Millionen-Business

Schlepper auf TikTok – das Geschäft mit der Flucht

Sie machen Werbung im Netz und werfen zur Feier Granaten in die Luft. Für Menschenhändler ist die Flucht über den Ärmelkanal ein lukratives Geschäft.

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Schlepper auf TikTok – das Geschäft mit der Flucht
Bereits über 10.000 Migranten haben dieses Jahr mit kleinen Gummibooten den Ärmelkanal überquert. Organisiert wird diese gefährliche Reise von Schlepper-Banden.
REUTERS/Chris J. Ratcliffe/File Photo

34 Kilometer: So breit ist der Ärmelkanal zwischen Calais (FR) und Dover (UK). Für viele Geflüchtete ist es die letzte Etappe einer langen Flucht.

Nach offiziellen Zahlen der britischen Regierung haben seit 2018 knapp 120.000 Menschen die Passage in kleinen Gummibooten gemeistert. Die meisten davon kommen aus Afghanistan, dem Iran, der Türkei und Eritrea. Mindestens 159 Personen sind beim Versuch gestorben.

Viele nehmen dir Reise trotz der Risiken auf sich. Mittlerweile ist die Route über das Meer gängiger als der Weg durch den Eurotunnel. "Die Grenzen sind stark bewacht und Tankstellen von meterhohen Betonmauern umgeben, damit sich keine Migranten mehr in Lastwagen verstecken können", sagt ein Senior Analyst bei der NGO "Global Initiative", der anonym bleiben möchte, um seine Feldforschung nicht zu gefährden. Dennoch versuchen es Menschen immer wieder auf diesem Weg. Vor allem, wenn das Geld für die Überfahrt im Gummiboot fehlt.

Preis hängt von Staatsangehörigkeit ab

"Eine Überfahrt kostet 2.000 bis 5.000 Euro – je nach Nationalität der Migrierenden", sagt der Analyst. Von Albanerinnen und Albanern werde erwartet, dass sie mehr Geld besitzen, weshalb sie auch mehr zahlten.

Geflohene aus Subsahara-Ländern hingegen zahlten weniger oder arbeiteten, um sich die Reise leisten zu können. "Sie verkaufen Zigaretten in den Camps, waschen Wäsche für die Schmuggler oder agieren gleich selbst als Schmuggler der untersten Stufe."

20 Schlepper-Netzwerke

In der Region soll es insgesamt knapp 20 Schlepper-Netzwerke geben. Ein einzelnes bestehe meist aus acht bis zwölf Personen. Der Boss befinde sich fast immer im Ausland. "In der Region um Calais sind es entweder irakische oder iranische Kurden, die die Abfahrtsorte kontrollieren."

Vor Ort arbeiteten sie vor allem mit Albanern, aber auch Afghanen, Syrern und Türken zusammen, die in Kontakt mit Migranten sind und zum Beispiel Preise verhandeln. "Das Fußvolk vor Ort besteht dann eben oft aus Migranten selbst, die Leute auf die Boote setzen und ihnen kurz zeigen, wie sie zu steuern haben."

"Überfahrt in nur drei Stunden!"

Das illegale Geschäft läuft vor allem über Mund-zu-Mund-Propaganda und Social Media. Die Schlepper werben mit kurzen TikTok-Videos für ihre scheinbar einfachen und sicheren Überfahrten, sagt Ryan Schroeder vom "Missing Migrants Project" (IOM). "Eigentlich funktionieren sie wie eine Art Untergrund-Reisebüro." Mit England verbinden viele Migranten die Aussicht, einen Job zu finden und Familienmitglieder wiederzutreffen. "Außerdem ist es im Vergleich zu anderen Sprachen relativ einfach, Englisch zu lernen."

Ist der Kontakt über Social Media oder Whatsapp hergestellt, wird der Preis festgelegt. Das Geld für die Überfahrt wird meist über zwielichtige Geldtransfer-Agenturen auf ein Sperrkonto eingezahlt. "Die gibt es vom Nahen Osten bis Spanien, von Nordafrika bis England. Ich weiß aber auch von einem Barbier in Paris, der vorne Haare schneidet und hinten ein Schmuggler-Business betreibt."

Das Geld bleibe so lange blockiert, bis die Migranten erfolgreich den Ärmelkanal überquerten. "So soll verhindert werden, dass die Schmuggler sie einfach ertrinken lassen."

Viel Waffengewalt in den provisorischen Lagern

Trotzdem ist das Geschäft mit der Flucht unglaublich lukrativ. "Ein einzelnes Netzwerk kann pro Monat fast eine Million Euro verdienen", sagt der Analyst. Dafür werden so viele Migranten wie möglich auf ein Boot gestopft. Meist reichen nicht einmal die Schwimmwesten für alle. Aber auch das Wetter auf See mache die eigentlich kurze Überfahrt so gefährlich – und der Verkehr. "Der Ärmelkanal ist die meistbefahrene Schiffsroute der Welt."

Schafft ein Boot die Überquerung, wird auf der anderen Seite in Frankreich gefeiert. "Die Schlepper schießen dann gerne mal mit ihren Waffen in die Luft." Generell seien Waffen gängig in den provisorischen Lagern um Calais. "In Lille kann man die relativ einfach kaufen." Denn wo viel Geld zu holen ist, gibts auch viel Konkurrenz. "Es kommt immer wieder zu Kämpfen zwischen rivalisierenden Gangs. Aber auch die Migranten werden oft mit Gewalt kontrolliert."

"Sie werden immer Wege finden"

Große Lager wie der berühmte "Dschungel" in Grande-Synthe, wo etwa 10.000 Geflüchtete lebten, gehören längst der Vergangenheit an. "Die französischen Behörden wenden seit 2016 eine Abschreckungsstrategie an und zerschlagen alle Lager systematisch alle 48 Stunden".

Die meisten Migranten werden laut ihm von den Schleppern im französischen Inland, Belgien oder Deutschland untergebracht, bis die Konditionen an der Küste günstig sind. Die Netzwerke seien unglaublich organisiert und anpassungsfähig. "Sie werden immer Wege finden, Menschen über Grenzen zu schmuggeln – sofern die Nachfrage und damit ihr Verdienst hoch bleiben."

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