Politik

"Video-Ärzte werden für Patienten zur 1. Anlaufstelle"

Bernhard Wurzer ist seit 2019 Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse. Das Interview über Corona, neue Videoärzte, seine Wiederwahl.

Christian Nusser
Bernhard Wurzer ist seit 2019 Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).
Bernhard Wurzer ist seit 2019 Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).
Sabine Hertel

HEUTE: Erleben wir wieder einen Corona-Winter?
Bernhard Wurzer: Das wäre Kaffeesudleserei. Wichtig ist jetzt die Vorsorge, nicht nur bei Corona, sondern auch durch die Grippeimpfung.

Warum gibt es dann keine Impfaktion?
Grundsätzlich ist es schön zu sehen, dass bei vielen der Wunsch da ist sich impfen zu lassen. Wir bieten die Coronaimpfung in unseren Gesundheitszentren an, die sind die nächsten Wochen ausgebucht. So wie fast jede andere Impfung, ist die Corona-Impfung beim Hausarzt verfügbar. Eine österreichweite Impfaktion gibt es gegen Grippe – erstmals ist die Impfung österreichweit für 7 Euro erhältlich. Das ist ein großer Schritt von Sozialversicherung, Bund und Ländern.

Warum stocken Sie dann nicht auf?
Das schauen wir uns gerade an. Der niedergelassene Bereich hat das Impfen federführend übernommen. Es ist etwas, das der Hausarzt regelt.

Lassen Sie sich impfen?
Ich bin vier Mal geimpft und zweimal genesen und werde mich trotzdem impfen lassen.

Warum?
Impfen ist der beste Schutz gegen einen schweren Verlauf der Krankheit, das ist bestens untersucht und erwiesen. Außerdem ist ein Signal, wenn der Generaldirektor der Gesundheitskasse sich impfen lässt und diese nachhaltige Vorsorgemaßnahme trifft.

Sie lassen sich gegen Corona und Grippe impfen?
Ja.

Bernhard Wurzer ist seit 2019 Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).
Bernhard Wurzer ist seit 2019 Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).
Sabine Hertel

Sie sind 2019 angetreten, um die Kassenreform durchzuziehen. Ist das geglückt?
Absolut, die Österreichische Gesundheitskasse funktioniert für ihre 7,5 Millionen Versicherten.

Wie merken die das?
Wir haben deutlich Leistungen verbessert und harmonisiert. Die Psychotherapie ausgebaut. Für Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie bundeseinheitliche Verträge gemacht. Eine Pandemie bewältigt. Wir sind finanziell so stabil, dass sich die Versicherten keine Sorgen machen müssen, wir sind weiterhin für die Menschen da sofern die wirtschaftliche Situation in den nächsten Jahren eine gute bleibt.

Aber die ÖGK macht hohe Verluste. Wie fallen die heuer aus?
Nach derzeitigen Berechnungen wird der Bilanzverlust mehr als 300 Millionen Euro betragen, wobei man dazusagen muss, dass wir 250 Millionen von der Gebietskrankenkassa übernommen haben. Im nächsten Jahr wird sich unser Ergebnis wieder verbessern.

Woher kommen die Verluste?
Es gibt einen Nachzieheffekt durch die Pandemie. Die Zahl der Frequenzen im niedergelassenen Bereich in Wien hat im ersten Quartal um 13 Prozent zugenommen. Operationen wurden verschoben, Patienten brauchten mehr Medikamente, mehr Physiotherapie. Dazu kommt, dass die Menschen immer älter werden. Allein das führt zu automatischen Kostensteigerungen von 1,3 Prozent pro Jahr.

Bernhard Wurzer ist seit 2019 Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).
Bernhard Wurzer ist seit 2019 Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).
Sabine Hertel

Hoffen Sie auf einen Geldregen durch den Finanzausgleich?
Die Gespräche in unserem Bereich laufen konstruktiv, weil die Politik erkannt hat, dass das Gesundheitswesen mehr Geld braucht. Wir haben uns als ÖGK gut positioniert mit der Ansage: Digital vor ambulant vor stationär.

Wieviel mehr Geld ist nötig?
Wir rechnen mit über drei Milliarden Euro. Trotzdem ist das alles nur bewältigbar, wenn massiv in digitale Systeme investiert wird.

Was heißt das?
Wir setzen auf Video-Ärzte, sie sollen für Patienten zur ersten Anlaufstelle werden. Wir wollen 1450 zu einer digitalen Gesundheitshotline ausbauen, wo man über Video mit einem Arzt in Kontakt treten kann, um die wichtigsten Fragen zu stellen. Erst dann geht man zum niedergelassenen Arzt, danach, wenn nötig, in Spitalsambulanz oder Spital.

Video-Ärzte soll es nur bei 1450 geben?
Nein, auch in Ordinationen, aber hier ist der Aufwand für die Umstellung größer. Die ÖGK hat eine Digitalisierungs-Offensive bis 2030 beschlossen, da wird massiv investiert.

