Politik Backstage
So zerlegt Schilling Grüne – und Anti-Kickl-Geheimpläne
Die Hälfte der Wähler sind schon weg. Aber: Wie tief stürzen die Grünen wirklich ab? Und: Wie SPÖ und ÖVP jetzt FPÖ-Chef Herbert Kickl stoppen wollen.
Werner Kogler, Sigi Maurer & Co. sind mit Lena Schilling (jung, Frau, glaubwürdig im Klimathema) im grünen Polit-Poker "all in" gegangen – aber haben sie im Superwahljahr bereits alles verspielt? Nach den letzten eineinhalb Wochen muss man, frei nach Toni Pfeffer, sagen: "Hoch wern ses nimmer gwinnen."
Auch Grün-Wähler fremdeln mit Schilling
In einer brandaktuellen Unique-Research-Umfrage für "Heute" meinen satte 64 Prozent, Lena Schilling sollte sofort zurücktreten. Das alleine fiele noch nicht ins Gewicht, wenn das restliche Drittel wild entschlossen wäre, die Grünen zu wählen. Ist es aber nicht.
Selbst ein Drittel (!) der deklarierten Grün-Wähler meint, Schilling sei nicht mehr tragbar. Unter den höher gebildeten Maturanten – traditionell eher affin mit der grünen Truppe – sprechen sich 60 Prozent für Schillings Abgang aus.
Nach einer überlangen Schrecksekunde von einer Woche reagierte nun auch die gebeutelte Partei. In einer zweiten Plakatwelle affichiert man ab 17. Mai nun vier weitere Sujets und ringt sich (statt der Schilling-Konterfeis) zu inhaltlichen Botschaften durch: "Weil’s ums Klima geht!", "Weil’s um deine Zukunft geht!", "Weil’s um Demokratie geht!" und "Weil’s um Europa geht!" sollen retten, was zu retten ist.
Bleiben viele Grüne nun zuhause?
Kann das gelingen? Der Schaden ist längst angerichtet, die grünen Bäume dürften bei der Europawahl, die traditionell eine Mobilisierungswahl ist, eher nicht in den Himmel wachsen; ein Rückfall hinter Neos auf Platz 5 droht. Viel entscheidender jedoch: Wiederholt sich die Geschichte nach der Tragödie 2017 nun als Farce? In seiner wöchentlichen ATV-Sendung stellte Polit-Profi Meinrad Knapp die für Öko-Anhänger ketzerische Frage, ob die Grünen nach 2017 neuerlich aus dem Nationalrat fliegen könnten.
Grüne schon halbiert
Die aktuellen Umfragen zeigen zwar noch kein Kammerflimmern, mit Baldrian-Tropfen alleine dürfte man aber auch nicht mehr das Auslangen finden. Die "Kronen Zeitung" schätzt die Grünen aktuell noch auf sieben Prozent hoch – die Hälfte der Wähler von 2019 wären somit schon weg. Aber: Der Schilling-Skandal dürfte hier noch nicht voll eingepreist sein.
Schon in der letzten "Heute"-Umfrage im März waren sie auf 8 Prozent dezimiert worden. Nach der EU-Wahl werden viele Abgeordnete nachzurechnen beginnen, wer künftig – bei Antritt von BIER, KPÖ und Madeleine Petrovic – auf 10.000 Euro Gage monatlich verzichten wird müssen. Vor diesem Hintergrund könnten dann namhafte Grüne dann darauf drängen, dass Kogler und Maurer vorzeitig ihr Jutesackerl packen.
Auch ÖVP droht sattes Minus
Ein Szenario, das übrigens auch Kanzler Karl Nehammer nach der EU-Wahl blühen könnte. Der Volkspartei (2019 noch 37,5 Prozent) droht ein Absturz ins Bodenlose, hinter den Kulissen gärt es längst. Auf der schwarz-türkisen Liste für die Nationalratswahl sollen hinter Spitzenkandidat Karl Nehammer loyale Parteidiener wie Claudia Plakolm, Gerhard Karner, Klaudia Tanner, August Wöginger oder Christian Stocker Top-Plätze erhalten. Um eine schillernde Quereinsteigerin bemühte man sich zuletzt nach Kräften. Ausgang ungewiss.
