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Ein Drogentrip, der selbst Abstinente süchtig macht
2016 ging We Happy Few im Early Access an den Start. Nun ist das finale Game da und hat sich grundlegend geändert. Zum Positiven.
Vor zwei Jahren startete We Happy Few mit starkem Survival-Fokus einen Hype, der in den Monaten darauf immer weiter abflaute. Dann entschied sich Entwickler Compulsion Games dazu, dem Titel eine ganz neue Richtung zu geben. Was nun auf PC, PlayStation 4 und Xbox One erschien, hat nur wenig mit dem Grundkonzept gemein. Und das ist auch gut so.
Das Action-Adventure We Happy Few versetzt den Spieler in die nur auf den ersten Blick beschauliche Idylle von Wellington Wells, einer britischen Küstenstadt. Schnell ruft das paradiesische Örtchen Zweifel hervor, denn hier sind alle Bürger gut gelaunt, lachen den ganzen Tag und die Bauten und Anlagen sind bunt und friedlich wie aus einem Märchenbuch. Das ist tatsächlich zu schön, um wahr zu sein.
Wellington Wells birgt eine dunkle Geschichte, allerdings in einer anderen Zeitlinie. Hier haben die Vereinigten Staaten die Briten im Zweiten Weltkrieg im Stich gelassen, Deutschland hat das Königreich erst in Schutt und Asche gebombt und dann besetzt. In Wellington Wells allerdings geschah "etwas sehr Böses", was die Deutschen dazu brachte, die Stadt zu verlassen. Allerdings: das "Böse" war so "Böse", dass die Einwohner mit der Schuld nicht weiterleben konnten. Die Lösung? Eine Droge, die glücklich macht.
Die Story ist ein Glanzstück
In Wellington Wells wird seither von jedem "Joy" geschluckt, eine rosafarbene Pille, die Bürger rundum glücklich macht und jedwede negative Wahrnehmung und Emotion blockiert. In dieser Situation schlüpft man in die Haut von drei Charakteren: Arthur Hastings, Zensor der Stadt und beauftragt, die Bürger nur Schönes denken zu lassen; Sally Boyle, tätig als Stadtchemikerin; und Ollie Starkey, scheinbar von einer Geisteskrankheit befallen.
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Eindrucksvoll ist, dass We Happy Few den Survival-Aspekt der Erstversion etwas zurückgedreht hat und einer unglaublich starken, intensiven und wendungsreichen Handlung Vorrang gegeben hat. Die Story macht süchtig und bleibt gleichzeitig glaubwürdig. Schon der Beginn ist gut getroffen: Als Arthur Hastings Drogendosis nachlässt und er sich wehmütig an seinen Bruder Percy erinnert, der wie alle Kinder unter 13 Jahren als "Tauschgeschäft" nach Deutschland geschickt wurde.
Schicksale, Hoffnungen, Drogentrips
Weil das Familienschicksal dem Protagonisten keine Ruhe lässt, setzt er illegal seine Drogen ab und stellt sich dem Entzugs-Horror. Ganz regimetreu meldet der Arbeitskollege nämlich den Behörden unseren Drogenentzug und schon hetzen Polizisten mit weiß bemalten Grinsegesichtern hinter uns her. Noch während der Flucht bekommt der Spieler den Entzug auf schockierende Weise serviert: Kadaver, Giftmüll, Ruinen wohin das Auge blickt. Aber es gibt auch jene, die sich nach dem Drogenparadies und der Glückseligkeit sehnen, aber wegen einer Allergie nicht nach Wellington Wells kommen können.
Grafisch und handlungstechnisch ist We Happy Few eine wahre Perle geworden, die sich vor ganz großen Titeln wie BioShock, Detroit: Become Human oder Deus Ex nicht verstecken muss. Düster und hoffnungslos geht es zu, immer wieder unterbrochen durch fantastisch getroffene und kunterbunt gestaltete Drogen-Flashs. Dazu kommt eine spielerische Abwechslung durch die drei Charaktere: einer gilt als Schlossknacker und beschäftigt sich großteils mit Suchen, einer geht es grober mit Explosionen an und einer schleicht sich lieber durch die Gegend. Die Erlebnisse der Figuren überkreuzen sich dabei und sorgen für die Auflösung der verstrickten Geschichte.
Schlaf, Hunger und Durst
Anfangs führt ein in die Story verwobenes Tutorial durch das Spiel und zeigt, wie man in Schutzräumen Heilmittel, Gegenstände und Waffen herstellen kann. Die Materialen dazu ergattert man beim Erkunden der Spielewelt. Sensationell dabei: die Umgebung reagiert etwa darauf, wie unsere Figur gekleidet ist. Verkleidet man sich mit billigen Lumpen, fällt man in Ruinen kaum auf. Stolziert man allerdings mit Luxusklamotten herum, werden andere Spielfiguren misstrauisch und teils auch handgreiflich.
Zurückhaltend wurde das Fähigkeitensystem umgesetzt: es bietet nur einige Möglichkeiten, etwa Schleichattacken. Anfangs muss man sich da noch mit einem Holzprügel der Angreifer erwehren. Auch das Kampfsystem ist nicht allzu tiefgehend, besteht aus Blocken und Zuschlagen. Der Freude am Spiel tut dies aber keinen Abbruch. Dafür, dass es bei We Happy Few kein schnelles Durchlaufen der Story gibt, sorgen die Energieanzeigen. Unser Charakter muss schlafen, essen und trinken. Gespielt werden kann aber auch müde und hungrig, statt des Tods gibt es als Konsequenz eben nur verringerte Kraft oder Laufgeschwindigkeit.
Abwechslungsreich, mit Wacklern
Gekonnt wurde kleine Nebenmissionen in die Haupthandlung eingewoben. Mann muss zum Beispiel nicht bei einem Bevölkerungsgrüppchen für ungewöhnlichen Drogennachschub sorgen, will aber einfach wissen, wie die Gruppe die Sucht in den Griff bekommen will. Einzig etwas eintönig werden auf Dauer die immer und immer wieder auftauchenden Gegner, die man immer und immer wieder stoppt. Ansonsten wirkt nichts ihn der Welt von We Happy Few wie eine Wiederholung, und schon gar nicht kommt Langeweile auf.
Ankreiden kann man dem Titel, was von einem Update behoben werden könnte: im Test kam es zumindest in der PC-Version zu einigen Framerate-Einbrüchen und Rucklern sowie groben und wackeligen Animationen. Einige könnte auch das Ausmaß an zwingend einzusammelnden Items abschrecken, die notwendig sind, um die Geschichte voranzutreiben. Die Fehler stellen aber die Klasse der Handlung, die gut funktionierende Steuerung, die detailverliebte Grafik, die treffend gewählte Musik und die atmosphärische Welt nicht in den Schatten.
Blick in den Spiegel
Den Entwicklern darf man dazu gratulieren, von dem etwas inhaltsleeren Survival-Aspekt abgekommen zu sein und das Spiel in eine stark handlungsgetriebene Richtung gebracht zu haben. We Happy Few ist nicht nur ein absolut gelungener Action-Adventure-Tipp geworden, sondern ist auch ein bissiger Kommentar zu Diktatur, Manipulation, Drogen, Gesellschaft und Klassenkampf.
Und auch wenn die toll umgesetzten Figuren in Grafik und Verhalten überzeichnet präsentiert werden – sie handeln oft selbstsüchtig sowie verstörend – halten sie wohl den meisten Spielern in den gut 25 Stunden Spielzeit mehr als nur einmal den Spiegel vor.