"Würde die gesamte Bevölkerung so dicht leben wie in Manhattan, würden fast alle acht Milliarden Menschen auf der Welt in ein Gebiet der Größe Deutschlands passen. Die Stadt ließe dann genug Platz für Land und Natur", meint Klimaökonom Gernot Wagner bei seinem Wien-Besuch.
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Der gebürtige Amstettner (Niederösterreich) forscht an der Columbia Business School, lebt mit seiner Frau sowie ihren beiden Kindern in einem 70 Quadratmeter großen Apartment in New York, lebt klimagerechtes Wohnen tagtäglich vor. "Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Welt retten", heißt der Untertitel seines Buches "Stadt, Land, Klima".
Ja, genau. Das heißt natürlich nicht, dass jeder in Manhattan wohnen muss. Amstetten ist auch eine Stadt. Mir geht es um die wirkliche Stadt – eben nicht um die Einfamilienhaussiedlung im Speckgürtel.
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Land, wirkliches Land, ist fantastisch. Darum geht's: Stadt macht wirkliches Land erst möglich, und umgekehrt natürlich auch. Aber nein, das Haus "im Grünen" ist weder tatsächlich im Grünen, noch ist es selbst irgendwie grün. Das dient meist einfach nur der Quadratmetermaximierung auf Kosten von fast allem – Pendelzeit einerseits, aber auch Lebensqualität.
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Der Zwölfjährige würde viel lieber zu Freunden und Pommes ins städtische Schwimmbad gehen, anstatt in den kleinen Pool im eigenen Garten.
Und die Vierzehnjährige verbringt schon seit jeher ihre Zeit alleine im Zimmer am Handy anstatt mit Freunden offline zu sprechen. Vereinsamung, Naturverschleiß... vieles lässt sich auf eben diese Zersiedlung zurückführen.
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In Österreich gibt es mittlerweile genug Ein- und Zweifamilienhäuser, dass alle Österreicherinnen und Österreicher zu viert bzw. zu acht so leben könnten, ohne ein einziges neue Haus zu bauen. Alles andere – alle Städte einerseits, alle Vierkanter andererseits – stünden komplett leer.
Ich finde, es braucht einen Netto-Baustopp – so schnell wie möglich. Wer dann noch ein Einfamilienhaus will, kauft ein bestehendes, das thermisch saniert und nachgerüstet wird.
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Umwidmungskompetenz darf einfach nicht bei der Gemeinde liegen, die dann auch Kommunalsteuer kassiert. Flächennutzung müsste zumindest auf Landesebene geregelt werden.
Subventionen für den Individualverkehr fördern die Zersiedelung, das gehört gestoppt. Mobilitätswende hängt eng mit dem Ende der Bodenversiegelung zusammen
Es bedarf natürlich auch eines gesellschaftlichen Umdenkens. Auf kleinem Fuß in der Stadt zu leben, hat nichts mit Steinzeit zu tun, sondern eher mit höchst moderner Technologie – vom Elektro-Faltrad zur Wärmepumpe.
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Es scheint teils so. Die Mobilitäts- und Energiewende könnte und müsste tatsächlich viel schneller gehen. Andererseits verlangt Krieg tatsächlich nach radikalen Maßnahmen. Da ist das Aufsperren eines Kohlekraftwerkes noch das geringere Übel. Und ja, es hat in den letzten sechs Monaten so manche versäumten Chancen gegeben, viel mehr zu tun.
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Wo blieb am 25. Februar der Aufruf (Anmerkung: Russland marschierte am 24. Februar 2022 in die Ukraine ein), die nächsten zwei oder drei Wochen, während denen noch fleißig geheizt wurden, Büros eben nicht zu beheizen und von zu Hause zu arbeiten? Wo bleibt das Gesetz, dass es keine neuen Dächer ohne Solaranlage geben darf? Tempo 100? Die Windräder im Westen Österreichs?
Das ist die Billionen-Euro Frage, auch eine zwischen Krieg und Frieden. Die Radikalkur würde Kriegswirtschaft bedeuten. Aus europäischer Sicht wäre es um einiges besser, russisches Gas proaktiv abzudrehen, anstatt es Putin als Kriegswaffe einsetzen zu lassen – und ihm dabei täglich fast eine Milliarde Euro für Öl und Gas zu überweisen. Das bedeutet vieles, angefangen mit einem Preisdeckel bis anderen Einschritten in den Energiemarkt, der ja mittlerweile ohnehin nicht mehr funktioniert.
Das Abfackeln ist ein großes Problem, aber die CO2-Emissionen sind ja dadurch kaum höher, als wenn das Gas geliefert und dann in österreichischen Gasthermen verbrannt worden wäre. CO2 ist CO2, egal wo es entsteht.
All das zeigt vielmehr, wie sehr Putin dazu bereit ist, Gas als Waffe gegen Europa zu verwenden. Und ja, da wäre es um einiges besser gewesen, hätte Europa proaktiv reagiert und vor Monaten schon den russischen Gashahn abgedreht, anstatt Putin monatelang eine enorme Preisprämie zu zahlen.
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Wenig.
Es geht um die Implementierung der Paris-Ziele, dem 1,5-Grad-Ziel. Da haben Klima- und Energie-MinisterInnen einerseits und Unternehmen andererseits viel zu tun. Die COP27 ist dabei ein weiterer Schritt, aber "die da oben" werden es nicht lösen. Die Implementierung muss schon auf EU- und nationaler Ebene passieren.
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Kaum, aber ein jedes 0,1 Grad zählt. Solche globalen Ziele sind also schon richtig. Sie fokussieren. Sie motivieren. Aber natürlich sind sie nicht genug. Das gilt auch für das Ziel selbst.
Es ist ja nicht so, als ob beim Erreichen des 1,5-Grad-Zieles alles Eitel-Wonne wäre. Dürre-, Flut- und andere Klimakatastrophen gibt es auch jetzt schon zur Genüge, bei einer durchschnittlichen globalen Erwärmung von 1,2 Grad.
Vielen lieben Dank für das Gespräch!