Wien
"Systemversagen" – Wiener Lehrer missbraucht 40 Schüler
Nach Missbrauchsfällen an einer Wiener Sportmittelschule hat eine Kommission den Fall aufgearbeitet. Der vorläufige Endbericht ist erschütternd.
Seit 1999 soll ein Lehrer, der auch als Basketball-Trainer und Ferienlager-Betreuer tätig war, seine Position missbraucht und seine sexuellen Neigungen mit 9- bis 14-jährigen Buben innerhalb seines beruflichen Umfelds ausgelebt haben. Dabei soll er unter anderem K.O.-Tropfen verwendet, die Buben heimlich fotografiert und kinderpornografisches Material angefertigt haben. Nach einer Hausdurchsuchung beging der Lehrer im Mai 2019 Selbstmord. Im Sommer 2022 nahm sich eine Kommission den Fall vor.
Auch wenn die Kommission den Fall aufarbeitete, kennt weder sie noch die Bildungsdirektion die Opfer aufgrund des Opferschutzes. Auch hat sie kein Recht auf Akteneinsicht bei den ermittelnden Behörden. "Der vorläufige Endbericht der Kommission sowie die gesammelte Datenlage untermauern ein Systemversagen in diesem Fall auf allen beteiligten Ebenen“, heißt es im Endbericht. Für das Gremium ist "die Existenz von 40 Opfern belegt“, wie im 30-seitigen Bericht zu lesen ist.
Sechs Befragungen auch in der Bildungsdirektion Wien
Insgesamt 18 Personen haben sich im Zeitraum von Mai 2021 bis Oktober 2022 an die Kommission gewandt. Neun weitere Personen kontaktierten direkt die Kinder- und Jugendanwaltschaft. Es handelte sich dabei um ehemalige Schüler, Opfer, Mitschüler und Personen aus dem Freundeskreis des Beschuldigten. In der Bildungsdirektion selbst wurden sechs dienstrechtliche Befragungen geführt. Sieben Sachverhaltsdarstellungen wurden an die Staatsanwaltschaft Wien übermittelt. Keine davon führte zu Ermittlungen, da kein Anfangsverdacht gegeben war.
Kommission gibt Empfehlungen für künftigen Schutz
Die Kommission, die den Fall aufarbeitete, bestand aus Mitarbeitern der Bildungsdirektion, der Kinder- und Jugendanwaltschaft und der Kinder- und Jugendhilfe. Die Aufgabe der Kommission bestand nicht nur in der Aufarbeitung, sie hatte auch eine richtungsweisende Aufgabe. Sie sollte Empfehlungen für strukturelle, juristische, organisatorische und kommunikative Maßnahmen geben, damit Fälle wie an der Sportschule künftig ausgeschlossen oder schnell erkannt werden können. Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin des unabhängigen Kinderschutzzentrums "Die Möwe", wurde gebeten, die Empfehlungen zu prüfen und bei Bedarf zu ergänzen.
Meldekette bei Vorfällen künftig verpflichtend
Zu den Maßnahmen zählt eine verpflichtende Meldekette: Um künftig einen raschen und direkten Informationsaustausch bei strafrechtlich relevanten Vorfällen an einer Schule mit dem Landeskriminalamt (LKA) Wien zu garantieren, wurde gemeinsam mit dem LKA eine verpflichtende Meldekette festgelegt. Auch der Krisen- und Notfallerlass zum Thema Gewalt an Schulen wurde überarbeitet und wird aktualisiert an die Schulen übermittelt.
"Schule muss für Kinder und Jugendliche ein sicherer Ort sein, an dem sie sich mit all ihren Talenten und Begabungen entwickeln und entfalten können“, sagt Heinrich Himmer, Bildungsdirektor für Wien, anlässlich der Veröffentlichung des Kommissionsberichts.
Opferanwalt forderte Rücktritt Heinrich Himmers. Mehr dazu hier
Kompetenzstelle für Kinderschutz wird eingerichtet
Um noch stärker für das Thema Gewalt an Schulen zu sensibilisieren, findet im Jänner 2023 auf Initiative der Bildungsdirektion für Wien zum vierten Mal ein "Runder Tisch“ statt. Eingeladen hierzu werden Schüler, Lehrer, Eltern, Vertreter aller im Wiener Gemeinderat vertretenen Parteien, der Religionsgemeinschaften, der Polizei sowie von Institutionen aus dem Bildungs- und Sozialbereich.