Ukraine
Bundesheer-Oberst: Jetzt haben die Russen ein Problem
Mit dem US-Raketensystem HIMARS gelingen der Ukraine empfindliche Schläge gegen die russische Armee. Putins Truppen stehen vor großen Problemen.
"Das US-System HIMARS bedroht die Sicherheit der Volksrepublik Luhansk", donnerte Separatistenchef Leonid Passetschnik gegenüber russischen Medien und schien seine eigenen Worte gleich wieder zu relativieren: "Zum Glück haben sie nicht viele solcher Waffen, deshalb gibt es überhaupt gar keinen Grund zur Panik".
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Tatsächlich kommt in der Ukraine dieses topmoderne Kampfsystem seit mehreren Wochen zum Einsatz. Acht HIMARS-Raketenwerfer haben die USA schon geliefert, vier weitere sollen folgen. HIMARS steht für "High Mobility Artillery Rocket System "– zu Deutsch "hochmobiles Artillerie-Raketensystem. Die Hightech-Waffe kann sechs präzisionsgelenkte Raketen gleichzeitig auf Ziele in bis zu 80 Kilometern Entfernung abfeuern.
Kollabiert russischer Waffennachschub?
Somit ist es der ukrainischen Armee jetzt möglich, aus größerer Entfernung Angriffe auf die russische Armee zu starten, ohne selbst in Reichweite der russischen Artillerie zu sein. Die russischen Flugabwehrraketen scheinen bislang gegen HIMARS wenig ausrichten zu können.
Doch warum ist das für die Russen, die über zehn Mal mehr Artillerie-Systeme verfügen, so ein großes Problem? "Weil sich die Russen wie zu Beginn des Krieges wieder um ihre Logistik kümmern müssen", erklärt Bundesheer-Oberst Markus Reisner von der Militärakademie in Wiener Neustadt gegenüber der "Kronen Zeitung".
"Mit HIMARS treffen die Ukrainer etwa große Waffenlager, die fernab der Front zum Nachschub angelegt wurden. Und zwingen dadurch die Russen, ihre Munitionslager und ihre Gefechtsstände stärker zu verteilen. Gerade bei Kommandoständen ist das ein Problem, weil Russland traditionell sehr zentralistische Befehlsstrukturen hat", weiß der Experte.
Auch hätte das einen zweischneidigen psychologischen Effekt auf Wladimir Putins Truppen: "Zum einen lösen die US-Raketen Schock unter den russischen Soldaten aus. Zum anderen verstärkt es auch deren Zusammengehörigkeitsgefühl: Wir kämpfen nicht nur gegen die Ukraine, wir kämpfen gegen den ganzen Westen."
Warnung vor verfrühter Euphorie
"Ein einziger hochpräziser Schuss genügt, um ein ganzes Depot zu vernichten, das im Laufe von Monaten oder sogar Jahren mit Munition und Waffen befüllt wurde", schwärmt auch der ukrainische Militäranalyst Oleksandr Kowalenko.
Er glaubt sogar, dass der Waffennachschub und die Truppenversorgung der russischen Armee schon Ende Juli kollabieren werden. Auch andere Militärexperten bezeichnen den Einsatz von HIMARS bereits jetzt als Gamechanger im Ukraine-Krieg: Die Mehrfachraketenwerfer eröffnen der Ukraine neue kriegstaktische Möglichkeiten.
Und doch gibt es auch Stimmen, die vor verfrühter Euphorie warnen. Zum einen bleibe das unausgeglichene Artillerie-Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland auch trotz HIMARS bestehen – und das ist im aktuellen Abnutzungskrieg letztlich kriegstaktisch entscheidend. Kommt dazu, dass die wenigen HIMARS, die derzeit im Dauereinsatz sind, nicht gewartet und entsprechend schnell verschleißen werden.
Nachschub, Logistik, fehlende Infanterie
Weitere schwere Herausforderungen sind der Nachschub nicht der HIMARS-Waffensysteme – die ersten vier kamen mit fast einem Monat Verspätung in der Ukraine an –, sondern auch der Aufbau einer Logistikkette für die Munitionsversorgung. Jede Batterie mit sechs Raketen wiegt 2,5 Tonnen, die mit Fahrzeugen neben den HIMARS transportiert werden müssen.
Ein weiteres Problem, das sich weiterhin und mit oder ohne HIMARS stellt, ist die stetig schrumpfende Zahl an Bodentruppen. Entsprechend kommen ukrainische Freiwilligen-Verbände mit wenig Erfahrung zum Einsatz, was die Kampfkraft schmälert. Das Problem hat Russland zwar auch – kann die fehlende Professionalität aber mit der schieren Masse an Soldaten ausgleichen.
"Die Effekte sind beachtlich, doch die Ukraine hat erst sehr wenige dieser Waffen geliefert bekommen", lautet auch Oberst Reisners Fazit. Er spricht von einem "Tropfen auf den heißen Stein".