Wien
Diese Wiener Torten bleiben fix nicht im Hals stecken
Schwarzwälder Kirsch statt ödem Brei: Der Traditionsbetrieb Querfeld stellt Torten für Menschen mit Schluckbeschwerden her und will Inklusion fördern.
Pudding oder Brei in den wenig ansprechenden Farbtönen beige, hell- oder dunkelbraun. So sieht die Nachspeise für Menschen aus, die an Dysphagie, also Schluckbeschwerden leiden. Die Lust am Essen vergeht den Betroffenen dabei ebenso, wie Angehörigen die Lust am Zusehen. Erkrankte ziehen sich zurück, vereinsamen. Ein Teufelskreis, den man mit den "Marvella"-Torten – deren Name sich aus 'marvellous' und 'bella', also wunderschön, zusammensetzt – nun brechen will.
Schwieriger und zeitaufwändiger Prozess
Die neuartigen Torten sind quasi ein "Pandemie-Baby" des Wiener Traditionsbetriebes Querfeld, der für die Konditorei Landtmann produziert. Die Idee dazu hatte die Chefin selbst: "Ich kenne jemanden, der an Dysphagie leidet – wie so viele Menschen. Also habe ich mich damit auseinandergesetzt", so Irmgard Querfeld. "Zehn Prozent der Bevölkerung leidet an Kau- oder Schluckbeschwerden, das ist eine große Menge. Je älter sie sind, desto häufiger kommt es vor. Diese Menschen sieht man nicht, denn sie ziehen sich zurück."
Im ersten Lockdown startete die Patisserie die Produktion von "schluckfreundlichen" Torten. "Wir hatten Zeit, die Lokale waren geschlossen, das Personal aber da." Die Produktion sei schwieriger gewesen als gedacht. "Die Herausforderung ist, dass man über drei Schichten die gleiche Konsistenz erzeugen muss. Dysphagie-Patienten verschlucken sich leicht und das kann lebensbedrohlich sein. Der Prozess war langwierig und ist auch noch nicht zu Ende."
"Wollen die Freude am Essen zurückgeben"
Das Geheimnis: Biskuit wird normal gebacken, danach zerkleinert und mit anderen Zutaten vermengt und danach noch einmal gestockt. Dabei wird auf chemische Bindemittel verzichtet und stattdessen auf hochwertige Zutaten gesetzt, betont die Chefin. Denn: "Es soll nichts sein, das man nur isst um satt zu werden. Essen soll auch Spaß machen. Das kennt jeder, der einmal Zahnprobleme hatte – die Freude am Essen geht verloren und wir wollen sie wieder zurückgeben und etwas produzieren, dass gut schmeckt und schön anzuschauen ist."
Das Ergebnis sind drei Sorten an Torten (Marille, Mozart und Schwarzwälder Kirsch), die bei der Produktionsstätte in Liesing abzuholen oder über den Anbieter "Gurkerl" zu bestellen sind. Kosten pro Stück: 28 Euro. "Wir haben bewusst traditionelle Sorten ausgewählt, da viele ältere oder demenzkranke Personen sich damit an früher erinnern", so Querfeld. Zielgruppen sind vorerst Krankenanstalten sowie Senioreneinrichtungen – eine davon ist die Caritas Socialis, wo "Heute" mit Tageszentrum-Besucherin Monika sprach.
"Essen bedeutet Lebensqualität"
Die 51-Jährige leidet an einer neurologischen Erkrankung und kann nur schwer kauen und schlucken. Eine normale Torte zu essen wäre für sie nicht möglich. Die Diagnose bekam die Wienerin schon früh, im Alter von 15 Jahren. "Ich war Turnierreiterin, hatte ein eigenes Pferd. Anfangs war es nicht so schlimm, aber die Krankheit schreitet in Schüben voran", erzählt sie. Die Torten bedeuten für sie einen Meilenstein – und das obwohl sie eigentlich keine "Süße" sei, wie sie schmunzelnd verrät.
Das Feedback sei großartig, sagt Petra Hausteiner, Leiterin des Tageszentrums: "Es herrscht durchwegs Begeisterung. Denn Essen bedeutet Lebensqualität und durch die Torten wird die soziale Teilhabe gestärkt. Und das Auge isst mit." Einziger "Haken": Aufgrund der Textur müssen die Torten stets tiefgekühlt werden.
An Torten wird noch geforscht
Auch bei Logopäden kommen die neuen Torten gut an. Alexander Fillbrandt arbeitet tagtäglich mit Menschen mit Kau- und Schluckstörungen und weiß, was diese Neuerung für sie bedeutet: "Bei Hochzeiten oder Geburtstagen essen diese Menschen alleine, ziehen sich zurück. Das ändert sich durch die Torten. Jeder kann sie essen und sie schmecken gut. Der Rachen kann besser damit umgehen. Es bedeutet Inklusion und Teilhabe."
Er hofft, dass die "Marvella"-Torten künftig auch in Kaffeehäusern zu bestellen sind. Bis dahin sei es jedoch noch ein Stück, so Querfeld. Erstmal gehe es darum, sie bekannt zu machen. "Wir sind noch mitten im Forschungsprojekt, machen Analysen und sind auf der Suche nach Partnern." Die Entwicklung der Torten wird von der Wirtschaftsagentur Wien gefördert.
Das Tageszentrum der Caritas Socialis zieht schon bald in die Breitenfurter Straße (Liesing), wo man die Cafeteria ganz neu denken will: Die "Marvella"-Torten sollen dort zum Fixpunkt werden, freut sich Hausteiner. Der Test habe schließlich gezeigt: Sie kommen bestens an!