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So funktioniert das Schlepper-Geschäft
Wie viel Geld wird im Schleppergeschäft umgesetzt? Und was kostet die illegale Reise nach Europa? Ein Überblick.
Der Kampf gegen illegale Migration steht seit Jahren ganz oben auf der politischen Agenda vieler Staaten. Doch warum boomt das Geschäft der Schlepper weiter? Die Nachrichtenagentur SDA hat zwei Fachleute des internationalen Migrationsforschungsinstituts ICMPD in Wien, Martin Hofmann und Veronika Bilger, sowie deutsche Sicherheitsexperten dazu befragt.
Wie viel kostet eine illegale Einreise nach Europa?
In der "Holzklasse", also in nicht seetauglichen Booten im Mittelmeer, sind es oft 200 oder 300 Dollar. Auf der Balkanroute konnte man im Jahr 2015 zeitweise auf Schleichwegen noch schneller und günstiger quer durch Europa gelangen als im Bus oder Zug. Damals war das Schleppergeschäft in Europa für einen Moment tot. Derzeit kostet es wieder bis zu rund 10.000 Dollar. Für 20.000 Dollar bekommt man auch perfekte Dokumente mit einem Lebenslauf und kann sich in der Luxusjacht aus der Türkei nach Italien bringen lassen.
Für das Schleusen von Afghanistan bis Deutschland via Balkan mussten 2016 zwischen 4.700 und 5.500 Dollar bezahlt werden. Die Kosten für die Bootsüberfahrt von der Türkei nach Griechenland brachen mangels Erfolgsaussichten der Weiterreise von 800 Dollar 2016 auf etwa 300 Dollar ein. Die De-Luxe-Variante der Schleusung via Flugzeug kostet nach Angaben der Sicherheitsexperten mindestens 25.000 Dollar pro Person.
Wie lange sind Migranten etwa nach Deutschland unterwegs?
Von Kabul nach Deutschland dauerte eine Schleusung über die Balkanroute 2016 durchschnittlich 240 Tage. Schleuser organisieren die Strecke häufig in Etappen. Dabei gibt es oft sehr lange Aufenthalte in der Türkei und in Griechenland. Oft hängen die Menschen auch in Serbien fest, seitdem Ungarn die Grenzsicherung hochgefahren hat. Durch Ungarn brauchen die Menschen im Schnitt sechs Tage, durch Österreich dann noch einmal zwei.
Auf der Südroute sind die Flüchtlinge und Migranten etwa aus der Subsahara-Region bis nach Libyen zwischen wenigen Tagen und einigen Wochen unterwegs. 2017 hat sich die Zeit, die bis nach Libyen gebraucht wird, wegen der Bekämpfung der Schleusung in der Region verlängert – durch die Wüste müssen zum Teil Ausweichrouten genommen werden. Aus Ostafrika brauchen die Migranten sechs bis acht Monate bis Italien. Aus Syrien und dem Irak dauere die Reise etwa 180 Tage, so die Experten. Zum Teil seien Menschen auch zwei Jahre unterwegs.
Wie viel Geld wird im Schlepper-Business umgesetzt?
Die Angaben sind oft nur vage Schätzungen. Experten rechnen zurzeit mit einem Gesamtumsatz der Schleusung nach Westeuropa auf allen Routen – inklusive Fernost – in Höhe von drei bis vier Milliarden Dollar. Darin seien die Kosten für Schlepper, Unterkunft und Verpflegung enthalten.
Wie kauft man eine Schlepperreise nach Europa?
Ein weit verbreitetes Muster ist, dass man zur Vertrauensperson im Heimatort geht und einen Vertrag abschließt. Die gleiche Herkunft ist wichtig, weil Vertrauen zwischen der Familie und dem Schmuggler vorhanden ist. Erst wenn Sohn oder Tochter gemeldet haben, dass sie im Zielland sind, bekommt der Schmuggler bei dieser Form das Geld, das bei einer Vertrauensperson deponiert wurde. Als Beweis dient etwa ein Selfie vor einer bekannten europäischen Sehenswürdigkeit. Oft werden Schlepper-Angebote auch auf Facebook verbreitet.
Wie sehen Angebote für "Individualreisende" aus?
Wenn Migranten in Etappen gehen, kontaktieren sie dort jeweils selbstständig agierende Schlepper. Zum Beispiel wird die Hälfte des vereinbarten Betrags vor dem Grenzübertritt gezahlt und die andere Hälfte danach. Im Mittelmeer gibt es dieses System für jene, die auf guten Plätzen auf den Schiffen sitzen. Andere müssen weniger zahlen, haben aber auch keine Garantie – bei den billigsten Angeboten nicht einmal mehr fürs Überleben.
Was kosten gefälschte Unterlagen?
Einen bulgarischen Pass erhält ein Migrant auf dem Schwarzmarkt für 800 Euro – für einen echten syrischen Pass aus erbeuteten Beständen muss man etwa 2.000 Euro hinlegen. Eine Komplettausstattung inklusive Führerschein und Geburtsurkunde kostet 5.000 bis 10.000 Euro. Reisepässe, die auch einer Überprüfung am Flughafen standhalten, sind für etwa 2.000 Euro zu haben.
Warum gelingt es nicht, den Schleppern das Handwerk zu legen?
Sie haben viele Unterstützer, die auch ohne große kriminelle Energie innerhalb kurzer Zeit viel Geld verdienen können. Und dabei auch wenig moralische Skrupel haben, weil sie ja offenbar Menschen in Not helfen. Das führt dazu, dass sich viele Leute daran beteiligen. Ohne sie würde es gar nicht gehen, urteilen die Wiener Fachleute. Außerdem gelten die Netzwerke als flexibel und schwer fassbar.
Bringt eine Verschärfung der Grenzkontrollen etwas?
Je mehr und je stärker kontrollierte Grenzen bis zur Zielregion überwunden werden müssen, desto schwieriger, teurer und langwieriger werde die Migrationsbewegung der einzelnen Menschen, so die Wiener Experten. Grenzkontrollen können das Geschäft der Schlepper erschweren, aber auch in eine bestimmte andere Richtung lenken. Und die Preise steigen lassen.
Könnten die Sicherheitsbehörden mehr tun, um Schlepper zu bekämpfen?
Es gibt eine Tradition, sich auf das Verhindern der illegalen Einreise zu konzentrieren. Aktionen, die sich gegen die Organisation der Weiterreise in andere Länder richten, sind aufwendig und deutlich seltener. Damit ist der Druck auf jene Schlepper, die im Land agieren, relativ gering. Wenn es mehr länderübergreifende Aktionen gäbe, würde dies das Geschäft vermutlich massiv stören und erschweren, so die Experten.
Wie sind Schleppernetzwerke organisiert?
Die Beteiligten, Rollen und Taktiken sind von Region zu Region unterschiedlich. Es gibt eine starke Arbeitsteilung: Jemand ist zuständig fürs Geld, einer für Fahrer, ein anderer besorgt die Dokumente und wieder einer kontaktiert die Kunden und führt Vertragsverhandlungen. Das zentrale Element sind lokales Wissen und lokale Kontakte. Eine wichtige Rolle spielen gleiche Herkunft oder Ethnie und Vertrauen. (mlr/sda)