Unklar ist das Schicksal von Frauen- und Medienministerin Susanne Raab. Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler sucht dem Vernehmen nach über die Spitzenkandidatur in ihrer Heimat Salzburg das gesichtswahrende Glück. Ihr Verhältnis zum Kanzler gilt als unterkühlt, wird sie – neben Finanzminister Magnus Brunner – ja immer wieder als ÖVP-Personalreserve ins Spiel gebracht. Ihr doppeldeutiges Motto? "Nichts anstreben, nichts ausschlagen."
Karl Nehammer bleibt in den kommenden Wochen und Monaten der Glanz seines Amtes. Will er tollkühne Burger-Sager und eine fehleranfällige Kommunikationsabteilung wettmachen, muss er den Kanzlerbonus voll ausspielen. Das versucht er mit Wohlfühlterminen – mit Staats- und Regierungschefs oder dem ÖFB-Teamchef. Auch eine erfolgreiche EURO im Sommer soll die Zufriedenheit der gebeutelten Nation heben; die Inflation zumindest sinkt zaghaft – bessere Wirtschaftsdaten galten stets als Silberstreif am Horizont des Ballhausplatzes.
Babler fand in die Spur
Fakt ist: Möchte Nehammer dort verbleiben, MUSS er zumindest Zweiter werden. Da wäre aber noch die SPÖ unter Neo-Vorsitzendem Andreas Babler, die zuletzt deutlich besser in die Spur gefunden, ihre Botschaften vor dem Parteirat professionell ausgerollt und sich aus dem Kleinklein der Schilling-Affäre gut herausgehalten hat. Mit Partei-Ikone Doris Bures hat Babler zudem eine der erfahrensten Politikerinnen der Republik an seiner Seite, die laut neuem APA-Ranking hohes Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Auch aus dem Burgenland hat man keine Querschüsse zu erwarten. Am Neusiedler See ölt man längst die Wahlkampf-Maschinerie für die eigene Landtagswahl im Jänner 2025 und möchte weiterhin mit zwei Mandataren den "burgenländischen Weg" in Wien vertreten.
Wie pariert Babler Asylthema?
Babler selbst hat gute Werte bei SPÖ-Wählern, aber Mühe die Mitte – wo traditionell Wahlen gewonnen werden – für sich zu begeistern. Tierfotos von der Weide oder ein volksnaher Bieranstich im Festzelt sollen diesen Makel kaschieren. Auch in den Botschaften gibt sich der Traiskirchner Bürgermeister mittlerweile weniger kantig, spricht etwa vom Ziel 4-Tage-Woche statt 32 Wochenstunden. Fraglich, wie er das für die SPÖ toxische Asylthema in einem Wahlkampf parieren kann.
Kickl hat Phase der Zuspitzung beendet
Und dann wäre da noch einer, nämlich Herbert Kickl, dessen (Volks-)kanzlerschaft sowohl Nehammer als auch Babler verhindern möchten. Der FPÖ-Chef führt sämtliche Umfragen überlegen an und taugt sogar zum Mutmacher-Beispiel für die Grünen. Die Spionageaffäre von vor einem Monat ist völlig vergessen. Kickl hat nicht einmal Blessuren erlitten, steht weiterhin bei 30 Prozent. Er hat die Phase der Zuspitzung beendet, postet Fotos von "herrlicher Stimmung in der Natur" und unangreifbare Botschaften wie "Zuerst das Volk, dann der Kanzler".
Ist er am Ende unbesiegbar? Die kommenden Monate werden es zeigen. Eine erste Zwischenzeitmessung gibt es für alle am 9. Juni. Dann kalibrieren auch die Meinungsforscher ihre Umfragen neu ...