Gesundheit
Quarantäne-Aus – wer 4. Stich jetzt besonders braucht
Der Experte befürchtet, dass aufgrund der neuen Regeln viele nicht zum 4. Stich gehen. Dabei ist er jetzt für bestimmte Gruppen besonders wichtig.
"Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich die Verordnung für keine gute Idee", stellt Virologe Norbert Nowotny gleich zu Beginn des Gesprächs mit "Heute" fest. Die Verordnung beinhalte einige Aspekte, die er überhaupt nicht unterstütze, weil sie teils skurril und gefährlich für Risikogruppen seien. Nowotny spielt damit auf die Regel an, dass sehr wohl Infizierte des Spitals- und Pflegewesens zur Arbeit erscheinen dürfen, anderen Infizierten jedoch der Zutritt verweigert wird. Oder auch, dass Infizierte zwar zum Plaudern ins Lokal dürfen, die Maske dort aber nicht abnehmen dürfen und Konsumation von Speisen oder Getränken ausdrücklich verboten ist. "Die Verordnung ist ein Schnellschuss, weil sie bereits mit 1. August in Kraft tritt und erst jetzt zeigt sich die Fülle an Fragestellungen in der praktischen Umsetzung. Das hätte länger überlegt werden müssen", so der Mediziner.
Unternehmen wollen keine Infizierten im Betrieb
Laut Stadt Wien werden auch nach dem Quarantäne-Aus keine positiv getesteten Mitarbeiter im Gesundheits- und Bildungsbereich arbeiten. Infizierte ohne Symptome könnten nur in Bereichen ohne Kunden- oder Patientenkontakt und mit permanenter Maskenpflicht oder via Home Office zum Einsatz kommen. Auch der Wiener Gesundheitsverbund und die Medizinische Universität Wien/das AKH werden zum Schutz der Patienten keine positiven Mitarbeiter einsetzen. Nowotny dazu: "Gott sei Dank gibt es viele, die nicht alle Möglichkeiten dieser Verordnung ausschöpfen wollen. Sie behalten die derzeitige Regelung bei und das ist gut so."
Wenn die Verordnung tatsächlich so praktiziert wird, wie sie derzeit formuliert ist, rechnet der Experte mit einem Anstieg der Infektionszahlen. "Da jedoch bereits viele Betriebe ankündigen, restriktiver zu handeln, wird der Anstieg in einem tragbaren Rahmen bleiben", so Nowotnys Einschätzung.
Nicht jeder, der Maske trägt, ist infiziert
"Es ist damit zu rechnen, dass die Verordnung nicht so praktiziert werden wird, wie es im Sinne des Erfinders war – Stichwort Maskenpflicht", meint Nowotny. Dass es zu einer Stigmatisierung von Maskenträgern in der Gesellschaft kommen könnte, weil dahinter ein Infizierter vermutet wird, sieht er nicht kommen. "Es tragen sowohl vulnerable Personen als auch deren Angehörige Maske, um sich zu schützen. Die sind damit nicht automatisch infiziert." Mit den neuen Regeln würde eine Lockerung eintreten, die es für Risikogruppen noch schwieriger machen wird. "Vulnerable Gruppen müssen sich jetzt noch besser schützen, sprich noch öfter Maske tragen und sich unbedingt den vierten Stich holen." Auch Angehörige sollten erhöhte Vorsicht walten lassen (Stichwort: Wohnzimmertests).
Der Virologe befürchtet durch die neue Verordnung eine Verharmlosung der Corona-Infektion, die aber nach wie vor für Risikogruppen und Ungeimpfte tragische Ausmaße annehmen kann. "Die 'neue Freiheit' könnte dazu führen, dass sich weniger Menschen für die Auffrischung entscheiden, weil es anscheinend 'eh nicht mehr so schlimm ist'", äußert er seine Bedenken. Eine Infektion sei nach wie vor nicht mit der Impfung gleichzusetzen. Letztlich deshalb, weil nicht vorhersagbar ist, wie der Körper auf eine Infektion reagieren könnte. Denn je niedriger die Schutzwirkung der Impfung (weil schon zu lange her), desto höher ist die Gefahr eines stärkeren Krankheitsverlaufs oder von Long Covid. Es ist also nicht egal, ob man sich impfen lässt oder sich infiziert – vor allem für vulnerable Gruppen und Menschen mit Vorerkrankungen.
Impfempfehlung bleibt aufrecht
Nowotny hält an der Impfempfehlung des Nationalen Impfgremiums fest, wonach jeder ab 65 und Menschen mit Vorerkrankungen und Immunsupprimierte sich jetzt die Impfung holen und nicht bis zum Herbst warten sollten. Die Empfehlung könnte demnächst der EU-Empfehlung angepasst werden, wonach allen ab 60 eine Auffrischung empfohlen wird.
Aber auch Jüngere (jeder ab 12 Jahren) können sich auffrischen lassen, wenn die letzte Impfung oder Infektion vier bis sechs Monate zurückliegt. Erste Ansprechperson ist der Hausarzt. Sollte der Hausarzt die Impfung nicht machen, soll man auf den Verweis an einen Kollegen bestehen. Auch Impfstraßen sind eine Möglichkeit, aber dort, wo es keine oder zu wenige gibt, soll man sich an den Hausarzt wenden. "Manche haben sich auch jetzt vor dem Urlaub zum vierten Mal impfen lassen – einfach, um sicher zu gehen und den Urlaub genießen zu können. In diesem Fall sollte die Impfung 1-2 Wochen vor Reiseantritt erfolgen", so Nowotnys ärztlicher Rat.