Von wie viel Geld reden wird da?
20 Millionen Euro zusätzlich zu den IT-Kosten, die wir sowieso haben.

Wie darf man sich den Video-Arzt vorstellen?
Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Ein Team bei 1450, das über eine Hotline erreichbar ist. Oder ein niedergelassener Arzt sagt, ich habe bis 14 Uhr Ordination und von 14 bis 16 Uhr arbeite ich für 1450 von meiner Ordi aus. Es ist letztlich irrelevant, von wo aus das gemacht wird, entscheidend ist, dass es ein Vertragspartner ist, der eine entsprechende medizinische Beratung macht.

Wer profitiert davon?
Alle! Ziel ist, über eine Handy-App mit Menschen aktiv in Kontakt treten, auch wenn sie gesund sind. Sie zur Vorsorgeuntersuchung einladen, Impferinnerungen schicken, ihnen die Möglichkeit geben, alles digital abzuwickeln. Wenn die Datenqualität passt, möchten wir auch ein System für Terminvereinbarungen mit Ärzten einführen. Wir wissen zwar momentan die Öffnungszeiten die vertraglich vereinbart sind, aber wir wissen nicht, ob ein Arzt wirklich offen hat oder nicht. Ziel ist, dass man bei uns einfach in die App einsteigt und sieht, dass in 500 Metern Entfernung ein Dermatologe ist, der gerade ordiniert und ich klicke drauf und kann dann gleich den Termin bei ihm vereinbaren.

Gibt es in Österreich einen Ärztemangel?
Ja und nein. Nach Griechenland hat Österreich in Europa die meisten Ärzte pro 1.000 Einwohner. Aber Statistik ist Statistik. Faktum ist, dass wir offene Planstellen haben und dass sich die Gesellschaft wandelt. Wir haben Ärztinnen und Ärzte in Teilzeit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird immer wichtiger, da brauchen wir neue Modelle. Deshalb sind die Primärversorgungseinrichtungen so wichtig.

Wie viele gibt es momentan?
44, ab Oktober 50. Wir öffnen fast im Wochentakt welche. Wenn ich mich erinnere, welche Widerstände von der Ärztekammer es da anfangs gab…

Bernhard Wurzer ist seit 2019 Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).
Bernhard Wurzer ist seit 2019 Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).
Sabine Hertel

Also kein Ärztemangel?
Wir haben ein Verteilungsproblem. Wir haben 2022 rund 600 junge Ärztinnen und Ärzte unter Vertrag genommen. Teilweise gibt es unbesetzte Planstellen, teilweise haben wir bei Planstellen aber unzählige Bewerbungen. Der Beruf ist attraktiv, aber wir haben festgestellt, dass es oft für die mittelgroßen Gemeinden kaum Bewerber gibt. In den kleinen gibt es die Hausapotheken als zusätzliche Einnahmequelle, in vielen Ballungszentren ist einfach das Leben attraktiv. Dort, wo am Abend die Gehsteige hochgeklappt werden, da haben wir Mängel. Darauf müssen wir uns einstellen.

Spielt Geld eine entscheidende Rolle?
Natürlich, wichtig ist aber, dass sich die Bundesländer nicht gegenseitig beim Geld überbieten. Wir werden das als Land nur gemeinsam lösen können.

Warum braucht man eigentlich Primärzentren? Wieso baut man die Ambulanzen nicht aus, die sind ja sowieso schon da?
Aus Kostengründen. In einer Spitalsambulanz ist strukturell alles drinnen. Wenn Sie mit Kopfschmerzen in eine Ambulanz gehen, wird die volle Batterie der Diagnostik gestartet, am Ende landen Sie vielleicht in einem CT. Wenn Sie zu einem niedergelassenen Arzt gehen, wieder er wahrscheinlich sagen: "Nehmen sie eine Kopfschmerztablette!" Das die Erstversorgungsambulanzen ein Erfolg sind, sieht man auch am AKH in Wien. Die haben wirklich die meisten Patienten in der Erstversorgungsambulanz fertig behandelt, nur wenige werden in die Fachambulanz weitergeschickt.

Gibt es zu viele Wahlärzte?
Die Definition sagt zunächst nicht viel aus. Jeder Arzt ist automatisch Wahlarzt, sobald er seine erste Rechnung ausgestellt hat. Die Zahl der Wahlärzte ist eigentlich irrelevant, wesentlich ist, dass es ausreichend viele Kassenärzte gibt, damit alle eine gute medizinische Versorgung erhalten, und dass die Kassenärzte nicht alle zur gleichen Zeit geöffnet haben.

Wie viele Kassenstellen soll es mehr geben?
Die Rede ist von 500 zusätzlichen bis 2029.

Am 30. Juni 2024 endet ihr Vertrag. Wollen Sie weitermachen?
Ja. Die Kassenreform ist kein Marathon, sondern eher ein Ironman. Wir sind erst bei der Halbzeit.

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