Fussball
Acht Jahre, acht Spiele: Mein Leben auf der Ersatzbank
Sturm-Goalie Tobias Schützenauer ist der Inbegriff eines Zweier-Tormanns. "Heute" verrät der 25-Jährige, warum ihn die Bank nicht stört.
Tobias Schützenauer steht seit 2014 bei Sturm Graz unter Vertrag. In acht Jahren brachte es der Tormann auf beschauliche acht Pflichtspiel-Einsätze. 324 hätten es sein können. Dennoch verlängerte der Keeper vor Kurzem erneut um eine Saison, setzt sich bis 2023 auf die Ersatzbank. Im "Heute"-Interview spricht er über seine ungewöhnliche Laufbahn.
Herr Schützenauer, von 324 möglichen Spielen seit 2014 haben Sie nur acht gemacht. Warum wechseln Sie nicht den Klub?
"Weil mir der Verein sehr am Herzen liegt. Ich bin hier aufgewachsen, meine ganze Familie wohnt in Graz, meine Freundin ist hier. Ich fühle mich einfach wohl. Ich weiß, dass sich viele Menschen fragen, warum ich noch bei Sturm bin, aber ich bin stolz darauf und froh, Teil des Klubs zu sein. Sicher will ich spielen, wichtiger ist aber, dass die Mannschaft funktioniert."
Sie sind also lieber Nummer zwei bei einem Topklub wie Sturm, als Einser-Tormann bei einem kleineren Verein?
"Ich sag mal so: Die Trainingsqualität ist bei Sturm sehr hoch. Es hat alles Vor- und Nachteile. Vielleicht hätte ich bei einem kleineren Klub mehr Spiele. Aber wir haben mit Sturm viele Freundschaftsspiele, in denen ich zum Einsatz komme."
Sie sind 25. Ist es der Plan, irgendwann Jörg Siebenhandl zu beerben?
"Der Plan ist es, dass ich weiterhin Gas gebe und alles daran setze, dass ich meine Trainingsbestleistungen bringe. Dann entscheidet das Trainerteam. Aber wie gesagt, wichtiger ist die Mannschaft und nicht die Frage, ob ich Nummer eins bin oder nicht."
Sturm Graz spielt heuer in der Champions-League-Quali. War die Aussicht, die Hymne zu hören, auch ein Argument für die Verlängerung?
"Auf alle Fälle. Die Euphorie, die in Graz gerade wieder entsteht, ist Kategorie Champions League. Schon der Europa-League-Herbst war eine unfassbare Erfahrung. Die großen Stadien, Spieler wie Mario Götze. Champions League ist nochmal ein anderer Brocken."
Gab es Angebote von anderen Vereinen?
"Ja. Für mich war aber klipp und klar, dass ich bei Sturm bleiben will."
Beschreiben Sie bitte Ihre Aufgaben beim Klub.
"Meine Aufgabe ist, dass ich im Training Gas gebe, die Mannschaft pushe. Ich helfe gerne denen, die neu zum Verein kommen. Ich will, dass sie sich wohlfühlen bei uns. Und wenn ich gebraucht werde oder der Trainer mich aufstellt, spiele ich natürlich."
Ihre Rolle geht also über die eines Ersatzspielers hinaus?
"Genau. Mir taugt es einfach, wenn ich anderen helfen kann. Als Team funktioniert man nur gut, wenn es intern passt. Das haben die letzten zwei Jahre gezeigt. Wir waren erfolgreich, weil wir uns gegenseitig pushen."
Wenn Trainer Christian Ilzer die Aufstellung verliest, fiebern Sie da jedes Mal aufs Neue mit?
"Nein, denn bei uns ist die Rollenverteilung eigentlich klar. Jörg ist die Nummer eins, ich bin die Nummer zwei. Da gibt es keinen Neid."
Wie ist Ihr Verhältnis zu Siebenhandl?
"Wir verstehen uns sehr gut, reden auch viel über Privates, tauschen uns viel aus. Wenn unser Verhältnis nicht gut wäre, könnten wir nicht schon so lange in dieser Konstellation zusammenarbeiten. Wir haben eine Vertrauensbasis."
Ihr letzter Auftritt war 2021 gegen Salzburg. Siebenhandl fehlte gesperrt. Sturm hat 2:1 gewonnen. Macht das nicht Appetit auf mehr?
"Das Match war unglaublich, mir hat das so getaugt. Ein paar Tage vorher haben sie noch in der Europa League gegen Villarreal gespielt. Ich habe mir gedacht: Na bumm, gegen Adeyemi und Co., das wird ein Brocken. Aber es hat mir großen Spaß gemacht. Sicher macht das Lust auf mehr, aber ich kann nur immer wieder betonen: Im Vordergrund steht die Mannschaft, nicht ich. Wenn der Trainer so aufstellt, dann ist das so. Punkt. Ich gehe nicht jammern oder mich ausweinen."
Wie kompensieren Sie die fehlende Matchpraxis?
"Wir haben viele Freundschaftsspiele. Wenn wir am Wochenende ein Meisterschaftsspiel haben, machen wir am Montag oft Freundschaftsspiele statt Spielersatz-Training. Auch in der Länderspielpause."
Fällt es Ihnen schwerer als einem Stammspieler, sich zu motivieren im Training?
"Ich glaube, ich habe den geilsten Job der Welt. Ich kann Fußballer sein, da fehlt mir null Komma null die Motivation. Ich bin dankbar, dass ich so fit und gesund bin, um so einen Beruf ausüben zu können. In Corona-Zeiten hat man wieder gesehen, wie dankbar wir Fußballer sein sollten. Es gibt nichts Schöneres, als jeden Tag am Platz zu stehen."
Sie kennen in Österreichs Bundesliga jede Ersatzbank. Welche ist die unbequemste?
"Dort, wo wir verlieren. Wenn wir gewinnen, ist mir die Qualität der Bank wurscht. Wir sind grundsätzlich schon gut aufgestellt in Österreich."
Sitzen Sie mit oder ohne Handschuhen auf der Bank?
"Ohne. Aber die liegen immer rechts von mir."
Haben Sie ein Vorbild?
"Sehr viele. Ich vergleiche mich nicht gerne mit anderen, aber der Yann Sommer ist ein ähnlicher Typ. Er ist auch nicht der Größte, aber explosiv. Oder Casillas. Von denen schaue ich mir sehr gerne Trainingsvideos an. Aber der beste Tormann ist für mich Manuel Neuer. Der ist einfach der kompletteste."
Und wer ist der beste Tormann Österreichs?
"Wir haben schon viele gute Torhüter, aber ich will keinen hervorheben. Ich würde auch nie einen kritisieren für einen Fehler. Ich weiß, wie anstrengend der Job mental ist. Wenn du einen Fehler machst, ist es ein Gegentor. Wenn du als Stürmer zehn Mal daneben schießt aber die elfte Chance verwertest, feiert dich jeder. Deswegen habe ich vor jedem Tormann Respekt."