"Er ist ein toxischer Mann"
Volkstheater-Regisseur: Dieser Fotograf "war ein Arsch"
Alexander Kerlin hat sich jahrelang mit Fotografie beschäftigt. Aber dieser Lichtbildner war dem Dramaturg sehr unsympathisch.
Die Fotografie kann man sich heutzutage nicht mehr wegdenken. An den Mann, der als Pionier der Fototechnik gilt, denkt man in der heutigen Zeit jedoch kaum. Ab Samstag widmet ihm das Volkstheater ein Theaterstück.
Das Theaterstück "Bullet Time" handelt von Eadweard Muybridge († 1904). Der Amerikaner hat in seinem Leben viel für die Entwicklung der Fotografie und des Films beigetragen, hatte aber durchaus auch seine Schattenseiten.
Erfinder oder Mörder?
Eadweard Muybridge war beides – ein Mörder und ein Erfinder. "Der Mann, der als Erfinder des Kinos gilt und einer der größten Fotografen seiner Zeit war, war auch gleichzeitig ein Mörder, der seine Frau kaltblütig erschoss. Dieser Zusammenhang zwischen Gewalt und Bild ist etwas, was uns heute in unserer modernen Mediengesellschaft noch fundamental angeht", erklärt Alexander Kerlin (44), der das Bühnenwerk geschrieben hat.
True Crime in der Volksoper
Der reale Mordfall wird auch im Stück behandelt, etwas, was das Publikum anzieht: "Es hat etwas zu tun mit Spannung, mit Geheimnis. Die Leute haben eine Sehnsucht danach. Dieser reale Mordfall, den wir da auf der Bühne haben, der wird auch in einer Art Gerichtsprozess auf der Bühne verhandelt. Und Teil des Spaßes für das Publikum wird sein, herauszufinden, was ist denn eigentlich passiert. Welche Wahrheit stimmt eigentlich", so Kerlin.
Photoshop im 19. Jahrhundert
Eine Sache, auf die der Dramaturg während seiner jahrelangen Recherche gestoßen ist, ist die Nutzung von "Photoshop": "Das interessante ist, dass eigentlich im 19. Jahrhundert als die Fotografie und dann der Film erfunden wurden, die Manipulation an der Fotografie mit erfunden wurde. Also schon die ersten Fotografen haben ihre Retuscheure beschäftigt, die tatsächlich wie heute einen Filter drübergelegt haben, die Taillen ein bisschen schmaler gemacht haben oder Falten weggemacht haben. Das heißt, die Manipulation an der Fotografie ist so alt wie die Fotografie selbst".
Eine wahre Geschichte auf der Bühne
Eine wahre Geschichte für die Bühne zu inszenieren, war auch für den Deutschen eine ganz besondere Herausforderung: "Man hat eine gewisse Verantwortung gegenüber den Menschen, denen man jetzt Worte in den Mund legt, die nicht mehr leben und sich nicht wehren können. Aber ich habe mich von vornherein entschieden, keine Dokumentation von damals zu machen, sondern ich wollte eine Verdichtung herstellen, die spannend ist und das Publikum begeistert", erklärt er, "es ist kein Dokumentationstheater, sondern es ist eine erträumte Vergangenheit. So ist das nicht passiert, wie wir das Zeigen, aber ich wollte trotzdem an einen wahren Kern heran".
Verherrlichen wollte der 44-jährige Muybridge aber nicht: "Heute würde man sagen: 'Er ist ein toxischer alter Mann'. Das war ein Riesenarsch. Ich hab versucht eine ambivalente Figur zu zeigen, die durchaus großes geleistet hat für die Technologiegeschichte und die Geschichte der Kunst, aber eben auch auf der anderen Seite ein schlimmer Ehemann und Mörder war. Ein brutaler, unangenehmer Kerl".
Wo könnte man solche Geschichten und Gefühle besser ausdrücken als auf einer Bühne? "Das Theater ist dazu da, um Graubereiche zu beleuchten und Ambivalenzen zu zeigen und das tun wir an dem Abend", fasst Kerlin zusammen.
BILDSTRECKE: VIP-Bild des Tages 2024
Auf den Punkt gebracht
- Das Volkstheater widmet dem Fotografen und Filmpionier Eadweard Muybridge ein Theaterstück, das sowohl seine bedeutenden Beiträge zur Fotografie als auch seine dunkle Seite als Mörder beleuchtet
- Alexander Kerlin, der das Stück geschrieben hat, betont die Ambivalenz von Muybridge und die Manipulation in der Fotografie, die bereits im 19 Jahrhundert begann, und schafft eine spannende Inszenierung, die das Publikum fesseln soll