Anspannung steigt
Regierung in Polen fix – doch Präsident grätscht rein
Knapp zwei Wochen nach den Parlamentswahlen hat Polen eine neue Regierung. Doch der Präsident spielt auf Zeit – und sorgt für einen Nervenkrieg.
Als am 15. Oktober um 21 Uhr die Balken in die Höhe schossen, knallten beim Oppositionsbündnis die Champagnerkorken. Obwohl die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Parteichef Jaroslaw Kaczynski und Premierminister Matuesz Morawiecki auf Platz 1 landete, erreichte die Opposition die Mehrheit der Sitze im neuen Parlament – ein Grund zur Freude. Knapp zwei Wochen später steigt die Anspannung, Präsident Andrzej Duda lässt sich mit dem Regierungsbildungsauftrag Zeit.
Tusk will regieren
Dabei ist die Situation eigentlich glasklar: Bei der Wahl hatte die oppositionelle liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) von Donald Tusk gemeinsam mit dem konservativen Dritten Weg (Trzecia Droga) und dem Linksbündnis Linken (Lewica) eine deutliche Mehrheit im Unterhaus (Sejm) erhalten. Die PiS hat 194 Mandate erhalten, es fehlen also 37 weitere, um eine Mehrheit zu haben. Selbst mit einer möglichen Koalition mit der rechtsextremen Konföderation (Konfederacja) käme man auf 211 Sitze, also weiterhin 20 zu wenig. Die drei Oppositionsparteien haben bereits im Vorfeld der Wahl angekündigt, gemeinsam die PiS-Alleinregierung stürzen und gemeinsam regieren zu wollen. Spitzenkandidat und neuer Regierungschef solle demnach Donald Tusk werden, der bereits von 2007 bis 2014 Polen regierte.
"Zwei ernsthafte Kandidaten"
Hier kommt jedoch der polnische Präsident Andrzej Duda ins Spiel, der der PiS gegenüber als programmatisch treu auftritt und vor seiner Präsidentschaft Parteimitglied war. Er ist derjenige, der den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Am Donnerstag sagte er in Warschau, dass das neue Parlament am 13. November zu einer konstituierenden Sitzung zusammenkommen soll. Das sei der Tag, nach dem die laufende Legislaturperiode zu Ende gehe. Die höchst brisante Frage, wem er den Auftrag erteilen möchte, ließ er offen.
Am Dienstag und Mittwoch traf Duda Vertreter aller im Parlament vertretenen Parteien. Es gebe seiner Darstellung nach "zwei ernsthafte Kandidaten" und "zwei politische Gruppen, die angeben, eine Mehrheit und einen eigenen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu haben". Die Kandidaten sind Mateusz Morawiecki von der PiS und Donald Tusk von der Opposition. Die Verfassung gebe ihm Zeit für die Entscheidung – "das ist eine neue Situation".
Noch nie sei es so gewesen, dass eine Partei gewonnen habe und die anderen meinten, sie hätten eine Mehrheit. Oppositionspolitiker befürchten nun, dass der Präsident den Machtwechsel verzögern könnte, um der PiS noch mehr Zeit an der Macht zu geben. In Polen ist es üblich, dass der Präsident den Auftrag zur Regierungsbildung an Vertreter der stärksten politischen Kraft übergibt. Sollte dessen Vorschlag für ein Kabinett im Parlament keine Mehrheit erhalten, sind die übrigen Fraktionen dran.
Tusk wird ungeduldig
Das Zögern Dudas sorgt vor allem bei Donald Tusk für Unmut. Er warf dem polnischen Präsidenten am Donnerstag vor, "auf Zeit zu spielen". Polen brauche jetzt schnell eine neue Regierung, um die ersten Zahlungen der eingefrorenen EU-Gelder in Milliardenhöhe bis Dezember zu erhalten. Tusk, der in den letzten Tagen in Brüssel zahlreiche Treffen absolvierte, sagte: "Ich bin der designierte Regierungschef der Opposition und wenn ich meine Regierung bekomme, dann werde ich schnelle Maßnahmen einleiten, damit die ersten Zahlungen schon im Dezember gemacht werden können."
„Ich bin der designierte Regierungschef der Opposition.“
Grund für die eingefrorenen Zahlungen ist ein jahrelanger EU-Polen-Streit über die Rechtsstaatlichkeit. Allein 35 Milliarden Euro aus dem europäischen Coronavirus-Aufbaufonds für Polen sind deshalb eingefroren. Mit Regionalfördermitteln stehen nach Angaben aus dem Europaparlament sogar mehr als 100 Milliarden Euro auf dem Spiel.