Havanna-Syndrom
Russische Mikrowellenangriffe laufen über die Schweiz
Beim Nato-Gipfel im Vorjahr klagt ein Mitarbeiter des Pentagon über Symptome, die dem Havanna-Syndrom ähneln. Das Ministerium bestätigt den Fall.
Bei einem hochrangigen Beamten des US-Verteidigungsministeriums sind beim Nato-Gipfel im litauischen Vilnius im vergangenen Jahr Symptome aufgetreten, die denen des sogenannten Havanna-Syndroms ähneln.
Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh bestätigte den Fall am Montag (Ortszeit) in Washington auf die Frage nach einem entsprechenden Medienbericht. "Ich kann bestätigen, dass ein hochrangiger Beamter des Verteidigungsministeriums Symptome hatte, die denen ähneln, die bei den ungewöhnlichen Gesundheitsvorfällen gemeldet wurden." Die Person sei beim Gipfel in Vilnius gewesen, habe aber nicht zur Delegation des Verteidigungsministers gehört.
Nach dem Geräusch folgen die Symptome
Als Havanna-Syndrom werden rätselhafte Symptome wie Kopfschmerzen, Hörverlust, Schwindel und Übelkeit zusammengefasst, über die zahlreiche in der kubanischen Hauptstadt Havanna lebende US-Diplomaten und ihre Angehörigen klagten. Auch an anderen Orten der Welt wurden ähnliche Beschwerden gemeldet. Betroffene gaben an, dass die Symptome begannen, nachdem sie etwa ein seltsames Geräusch hörten oder starken Druck in ihrem Kopf spürten.
Die US-Regierung hatte anfangs nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine Art Angriff gehandelt haben könnte. Vor gut einem Jahr gingen die US-Geheimdienste laut einem offiziellen Bericht dann mehrheitlich davon aus, dass kein "ausländischer Gegner" für das sogenannte Havanna-Syndrom verantwortlich ist. Die gemeldeten Beschwerden seien stattdessen wahrscheinlich das Ergebnis von Vorerkrankungen, anderer Krankheiten oder Umweltfaktoren.
Angriffe sollen über Genf laufen
In einem Bericht von "The Insider" wird eine Reihe von Vorfällen aufgezeigt, die mutmaßlich von Mitgliedern der russischen Einheit 29155 verübt wurden. Diese Einheit ist bekannt für die Verfolgung und Ausschaltung von Personen, die von Russland als Feinde betrachtet werden, sogar im Ausland, wie die Zeitungen der Tamedia berichten. Ein Beispiel sei der Angriff auf den Doppelspion Sergei Skripal in Südengland im Jahr 2018. Die Attentäter dieser Einheit hätten sich zuvor mehrfach in Genf und den französischen Alpen aufgehalten.
Einige der Täter seien auch mit anderen Vorfällen in Verbindung gebracht worden, darunter Angriffe mit Nervengas und Explosionen von Munitionslagern. Viele dieser Agenten verbrachten demnach Zeit in Genf, entweder als Mitarbeiter der russischen Mission bei den Vereinten Nationen oder angeblich, um Englisch zu studieren. Ein solcher Agent, Albert Awerjanow, wurde in Verbindung mit einem Vorfall in Georgien identifiziert und hatte zuvor ein "Geheimpraktikum" in Genf absolviert.
Die russische Mission in Genf diente als wichtiger Ort für die Einheit 29155. Einer ihrer Schlüsselakteure, Egor Gordienko, war laut den Tamedia-Zeitungen dort akkreditiert und diente als Mentor für junge Agenten wie Awerjanow. Gordienko sei mit verschiedenen Angriffen in Verbindung gebracht worden, darunter auch solche mit Mikrowellen in Frankfurt.
Es gibt auch Berichte über Fälle des Havanna-Syndroms in Genf, auch in der US-Mission. Die Schweizer Behörden hätten Kenntnis davon, würden sich aber bedeckt halten und keine Medienberichte kommentieren. Sie betonen jedoch, dass sie gemäß internationaler Abkommen die Sicherheit ausländischer Vertretungen und ihres Personals gewährleisten.
Gepulste Mikrowellen als Auslöser?
Am Montag hatten Journalisten des Magazins "Der Spiegel" gemeinsam mit Kollegen der US-Nachrichtenmagazine "60 Minutes" (CBS) und "The Insider" eine Recherche veröffentlicht, die darlegt, warum hinter dem Havanna-Syndrom womöglich doch Angriffe des russischen Geheimdienstes stecken könnten. Konkret wird vermutet, dass gepulste Mikrowellen das Havanna-Syndrom auslösen.
"Der Spiegel" zitiert auch einen Betroffenen, der behauptet, erste Fälle des Syndroms seien schon 2014 aufgetaucht – im US-Konsulat in Frankfurt am Main. Bislang war weitläufig bekannt, dass die ersten Fälle im Jahr 2016 in Havanna aufgetreten waren. CBS erwähnte in seinem Bericht auch den Fall in Vilnius.
USA äußern sich zurückhaltend
Aus dem US-Außenministerium hieß es, man wolle die Berichte weder bestätigen noch kommentieren. Man habe betroffene Mitarbeiter mithilfe des Havanna-Gesetzes umfangreich entschädigt und unterstützt.
Der Geheimdienstausschuss sei im März 2023 zu dem Schluss gekommen, dass es unwahrscheinlich ist, dass ein ausländischer Gegner für das Havanna-Syndrom verantwortlich sei. An dieser Einschätzung halte man fest. Die Geheimdienste würden neue Informationen auswerten, wenn es solche gebe.