Welt
So trauert die Welt um Joseph Ratzinger
Der emeritierte Papst Benedikt ist an Silvester verstorben. Staatschefs äußern ihre Trauer, doch auch Kritik am Ex-Kirchenführer bleibt nicht aus.
Zahlreiche internationale Regierungschefs haben den emeritierten Papst Benedikt XVI – mit bürgerlichem Namen Joseph Ratzinger – nach dessen Ableben am Silvestermorgen geehrt und ihre Trauer ausgedrückt. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat den verstorbenen ehemaligen Papst Benedikt XVI als einen "Giganten des Glaubens und der Vernunft" bezeichnet und seinen lebenslangen Dienst an der Kirche gewürdigt. Die Geschichte werde Benedikt niemals vergessen, sagte sie am Samstag.
Der französische Staatschef Emmanuel Macron schrieb auf Twitter: "Meine Gedanken sind bei den Katholiken in Frankreich und in der ganzen Welt, die um Seine Heiligkeit Benedikt XVI trauern, der sich mit Seele und Verstand für eine brüderlichere Welt eingesetzt hat." Der neue britische Premierminister Rishi Sunak schrieb über Benedikt: "Er war ein großer Theologe, dessen Besuch im Vereinigten Königreich im Jahr 2010 ein historischer Moment sowohl für Katholiken als auch für Nicht-Katholiken in unserem Land war. Meine Gedanken sind heute bei den katholischen Menschen im Vereinigten Königreich und in der ganzen Welt."
Auch der Kreml veröffentlichte am Samstag ein Kondolenzschreiben. Darin bezeichnete der russische Präsident Wladimir Putin Ratzinger als "Verteidiger traditioneller christlicher Werte" und als "herausragende religiöse und staatliche Persönlichkeit". "Tief berührt habe ich vom Ableben des emeritierten Papstes Benedikt XVI. erfahren. Er war Österreich in besonderer Weise verbunden", schrieb Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen. "Durch seine neutrale und diskrete Vermittlung in zahlreichen Krisensituationen hat Benedikt XVI. die Außenpolitik des Heiligen Stuhls nachhaltig geprägt." Bundeskanzler Karl Nehammer schrieb: "Er war eine bemerkenswerte historische Persönlichkeit, ein großer Gelehrter schon in jungen Jahren."
Ratzinger war "kluger Theologe" und "streitbare Persönlichkeit"
Olaf Scholz ehrte den früheren Papst als "besonderen Kirchenführer" und "klugen Theologen", bezeichnete Benedikt jedoch auch als "streitbare Persönlichkeit". Das in Likes ausgedrückte Mitgefühl der Twitter-Nutzer auf den Tweets von Scholz, Sunak und Macron fällt dabei jedoch eher verhalten aus, nicht bei allen Usern ist die Rührung und Anteilnahme über das Ableben des streitbaren Benedikt allzu groß.
So weist beispielsweise der deutsche Journalist Stephan Anpalagan auf Benedikts Umgang mit dem Thema Kindesmissbrauch hin, für den er insbesondere nach seiner Zeit als Kirchenoberhaupt schwere Kritik hinnehmen musste.
Bericht der katholischen Kirche machte Ratzinger schwere Vorwürfe
In einem von der katholischen Kirche in Deutschland in Auftrag gegebenen Bericht aus dem Jänner 2022 wurde Benedikt für seinen Umgang mit vier Fällen von sexuellem Missbrauch während seiner Zeit als Bischof von München in den 1970er- und 1980er-Jahren gerügt. So soll er in vier Fällen nichts gegen die des Missbrauchs beschuldigten Kleriker unternommen haben. Benedikt selbst bat noch im Februar um Vergebung für "schwere Fehler" im Umgang mit den Münchner Priestern, weist aber ein persönliches Fehlverhalten zurück.
Auch die ARD-Journalistin Marion Kuchenny weist auf die harte und konservative Linie Ratzingers in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche, die LGBTQ-Community und eine Öffnung der Kirche hin.
Reform-Initiative sieht Ratzinger als "in Angst erstarrten Theologen"
Die Reform-Initiative "Wir sind Kirche" bezeichnete den Verstorbenen am Samstag als widersprüchlichen Theologen, der seiner Kirche ein schweres Erbe hinterlassen habe. Er habe die katholische Kirche "über Jahrzehnte in rückwärtsgewandter Weise geprägt", teilte die Initiative am Samstag mit.
Während Joseph Ratzinger als junger Theologe die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) mitgeprägt habe, habe er sich später als ein "von Misstrauen getriebener und in Angst erstarrter Theologe" erwiesen, "der mit seinen Leitungsaufgaben überfordert war".