Schock in der Ukraine

Russe tötet Kriegsgefangene, wird von Drohne gefilmt

Vor dem digitalen Auge einer Drohne haben russische Soldaten ukrainische Kriegsgefangene erschossen. Einer der Täter wurde nun selbst gefangen.

20 Minuten
Russe tötet Kriegsgefangene, wird von Drohne gefilmt
Der Moment bevor der russische Soldat (links oben) abdrückt. Die Ukrainer (unten) hatten sich mit Händen hinter dem Kopf ergeben.
Screenshot X/Azow-Brigade

Die ukrainischen Truppen haben im Osten einen russischen Soldaten gefangen genommen, der an der Erschießung ukrainischer Kriegsgefangener in der besetzten Gemeinde New York beteiligt gewesen sein soll.

Wie ukrainische Medien berichteten, hatten drei ukrainische Soldaten Anfang September bei Kämpfen in der Region Donezk die Waffen gestreckt und sich ergeben. Sie seien aber umgehend von russischen Soldaten erschossen worden, doch sei diese Tat von einer Drohne beobachtet und gefilmt worden. Die Täter seien auf dem Video klar erkennbar.

Nun aber sei einer dieser russischen Soldaten in ukrainische Gefangenschaft geraten. Bei seiner Vernehmung habe er über wiederholte Hinrichtungen ukrainischer Soldaten durch seine Landsleute berichtet.

Es würden aber auch russische Soldaten von eigenen Truppen hingerichtet, wenn sie sich weigerten, sich an Massenangriffen gegen ukrainische Stellungen zu beteiligen.

In einem ukrainischen Video erklärt ein vermeintlicher Russen-Soldat, dass es einen Befehl von oben gegeben habe, keine Gefangenen zu machen.
In einem ukrainischen Video erklärt ein vermeintlicher Russen-Soldat, dass es einen Befehl von oben gegeben habe, keine Gefangenen zu machen.
Screenshot X/Azow-Brigade

Der russische Soldat sei inzwischen der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft übergeben worden. Unter Berufung auf die Ermittlungsbehörde berichtete die "Ukrainska Prawda", dass der Staatsanwaltschaft inzwischen 93 Fälle von Erschießungen ukrainischer Kriegsgefangener bekannt seien. Die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew hatte erst am Mittwoch berichtet, das russische Militär habe 16 ukrainische Kriegsgefangene im Gebiet Donezk getötet.

Organraub an Kriegsgefangenen?

Angehörige ukrainischer Kriegsgefangener beschuldigen Russland des Organhandels. Dafür gibt es keine Belege. Dennoch: "Wir erhalten nicht nur gefolterte Leichen zurück, sondern auch solche, die keine Organe mehr haben", so eine trauernde Angehörige, die mit anderen vor dem Sitz des ukrainischen Präsidenten demonstriert, um darauf aufmerksam zu machen.

Larissa Salaewa mutmaßt, dass die Organe auf dem russischen Schwarzmarkt für Organtransplantationen landen. Ihren Verdacht haben einige internationale Medien aufgenommen. Allerdings spricht manches dagegen.

Nicht nur, dass derlei Vorwürfe bereits seit 2014 existieren und von beiden Kriegsparteien erhoben werden – sie haben sich bislang stets auch als haltlos erwiesen, berichtet "20 Minuten"-Chefreporterin Ann Guenter aus der Ukraine.

Die Entnahme von Organen zwecks Transplantation ist eine komplexe Angelegenheit, die schnell und unter sterilen Bedingungen von sich gehen muss. Die Kriegsgefangenen müssten dafür also in Spitäler transportiert werden – russische Strafkolonien erscheinen dafür ungeeignet. Darüber hinaus dürften die Organe von unterernährten und kranken Gefangenen wenig geeignet sein für eine Entnahme.

Folter vertuscht?

"Die meisten Leichen werden mit Organen zurückgebracht", sagt auch Anastasiia Sawowa von der Menschenrechtsorganisation "Always Faithful". Doch: "In einigen Fällen werden alle Organe der Körper entfernt und diese dann ohne sie zugenäht – um es zu verunmöglichen, später die Folgen von Folter nachzuweisen." Das heißt, es werden etwa die Nieren entfernt, sollten diese nach gezielten Tritten und Schlägen geschädigt werden.

Es sei Standard, dass russische Gerichtsmediziner an toten ukrainischen Kriegsgefangener eine Autopsie vornehmen und bei deren Repatriierung einen Schlussbericht beilegen. Oft werde etwa "Lungenentzündung" als Todesursache angegeben – obgleich die Toten offensichtliche Spuren von Folter aufwiesen.

Lappen statt Gehirn

In der Ukraine würden Forensiker die überführten Leichen erneut anschauen, Blutproben entnehmen, innere Organe untersuchen. Doch sie stützten sich vor allem auf die russischen Berichte, was mitunter zu skurril anmutenden Ergebnissen führe.

In einem ukrainischen Autopsiebericht wurde Sawowa zufolge etwa festgehalten, dass ein Mann zwar "drei Lungenflügel, aber keine offenkundigen gesundheitlichen Probleme hatte". Dem gefolterten Rückkehrer "fehlte ein Teil seines Gehirns, stattdessen war ein Lappen eingenäht worden".

UNO: Unterschiedliche Behandlung

Der am 1. Oktober veröffentlichte Bericht der "UN Human Rights Monitoring Mission in Ukraine" (HRMMU) hält fest, dass die russischen Behörden ukrainische Kriegsgefangene "in grossem Umfang und systematisch" foltern und misshandeln. Die Rede ist von "schweren Schlägen, Elektroschocks, sexueller Gewalt, Erstickung, lang andauernden Stresspositionen, exzessive Zwangsübungen, Schlafentzug, Scheinhinrichtungen, Androhung von Gewalt und Demütigung".

Aber auch russische Kriegsgefangene werden in der Ukraine laut HRMMU "in der Anfangsphase ihrer Gefangenschaft Folter oder Misshandlungen durch ukrainische Behörden ausgesetzt, darunter schwere Schläge, Todesdrohungen und körperliche Gewalt, in geringerem Masse auch Elektroschocks".

Aber – und hier liegt der große Unterschied zu Russland: "Folter und Misshandlung hörten auf, als die Gefangenen an offiziellen Internierungsorten ankamen, wo die Bedingungen im Allgemeinen den internationalen Standards zu entsprechen schienen."

In russischer Gefangenschaft werden laut Danielle Bell, Leiterin der UN-Menschenrechtsbeobachtungsmission in der Ukraine, über 95 Prozent der Gefangenen gefoltert. "Das ist das Schlimmste, was ich in meiner 20-jährigen Laufbahn erlebt habe", so Bell. "Das ist ein Kriegsverbrechen."

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    privat, iStock

    Auf den Punkt gebracht

    • Angehörige ukrainischer Kriegsgefangener beschuldigen Russland des Organhandels
    • Dafür gibt es keine Belege
    • Dennoch kommen einige Getötete ohne Organe in der Ukraine an
    • Es besteht der Verdacht, dass so Folter vertuscht wird
    • Der neuste UNO-Bericht bestätigt Folter und Misshandlung von Gefangenen durch russische Behörden
    • Das geschieht auch in der Ukraine – aber nicht systematisch wie in Russland
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