Ukraine
Putin-Verehrer sind nach Butscha-Massaker ganz still
Der russischen Armee werden in der Ukraine Kriegsverbrechen vorgeworfen. Politiker, die Putin bisher verteidigt haben, wollen keine Stellung nehmen.
Dutzende Leichen liegen auf den Straßen, mit verbundenen Händen und Augen, zugedeckt durch Tücher, manchmal halb in der Erde vergraben: Die Bilder, die offizielle Pressefotografen von Reuters, AFP und anderen Nachrichtenagenturen am Wochenende in den Vororten von Kiew, etwa Butscha, geschossen haben, erschüttern. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat der russischen Armee Kriegsverbrechen wie Hinrichtungen und Plünderungen vorgeworfen.
Was sagen Schweizer Politikerinnen und Politiker, die vor dem Krieg viel Verständnis für die Politik Wladimir Putins gezeigt haben, zu den Bildern?
"Krieg kennt immer nur Verlierer"
Noch vor Kriegsbeginn sagte Franz Grüter, der Präsident der Außenpolitischen Kommission, dass eine Deeskalation der Lage nur möglich sei, wenn Russland die Garantie erhalte, dass die Ukraine nicht in die Nato eintrete. Die Aussage sorgte damals in Bundesbern für Empörung, da Grüter damit die Forderungen Russlands aufnahm.
Grüter sagt am Sonntag auf Anfrage, dass er den völkerrechtswidrigen Krieg von Anfang an klar verurteilt hat und er das weiterhin tue. "Krieg kennt immer nur Verlierer", so Grüter. Das zeigten leider auch die aktuellen Gräueltaten. "Ich war vor kurzem persönlich an der ukrainischen Grenze in Polen und Moldawien und habe das Leid der Flüchtenden persönlich miterlebt."
Kein Kommentar
Yvette Estermann, SVP-Nationalrätin bezeichnete die Aktionen des russischen Präsidenten am Tag des Kriegsausbruchs gegenüber dem "Tages-Anzeiger" als "nachvollziehbar", da die Ukraine historisch zu Russland gehöre. Zudem gab sie auch dem Westen eine Verantwortung für den Krieg. "Es ist verständlich, dass Putin nicht akzeptieren kann, wenn die Nato sich der russischen Grenze nähert. Er will lediglich das eigene Volk schützen." Dass Putins Vorgehen völkerrechtswidrig ist, hatte sie damals bestritten.
Am Sonntag wollte sich Estermann auf Anfrage nicht weiter zum Krieg äußern.
Stille
In einem Artikel für das nationalkonservative Blatt "Schweizerzeit" gab Andreas Glarner – von seinem SVP-Kollegen Jean-Pierre Gallati bereits als "Putin-Verehrer" kritisiert – vor einer Woche dem Westen und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski die Schuld für den russischen Angriff. Um den Krieg nun zu beenden, müsse der Westen einer Entmilitarisierung der Ukraine zustimmen sowie die Krim als russisches Hoheitsgebiet und Donezk und Lugansk als Volksrepubliken anerkennen. "Wenn dieses Angebot nicht angenommen wird, sind die EU und die USA ganz klar schuld an jedem weiteren Opfer dieses Krieges."
Andreas Glarner reagierte am Sonntag nicht auf eine Anfrage von 20 Minuten.
"Überheblichkeit" des Westens
Am Tag der russischen Invasion veröffentlichte die «Weltwoche» ein Portrait über Wladimir Putin. Der Titel: "Der Missverstandene". In Texten und Videobeiträgen verteidigt Köppel regelmäßig Putins Vorgehen, kritisiert die "Dummheit" und "Überheblichkeit" des Westens, die Russland erst überhaupt in die Lage gebracht haben soll, einen Krieg anzuzetteln. Auch im russischen Staatssender RT war Köppel vor dem Krieg ein gern gesehener Gast. Wie der "Tages-Anzeiger" berichtet, hat der neue Moskau-Korrespondent der «Weltwoche» eine eigene Sendung auf RT.
Auch Roger Köppel reagierte bisher nicht auf eine Anfrage von 20 Minuten.
Ähnliche konservative Ansichten
Dass die Politik Russlands und Putins vor allem bei SVP-Vertretern auf Verständnis stößt, hat laut Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel und Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung (swisspeace), wohl damit zu tun, dass gewisse gesellschaftspolitische Ausrichtungen geteilt werden. "Etwa zu Geschlechterfragen, zur Rolle der Medien oder der Zivilgesellschaft."
Zu all diesen Fragen verfolge die russische Regierung eine sehr konservative Linie. "Und das tun gewisse politische Exponenten auch." Es gehe aber auch um die Kritik gegenüber der EU, die Betonung der nationalen Souveränität und die generelle Skepsis gegenüber internationalen Organisationen und globalpolitischen Zusammenhängen, so Goetschel.
Zweifel an Glaubwürdigkeit der Berichte?
Es sei anzunehmen, dass die betreffenden Personen keine Stellung nehmen wollen, da sie die Glaubwürdigkeit der Informationen bezweifelten, sagt Goetschel. Denn: "Die Zuschreibung mutmaßlicher Kriegsverbrechen ist ein sehr anforderungsreicher Prozess." Die Bedingungen für das Sammeln von Informationen und Indizien seien während einer laufenden militärischen Auseinandersetzung jedoch kaum gegeben."
So oder so gebe es aber keine rechtliche Pflicht als Drittpartei, zu welchen die erwähnten Schweizer Politikerinnen und Politiker gehörten, daraus irgendwelche Konsequenzen zu ziehen, sagt Goetschel. "Jedoch können deren Äußerungen politisch und ethisch hinterfragt werden."