Atlantik-Kollaps droht
"Risiko inakzeptabel"! Klimatologe ruft zum Handeln auf
Die Erderwärmung sorgt für rasante Eisschmelze. Das Mehr an Süßwasser könnte die wichtigste Atlantik-Strömung abreißen lassen – mit schlimmen Folgen.
Eine neue Studie niederländischer Forscher zeigt, dass die Atlantische Umwälzzirkulation (AMOC) möglicherweise nur wenige Jahre bis Jahrzehnte vor einem katastrophalen Kipppunkt steht. Versiegt diese gigantische Nordatlantik-Heizung, drohen Europa künftig bis zu 30 Grad kältere Winter während an der US-Ostküste der Meeresspiegel um bis zu einem Meter ansteigen könnte.
Und: Wenn der Kollaps eintritt, dann geht nach den Berechnungen der Wissenschaftler alles sehr schnell. Zu schnell, um betroffene Metropolen dagegen zu rüsten.
Diese Neuigkeiten aus der Wissenschaft sorgen für Verwirrung: Was ist mit der Erderwärmung? Wird es nun in Europa doch kälter statt wärmer?
"Nein", sagt renommierte Klimaforscher Stefan Rahmstorf jetzt in einem Interview mit der deutschen "taz" und liefert eine anschauliche Erklärung: Der AMOC-Kollaps sei derzeit noch "nur" ein Risiko, das der Weltklimarat IPCC bislang bei weniger als zehn Prozent sah. Die jüngsten Studien deuten für ihn aber darauf hin, dass dies bisher unterschätzt wurde.
"Katastrophale Folgen"
Demgegenüber stünden die gesicherte Folgen der Erderwärmung, wie zunehmende Wetterextreme oder steigende Meeresspiegel als Folge von menschlichen Treibhausgas-Ausstößen.
"Das ist alles gesichert", betont Rahmstorf. "Beim Kipppunkt der Nordatlantik-Zirkulation reden wir hingegen von einem Risiko und nicht von einer gesicherten Folge des Klimawandels."
Doch er warnt davor, dieses zu ignorieren: "Angesichts der katastrophalen Folgen, die ein solches Ereignis hätte, halte ich dieses Risiko für inakzeptabel hoch."
Von globaler Erwärmung überlagert
Die Zahlen aus der niederländischen Studie müsse man aber in Kontext setzen, sagt er. In der Modellsimulation sei der Strömungszusammenbruch rein durch die Zufuhr von Süßwasser berechnet, der gleichzeitige CO2-Anstieg und dessen weitere Folgen aber nicht berücksichtigt worden.
"In der Realität gäbe es aber eine Überlagerung von globaler Erwärmung und dem Abreißen der AMOC, wenn das denn dann tatsächlich passieren sollte", erklärt der Wissenschaftler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Aber: "Trotzdem gäbe es eine massive Abkühlung."
AMOC bestimmt unser Klima
Die Atlantische Meridionale Umwälzbewegung (AMOC) funktioniert wie eine Art riesiges globales Förderband: Sie transportiert über den Golfstrom warmes, sehr salziges Wasser aus den Tropen Richtung Polarkreis, wo das Wasser abkühlt und wegen seiner größeren Dichte absinkt. In der Tiefe strömt es dann deutlich abgekühlt in südlicher Richtung ab.
Die Meeresströmungen transportieren so Wärme und Nährstoffe in verschiedene Gebiete der Erde und tragen entscheidend dazu bei, dass das Klima in großen Teilen der Nordhalbkugel relativ mild bleibt.
In unseren Breiten, etwa in Wien, dürfte dieser Wert bei ungefähr vier Grad im Jahresdurchschnitt betragen. Dazu würde es etwas trockener werden.
Diese Abkühlung wäre im Winter mit fünf bis acht Grad deutlich stärker als im Sommer, wo die Abkühlung durchschnittlich nur etwa einen Grad ausmachen würde.
Damit bliebe die Hitzebelastung im Sommer hierzulande aber genauso hoch wie sie es schon jetzt ist, gleichzeitig würden die Heizkosten im Winter explodieren.
Nicht wie "Day After Tomorrow"
Auf ein Schockfrost-Ereignis wie im Hollywood-Katastrophenfilm "The Day After Tomorrow" (2004) müssen wir uns zum Glück aber nicht einstellen. Das darin gezeigte Szenario sei "auf jeden Fall überzogen", bestätigt der Klimaforscher.
Er habe damals sogar mit Drehbuchautor Jeffrey Nachmanoff über dessen Werk gesprochen: "Er wusste das und sagte: Wenn wir Filme für ein paar Millionen Zuschauer machen würden, würden wir uns an die Gesetze der Physik halten. Da wir aber Filme für ein paar hundert Millionen Zuschauer machen, gelten die Gesetze von Hollywood."
"Bisher nicht gelungen, eine konkrete Zahl anzugeben"
Das Risiko eines AMOC-Kollaps ist abseits solcher Blockbuster aber durchaus real, bereitet seit Jahrzehnten Kopfzerbrechen. Denn die Nordatlantik-Strömung hat sich den Messungen zufolge seit den 1950er Jahren bereits um 15 Prozent abgeschwächt und droht weiter an Fahrt zu verlieren.
Wann es zu einem Zusammenbruch kommt, ist "Eine-Milliarde-Dollar-Frage". Rahmstorf selbst hatte bereits vor knapp 30 Jahren an einer Antwort darauf versucht: "Das Problem ist aber, dass es von ganz subtilen Unterschieden im Salzgehalt und Niederschlagsmengen im ganzen Atlantik abhängt, sodass es bisher nicht gelungen ist, eine konkrete Zahl anzugeben. Das ist also nach wie vor sehr unsicher". Eine dänische Studie rechnet damit, dass es höchstwahrscheinlich noch in diesem Jahrhundert passiert.
"Mit 99,9 Prozent Sicherheit ausschließen"
Er mahnt: "Das heißt aber nicht, dass wir das Problem einfach ignorieren können. Angesichts der katastrophalen Folgen, die ein AMOC-Kollaps bringen würde, sollten wir ihn besser mit 99,9 Prozent Sicherheit ausschließen können."
Rahmstorf pocht auf konsequenten Klimaschutz und ein striktes Einhalten des Pariser Abkommens: "Die Studie verdeutlicht noch mal, dass die Risiken des Klimawandels sehr groß sind und der Zusammenbruch der AMOC ist ja nur ein Risiko unter vielen anderen. Es gibt also sehr gute Gründe, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Aber leider passiert das ja bisher nicht."