Es war der 1. Jänner, kurz vor 6 Uhr morgens. Medizinstudent Benedikt K. schlenderte nach einer Silvesternacht durch den 2. Wiener-Gemeindebezirk, als er plötzlich auf eine Gruppe Polizisten stieß, die gerade jemanden kontrollierten. Benedikt wollte vorbeigehen, wurde aber angewiesen, die Straßenseite zu wechseln, berichtet der "Falter".
Er tat, wie ihm befohlen, fragte aber rhetorisch nach, ob das wirklich nötig sei. Als er daraufhin von einem Polizisten mit "Wohin gehst du?" angesprochen wurde, dachte er sich nichts dabei und antwortete höflich: "Nach Hause." Ein harmloses Gespräch könnte man meinen.
Wenig später war der Student jedoch derjenige, der sich eine Lektion in "Höflichkeit" anhören durfte. Am Ende der Kontrolle bekam Benedikt zu hören: "Du hast den öffentlichen Anstand verletzt. Und jetzt verschwind’!" Grund: das Duzen. Es war das, was Benedikt in diesem Moment kaum glauben konnte – eine 100-Euro-Strafe wegen einer vermeintlichen "Anstandsverletzung". Das "Du" war zu viel, das war der Vorwurf.
Der Student erklärte, dass er oft mit Polizisten in Kontakt kommt, vor allem im Rahmen seiner freiwilligen Arbeit beim Roten Kreuz. In diesen Situationen sei es üblich, sich zu duzen. Doch er räumte ein, dass es in der offiziellen Kontrolle vielleicht nicht ganz passend gewesen sei, das "Du" zu verwenden. Dennoch blieb ihm unklar, warum er für diese kleine Unachtsamkeit bestraft wurde, während die Beamten ihn selbst auch mit "Du" angesprochen hatten.
Die Frage nach der Doppelmoral blieb auch bei Benedikt. Denn während er selbst das "Du" vielleicht in einer lockeren, informellen Weise verwendet hatte, hatten ihn die Beamten ebenfalls durchgehend geduzt. Er fragte sich, warum es plötzlich eine "Anstandsverletzung" war, wenn er dasselbe tat. Hätten sie mir das gleiche Recht zugestanden, oder war das nur eine Machtdemonstration? – fragt er sich heute noch.
Benedikt glaubt nicht, dass seine Worte in irgendeiner Weise unangemessen waren. Er hatte sich zu keinem Zeitpunkt unkooperativ verhalten oder Widerstand geleistet. Auch der Strafbescheid ließ keine weiteren Vorwürfe gegen ihn erkennen. Der Student war überrascht, dass eine solche Kleinigkeit wie das Duzen zu einer Geldstrafe führen konnte. Aber es kam noch schlimmer.
Die Wiener Polizei verteidigte den Strafbescheid und erklärte, dass das "Duzen" aufgrund der "eigenen dienstlichen Wahrnehmung" gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 des Wiener Landes-Sicherheitsgesetzes beanstandet werde. Das Gesetz besage, dass Polizisten "den öffentlichen Anstand" wahren müssen, wobei dies auch eine korrekte Ansprache der Bürger mit "Sie" beinhalte. Die Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien bestätigte auf "Heute"-Anfrage, dass das "Duzen" in diesem Fall als eine Verletzung dieses Anstands gewertet wurde.
In diesem konkreten Fall blieb jedoch die Frage offen, warum es für Benedikt eine Strafe nach sich zog, wenn die Polizisten ihn während der gesamten Amtshandlung ebenfalls duzten. Ein Missverständnis oder doch ein bürokratisches Fehlurteil?
Benedikt möchte sich mit der Strafe nicht abfinden und hat bereits Einspruch gegen den Bescheid eingelegt. Denn es bleibt die Frage, wie viel Macht einem Polizisten zugestanden werden kann, um über die Höflichkeitsformen eines Gesprächs zu urteilen. Sollte eine solche Kleinigkeit wie das "Duzen" in einer Amtshandlung wirklich zu einer Geldstrafe führen, wenn dies von beiden Seiten praktiziert wird? Benedikt hofft, dass die Behörden bald auf seine Bedenken eingehen und der Fall für mehr Klarheit sorgt.