler zu einer Hausdurchsuchung bei ihrer Familie mitgeschleift. Auf dem Weg dorthin belehrte sie einer der Agenten gemäß der Kreml-Propaganda darüber, dass die Ukraine "nie als echtes Land existiert" habe und dass "die Ukrainer keine Nation" seien. Erst danach wurde sie vorerst auf freien Fuß gesetzt, aber weiter überwacht.

Im Juni standen dann plötzlich schwer bewaffnete und maskierte Einheiten in Begleitung vor der Tür ihres Elternhauses, um sie vor Gericht zu zerren. Eine Frau filmte alles mit, die Aufnahmen der Verhaftung wurden mit jenen aus der Polizeistation gemischt und als Propaganda-Video veröffentlicht. Korovina schilderte später, dass sie unter vorgehaltener Waffe vor laufender Kamera habe behaupten müssen, sie habe "Terroristen und Extremisten" unterstützt. Im Video wird sie als "enttarnter Fan von Asow und dem Rechten Sektor" betitelt.

1,22 Euro für jedes Lebensjahr

Korovina verbrachte den nächsten Monat in einer provisorischen Haftanstalt, wurde psychologisch und psychiatrisch untersucht, musste neue Protokolle unterzeichnen. Erst am 5. Juli wurde sie offiziell in Untersuchungshaft genommen.

Die Anklage sie stützte sich schlussendlich auf neun Transaktionen zwischen Jänner und März 2024 die auf Konten einer ukrainischen Bank überwiesen worden waren. Der Verteidiger hielt gegenüber Mediazona fest, dass die russischen Ermittler keinen der Empfänger identifiziert hatten: "Die Tatsache, dass sich die Bank auf dem Territorium der Ukraine befindet, reichte aus. Sie haben sich nicht darum gekümmert, was sie [in die Anklageschrift] schreiben. Nach dieser Logik könnten sie jeden der Terrorismusfinanzierung beschuldigen, nur weil er Geld in die Ukraine schickt."

Vor Gericht plädierte die junge Frau schließlich auf "nicht schuldig" und widerrief das von ihr unterzeichnete "Geständnis". Das interessierte den Richter allerdings wenig. Er verurteilte sie zu zehn Jahren Haft in der schlimmstmöglichen Strafkolonie. "Die irrsinnige Strafe von 10 Jahren hat mich überhaupt nicht erschüttert, sondern eher zum Lachen gebracht", schrieb sie später mit Galgenhumor aus der Haftanstalt: "Ich habe ausgerechnet, dass sie jedes meiner Lebensjahre mit [1,22 Euro] bewerten, und das ist wirklich lustig."

"Horror in meinem Zuhause"

Die junge Ukrainerin beendete ihr Schlussplädoyer vor Gericht mit einem selbstverfassten Gedicht. In russischer Sprache trug sie die Verse mit dem Titel "Horror in meinem Zuhause" vor:

Nie mehr werde ich meine Heimat spüren,
Noch höre ich das Summen des Windes oder das Wiegenlied der Vögel,
Denn der Schrecken, einst ein entfernter Traum,
ist zu nahe gekommen, um uns alle zu beugen.

Auch wenn einige diesen Schrecken mit ihren Blumen begrüßten,
wussten die meisten, dass dies kein wahrer Frieden war.
Wir werden in unseren eigenen Häusern versklavt werden,
Wenn wir dieses Grauen akzeptieren und es sein lassen.

Wir werden auf den Ruinen unserer Träume herumlaufen,
Und begraben die Hoffnung in einem flachen Grab,
Um ein Heim aus diesen Qualen zu bauen,
Aus Gespenstern, Leere und Hilflosigkeit.

Aber ich lehne ein solches Leben ab, ich will einfach nicht...
Ich bin müde von diesen Scherben und der Asche in der Hand
Von allem, was hell ist, für immer verloren,
Und das Zusammensetzen hört nie auf.

Doch ich werde mich nie von meiner wahren Heimat abwenden,
Denn dort wurde ich geboren und mein Wort war echt;
In meinem Herzen wird seine Wärme immer glühen,
Auch wenn das Band der Fesseln schwer zu heilen ist.

Denn das sind wir, die Ukrainer, in unserem Kern,
Mit Jahrhunderten der Einheit im Rücken,
In unseren Herzen wird die Flamme der Freiheit immer leuchten,
Und die Liebe zur Ukraine wird in unseren Köpfen sein.

"Kann es mir nicht erlauben, zu verzweifeln"

"Ich wollte zeigen, dass, egal welche Strafe sie mir auferlegen, sie mich nicht brechen oder sich meine Überzeugungen ändern würde", erklärte sie ihre Beweggründe für diesen ungewöhnlichen Schritt: "Ich habe mir gleich zu Beginn dieses ganzen Alptraums versprochen, nicht aufzugeben, da sonst alle Bemühungen umsonst waren und das Böse die Oberhand gewinnen wird. Ich kann es mir nicht erlauben, zu verzweifeln, so sehr ich es manchmal auch möchte."

Korovina sitzt, soweit bekannt, weiterhin in Rostow am Don in Untersuchungshaft. Das Urteil ist derzeit nicht rechtskräftig.

Quellen

"Mediazona"-Bericht (10. März 2025)

KHPG-Bericht (14. März 2025)

Memopzk-Bericht (13. Dezember 2024)

Memopzk–Profil

Video der russischen Ermittlungsbehörde (11. Juni 2024)

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