Türkis-Grüner Showdown
"Regierungskrise" – in Kürze spricht der Kanzler
Nach Leonore Gewesslers Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz hängt der Haussegen in der türkis-grünen Koalition mehr als schief.
Die Abstimmung zum EU-Renaturierungsgesetz spaltet weiter die Koalition. Der jetzigen hitzigen Debatte ging eine Pressekonferenz von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Sonntag voraus. Dort gab sie bekannt, dass sie am Montag für die EU-Verordnung abstimmen würde – Österreich fungierte dabei als Zünglein an der Waage.
Es folgte vehemente und heftige Kritik der ÖVP. Die Situation erreichte ihren Höhenpunkt, als Bundeskanzler Karl Nehammer der Umweltministerin kurzerhand ihr Stimmrecht entzog. Sie votierte im Europarat trotzdem mit einem klaren "Ja". Österreichs Stimme war somit ausschlaggebend und die EU-Novelle ist fix.
Klage und Regierungskrise
Nun ist die Debatte aber nicht beendet, denn neben dem Jubel der Grünen, der SPÖ und den NEOS brachte die ÖVP eine "Nichtigkeitsklage" beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein. Zudem will Generalsekretär Christian Stocker (ÖVP) die Umweltministerin strafrechtlich anzeigen.
Die Abstimmung belastet das Klima in der türkis-grünen Koalition massiv. Im Ö1-Mittagsjournal sprach Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) von einer "veritablen Regierungskrise", die durch den Verfassungsbruch von Gewessler ausgelöst wurde. Was das für die Koalition bedeute? "Das wird man sich anschauen müssen", gab sich Edtstadler kryptisch. Nun gehe es darum, "dieses Unrecht zu beseitigen" und um eine schnelle Klärung beim EuGH.
Bundeskanzler Karl Nehammer wird angesichts der Regierungskrise noch am Montag um bereits 16:30 Uhr ein Statement abgeben. Zuvor hatte es geheißen, er wolle um 17 Uhr sprechen. Dies wurde inzwischen wieder korrigiert - es bleibt nun bei 17 Uhr! +++ Wir berichten aktuell +++ Das Statement verzögert sich +++
NEOS – Internationale Blamage
Die Situation ist aber nicht nur innenpolitisch brisant, sondern auch international. "Auf EU-Ebene ist das Bild katastrophal. Statt mit einer Stimme die österreichischen Interessen in Brüssel zu vertreten, blamiert uns die Bundesregierung vor unseren europäischen Partnern", hieß es von NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos. Er fügte hinzu: "Das Klima in der Koalition ist nicht mehr zu retten". Für die NEOS gilt es nun abzuwarten, wie die Regierungsarbeit weitergeht. Einen monatelangen Stillstand bis hin zu einer neuen Regierung könne sich Österreich nicht leisten.
SPÖ geben Nehammer Schuld
Auch die SPÖ und ihr Chef Andreas Babler ortet in der "besorgniserregenden Regierungskrise" eine "bittere Stunde für die internationale Reputation Österreichs". Die Schuld dafür verortet Babler aber vor allem bei dem Handeln von Bundeskanzler Nehammer. Die Anzeige gegen Leonore Gewessler sehe der rote Chef als ein Zeichen der Handlungsunfähigkeit der ÖVP. Abgesehen von dem innerpolitischen Debakel zeigte sich auch er – ebenso wie die NEOS – erfreut über die Entscheidung der Umweltministerin.
Kickl fordert Konsequenzen
Herbert Kickl von der FPÖ fordert sofortige "Konsequenzen" gegen Gewessler. Seiner Meinung nach sei dies ein "ideologiegetriebener Alleingang" gewesen. Er sieht im EU-Renaturierungsgesetz den "Tod unserer heimischen Landwirtschaft und damit der Tod der Versorgungssicherheit mit heimischen Lebensmitteln", so der freiheitliche Chef.
Auch Rechtsexperten uneinig
Die Debatte spaltet aber nicht nur die Regierung, sondern auch Juristen und Rechtsexperten. Denn eine Richtlinienkompetenz habe der Kanzler in Österreich nicht. Sein Eingreifen sei somit nichtig. Nun gehe es um die Interpretation der übrigen Rechtslage.
Das steht im umstrittenen Gesetz
Das EU-Renaturierungsgesetz verpflichtet die Mitgliedstaaten, zerstörte Natur wiederherzustellen. Bis 2030 sollen mindestens 20 % der Land- und Meeresflächen der EU und bis 2050 alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme wieder in guten Zustand versetzt werden. Das heißt etwa, Tausende Flusskilometer wieder frei fließen zu lassen und Biotope wie Streuobstwiesen anzulegen. Damit das Gesetz durchgeht, müssen mindestens 15 der 27 EU-Staaten zustimmen (für 65 % der EU-Bevölkerung).
Verfassungsjurist Heinz Mayer ist der Meinung, dass Gewessler auch ohne den Segen der ÖVP zustimmen durfte. "Wenn jetzt jeder Staat vor einer Abstimmung sagen würde: 'Jetzt muss ich noch die Zustimmung meiner Kollegen im Inland einholen', dann käme es ja nie zu einer Entscheidung. Also man muss davon ausgehen, dass unionsrechtlich nur der abstimmen kann, der auch tatsächlich an den Verhandlungen teilgenommen hat. Wie das innerstaatlich ist, hat keine Auswirkung auf die unionsrechtliche Rechtmäßigkeit", erklärte der Experte auf Ö1.
Nehammer Brief mache den Unterschied
Der EU-Rechtsexperte Walter Obwexer sieht das anders. Für ihn ist die ÖVP im Recht. Die EU könne bei Beschlüssen zwar annehmen, dass ein Minister die Vollmacht habe, aber es gebe Ausnahmen. "Eine davon ist für mich dann gegeben, wenn der Regierungschef vorab mitteilt, dass hier die entsprechende Befugnis nach österreichischem Recht fehlt und danach dann auch der Rat verpflichtet ist, dies im Sinne der loyalen Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen und entsprechende Schritte zu ergreifen", argumentierte Obwexer auf Ö1. Damit hätte Nehammers Brief für den EU-Rechtsexperten den entscheidenden Unterschied ausgemacht.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Die Abstimmung zum EU-Renaturierungsgesetz hat die österreichische Koalition gespalten und eine Regierungskrise ausgelöst
- Die Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) stimmte trotz Entzug ihres Stimmrechts durch Bundeskanzler Karl Nehammer im Europarat für die EU-Verordnung
- Die ÖVP brachte eine "Nichtigkeitsklage" beim Europäischen Gerichtshof (EUGH) ein und die Situation wird auch international als blamabel angesehen
- Verschiedene politische Parteien und Rechtsexperten sind uneinig über die Rechtmäßigkeit von Gewesslers Handeln