Wien
Trottl, A****loch und Idiot – So schimpft man in Wien
Sprachwissenschafterin Oksana Havryliv beschäftigt sich mit Schimpfforschung. Die gebürtige Ukrainerin weiß, wie in Wien geflucht wird.
Als Oksana Havryliv nach einem Thema für ihre Doktorarbeit suchte, hatte sie zwei Voraussetzungen: Das Thema muss lebendig sein und darf noch nicht zu sehr erforscht sein. "Wie wäre es mit Schimpfwörtern", schlug ein Studienkollege im Scherz vor. Havryliv nahm den Vorschlag aber ernst.
Havryliv war "fasziniert von Erdäpfeln"
Havryliv hat in Lwiw in der Ukraine Germanistik studiert. Dort hatte sie einen Professor aus Wien, war sofort vom "Wienerischen" begeistert. "Ich weiß noch genau, das erste Wort, dass mich fasziniert hat war 'Erdäpfel'", lacht Havryliv. Sie ging für ein Stipendium nach Wien. An einem Abend mit Studienkollegen beim Heurigen brachte sie dann ein Bekannter auf die Idee, ihre Doktorarbeit übers Schimpfen zu schreiben.
"Ich habe mich erst gar nicht so getraut das Thema vorzuschlagen", gesteht Havryliv. Ihr Doktorvater war ein älterer Herr, sehr traditionell. Da hat sie nicht gedacht, dass Schimpfen so gut ankommen würde. "Aber er war da eigentlich ganz offen, hat gemeint wenn ich genug dazu finde, kann ich das machen", erzählt Havryliv. Sie hat sich dann durch die deutsche Bibliothek in Lwiw gearbeitet, Bücher von Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard und anderen Autoren gelesen. Darin hat sie genug gefunden, um ihre Arbeit über "Schimpfwörter am Beispiel österreichischer moderner Literatur" schreiben zu können.
Wiener schimpfen konservativ
Seit 2006 forscht Havryliv an der Universität Wien. Sie weiß genau, wie die Wiener schimpfen. Auch wenn die Pandemie das Schimpfverhalten beeinflusst hat. Neue Schimpfwörter wie "Covidiot" oder die Negativierung des Begriffs "Querdenker" haben das Fluch-Vokabular beeinflusst. Trotzdem gibt es auch einige Schimpf-Dauerbrenner. In Wien sind das "Trottl", "A****loch" und "Idiot". Die Wiener seien beim schimpfen eher konservativ sind, so Havryliv. Bei den Kindern und Jugendlichen hingegen merkt man schon Veränderungen. "Deren Sprachkontakte sind reger, die übernehmen auch viel aus anderen Schimpfkulturen, wie zum Beispiel die rituellen Mutterbeleidigungen aus dem arabischem Raum", so die Forscherin.
In Österreich und Wien wird vor allem Fäkal-anal geschimpft. Das bedeutet Schimpfwörter Wie "Sch***e" oder "A***loch". Schimpfen sei immer auch ein Regelverstoß oder ein Tabubruch, erklärt Havryliv. Wenn also zum Beispiel in einem Land Sauberkeit oder Ordnung wichtig ist, dann wird genau darüber geschimpft. In den slawischen Sprachen wird zum Beispiel mehr sexuell geschimpft, weil das Thema Sex dort oft ein Tabu ist.
"Die Ente soll dir einen Tritt geben"
In der Ukraine flucht man anders als in Wien, weiß Havryliv. "Was für das ukrainische Schimpfen typisch ist, sind Verwünschungen. Gerade ältere Leute schimpfen so, ich kenn das von meiner Oma.", erklärt die gebürtige Ukrainerin. Dabei wird auch oft mit besonderem Nachdruck positiv verwünscht, wie etwa "Gut soll es dir gehen!". Außerdem gibt es viele lustige Konstruktionen wie "Die Ente soll dir einen Tritt geben!"
Privat schimpft die Forscherin auch, betont aber: "Schimpfen ist aber nicht gleich schimpfen, sondern ein Phänomen im breiteren Sinn." Es geht um Unzufriedenheitsäußerung, darum Empörung oder Kritik auszuüben. Havryliv hat zwei Söhne im Pubertätsalter. "Da muss ich leider öfter schimpfen, als mir lieb ist", gibt sie lachend zu. Ansonsten schimpfe sie im Alltag auch mit ukrainischen Verwünschungen. Es kann passieren, dass Frau Havryliv wünscht, "die Ente möge jemanden treten".