Ukraine

"Haben bereits verloren" – Kritik an Putin immer lauter

Gegenüber der russischen Führung steigt der Unmut. Nun wurde von einem rechtsextremen Nationalisten behauptet, man habe bereits verloren.

20 Minuten
Wladimir Putin gerät auch intern in Kritik.
Wladimir Putin gerät auch intern in Kritik.
Sputnik/Alexey Maishev/Pool via REUTERS

"Der Krieg in der Ukraine wird bis zur vollständigen Niederlage Russlands weitergehen", schimpfte der rechtsextreme Nationalist Igor Girkin am Montag in einer Videoansprache auf Telegram. "Wir haben bereits verloren, der Rest ist nur noch eine Frage der Zeit", schreibt er dort. Worte, die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin alles andere als gefallen dürften.

Unmut wird immer lauter

Girkin, ein ehemaliger Oberst des russischen Geheimdienstes, der 2014 Kommandant der prorussischen Separatisten wurde, ist wohl die prominenteste Stimme innerhalb einer immer lauter und wütender werdenden Gruppe ultranationalistischer und kriegsbefürwortender Blogger, die dem Kreml vorwerfen, seine taktischen Ziele nicht erreicht zu haben.

Nach der jüngsten Gegenoffensive der Ukraine im Süden und Nordosten des Landes haben diese Blogger – denen bisher eine öffentliche Plattform gewährt wurde, die den meisten anderen russischen Bürgern verwehrt bleibt – ihre Kritik am Kreml verschärft, indem sie die unzureichende Leistung der Armee im Krieg anprangerten und Wladimir Putin aufforderten, eine umfassende Mobilisierung auszurufen.

"Sie werden sicherlich immer wütender, und das aus gutem Grund, zumal die Kluft zwischen der offiziellen Darstellung und der Realität vor Ort immer grösser wird", sagte Mark Galeotti, ein Experte für russische Sicherheitsfragen, gegenüber dem britischen "Guardian".

Am Mittwoch starteten die ukrainischen Streitkräfte in der Nähe der zweitgrößten Stadt des Landes, Charkiw, einen überraschenden Gegenangriff, bei dem sie Balaklija, eine strategisch wichtige Stadt mit 27.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, einkesselten und mehrere kleinere Siedlungen zurückeroberten.

Die Militärblogger, bei denen es sich oft um ehemalige Veteranen mit Kontakten an der Front handelt, bieten auch einen seltenen Einblick in die tatsächliche Leistung Russlands vor Ort. "Einige sind sehr zweifelhafte Quellen, aber es gibt auch solche – wie Girkin –, die wissen, wovon sie reden, und die offensichtlich mit Leuten an der Front in Kontakt stehen oder sich anderweitig auskennen", so Galeotti weiter.

Die russische Regierung hat ihre eigenen Verluste seit dem 25. März nicht mehr veröffentlicht, als sie eine Gesamtzahl von 1351 Toten und 3825 Verwundeten angab. Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass seit Beginn des Krieges bis zu 80’000 russische Soldaten getötet oder verwundet wurden. Der ehemalige Oligarch und Putin-Kritiker Michail Khodorkowski hat auf Twitter ein Dokument veröffentlicht, das vom russischen Finanzministerium stammen soll.

Darin wird vorgerechnet, dass der Kreml bereits rund 361 Milliarden Rubel für die Kompensation von Angehörigen Gefallener ausgegeben hat. Bei einer Entschädigung von 7,4 Millionen Rubel pro Soldat dürften also bereits rund 50.000 russische Soldaten getötet worden sein. Vermisste Soldaten sowie Verluste aus den Truppen der "Volksrepubliken" und von privaten Söldner-Organisationen sind nicht beinhaltet.

Stattdessen hat das russische Verteidigungsministerium seit Beginn des Krieges wiederholt Erklärungen über seine Erfolge auf dem Schlachtfeld abgegeben und sich damit gebrüstet, mehr als 40 Himars-Raketenwerfer zerstört und die ukrainische Luftwaffe dezimiert zu haben. Auch das staatliche Fernsehen zeichnet weiterhin ein rosiges Bild der russischen Erfolge in der Ukraine. In einer kämpferischen Rede bekräftigte Putin am Mittwoch, dass Russland in einem Krieg sei, der nach seinen Worten planmäßig verlaufe und "nichts verloren" habe.

Ukraine zuletzt mit Erfolgen

Aleksandr Kots, ein kremlnaher Kriegsjournalist, warf den russischen Behörden am Mittwoch vor, «schlechte Nachrichten» über die Situation vor Ort zu verbergen. "Wir müssen anfangen, etwas gegen das System zu unternehmen, in dem unsere Führung nicht gerne über schlechte Nachrichten spricht und deren Untergebene ihre Chefs nicht verärgern wollen", sagte er.

Die jüngste Offensive der Ukraine hat auch zu erneuten Forderungen der Nationalisten nach einer Generalmobilmachung geführt, ein Schritt, den Putin bisher abgelehnt hat, obwohl sich die Anzeichen verdichten, dass die russische Armee mit einem akuten Mangel an neuen Soldaten zu kämpfen hat.

1/9
Gehe zur Galerie
    Wladimir Putin und der armenische Premierminister Nikol Pashinyan beim Wirtschafsforum.
    Wladimir Putin und der armenische Premierminister Nikol Pashinyan beim Wirtschafsforum.
    VLADIMIR SMIRNOV / AFP / picturedesk.com