Ukraine

Schweizer Armee-Chef putzt Putins Truppen runter

Armee-Chef Thomas Süssli bewertet zum Jahrestag der Ukraine-Invasion Putins Truppen – und sagt, ob die Schweiz für einen Krieg gerüstet ist.

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Korpskommandant Thomas Süssli, Chef der Schweizer Armee, Mitte Februar 2023.
Korpskommandant Thomas Süssli, Chef der Schweizer Armee, Mitte Februar 2023.
ANTHONY ANEX / Keystone / picturedesk.com

Am frühen Donnerstagmorgen des 24. Februar 2022 startete Russland seinen Einmarsch in die Ukraine. Seither gab es Zehntausende Verletzte und Todesopfer. Am Freitag jährt sich dieses Schreckensereignis zum ersten Mal.

International wird der Kriegsverlauf sehr genau beobachtet, selbst bei unseren neutralen Nachbarn in der Schweiz. Die vielen Todesopfer und die Opferbereitschaft der ukrainischen Armee und der Bevölkerung sowie die Übergriffe der russischen Truppen hätten ihn am meisten berührt, sagt der 56-jährige Chef der Schweizer Armee, Thomas Süssli, nun in einem Interview mit den Zeitungen der "CH Media"-Gruppe.

Russland kommt dabei nicht gut weg. Bei Wehrdemonstrationen hätte Putins Armee viel modernes Kriegsgeräte vorgeführt, doch "inzwischen hat sich herausgestellt, dass das meiste bei den Truppen gar nicht eingeführt ist." Süssli glaubt nicht, dass es den Mythos, dass Russland über die zweitbeste Armee der Welt verfüge, jemals gegeben habe. Allerdings habe sich eines bewahrheitet: Russland verfügt über riesige Mengen an Material und Menschen.

Putins schlimmer Fehler

In einer ersten Phase sei Präsident Wladimir Putin wohl davon ausgegangen, dass er die ukrainische Regierung stürzen und das Land besetzen könne, so Süssli weiter. Putins Truppen seien aber nicht auf diese Operation vorbereitet gewesen.

In einer zweiten Phase habe Russland vor allem mechanisierte Kräfte eingesetzt, was an den Zweiten Weltkrieg erinnert habe.

Die dritte Phase habe in mancher Hinsicht an den Ersten Weltkrieg erinnert, sagt der Chef der Armee. Die Russen hätten sehr viel Artillerie eingesetzt und so den Kampfraum vorbereitet – dann sei Infanterie nachgerückt.

Ukrainer lernen schnell

Von den ukrainischen Streitkräften zeigt sich der Armeechef beeindruckt. Die Verteidiger hätten viele verschiedene Systeme im Einsatz. "Jedes System erfordert Ausbildung und eine Einsatzdoktrin. Dazu braucht es Logistik für Munitionsnachschub und Ersatzteile", weiß Süssli.

Es sei erstaunlich, wie schnell diese Ausbildungen durchgeführt würden. In der Schweiz werde eine Panzerbesatzung in der Rekrutenschule innerhalb von 18 Wochen ausgebildet. Die Ukraine sei deutlich schneller.

"Jeder Soldat kann per Smartphone Feuer anfordern" – Thomas Süssli

Weiter geht Süssli darauf ein, dass die Ukraine alte Waffensysteme mit neuen Technologien kombiniert. "Es gibt verschiedene Tendenzen. Soldatinnen und Soldaten oder Bürgerinnen und Bürger können etwa über ihr Smartphone Bilder posten, die das aktuelle Lagebild vervollständigen."

Außerdem stünden der Armee zwei Apps zur Verfügung, eine für die Feuerführung. "Im Gefecht kann jeder Soldat per Tablet oder Smartphone Feuer anfordern", so Süssli. Auch in der Schweiz seien verschiedene Ideen zur Modernisierung in diese Richtung vorhanden.

Ein Drittel der Armee soll erneuert werden

Über eine Mobilmachung könnten in der Schweiz laut Süssli 100.000 Menschen aufgeboten werden. Unter Notrecht könnte der Bundesrat auch Jahrgänge zurückholen, die bereits aus der Armee entlassen wurden. Das seien etwa 15.000 pro Jahrgang.

In den nächsten 20 Jahren müsse die Armee 24 Hauptsysteme ersetzen. Bis Ende des Jahrzehnts soll ein Drittel der Armee komplett erneuert werden, dazu gehören zwei Panzerbataillone und sechs Infanteriebataillone.

Ausrüstung im Kriegsfall

Süssli kann sich vorstellen, dass ein Teil der Artillerie in Zukunft durch bewaffnete Drohnen und "Loitering Munition" (dt. in etwa "herumlungernde Munition"). Damit werden Lenkwaffen bezeichnet, die zunächst ohne bestimmtes Ziel gestartet werden und anschließend längere Zeit über dem Zielgebiet kreisen bis ihnen ein Ziel zugewiesen wird.

"Was wir aus dem Ukraine-Krieg lernen: Man hat nie genügend Munition" – Thomas Süssli

"Die Shahed-136 zum Beispiel – eine iranische Drohne – kostet nur gerade 20.000 Dollar. Sie fliegt aber mehrere Hundert Kilometer weit und trifft das Ziel präzise". Ein Vorteil von "Loitering Munition" gegenüber herkömmlicher Artillerie sei, dass die Munition ein Ziel auf große Distanz sehr präzise treffen könne. Auch die Beschaffung von Raketenartillerie werde geprüft, da diese doppelt so weit schießen könne wie die herkömmliche Artillerie.

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    Archivaufnahmen eines Abschusses von Shahed-136 Drohnen im Rahmen einer iranischen Übung und Machtdemonstration im Dezember 2021.
    Archivaufnahmen eines Abschusses von Shahed-136 Drohnen im Rahmen einer iranischen Übung und Machtdemonstration im Dezember 2021.
    Screenshot YouTube / Ukrainisches Militär

    Thomas Süssli erwähnt zwar, dass die Schweiz über genügend Munition verfüge, wenn die Bedrohung unter der Kriegsschwelle liege. Wie die Verfügbarkeit in einem Kriegsfall aussieht, ist geheim. "Was wir aus dem Ukraine-Krieg lernen: Man hat nie genügend Munition. Und wir haben sicher nicht genug". Die Armee beschaffe jedes Jahr zusätzlich kleinere Mengen an Munition nach – mehr als üblicherweise vorgesehen.

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      ALEX WROBLEWSKI / AFP / picturedesk.com