Er bereitet Krieg mit NATO vor
Putin gibt Ukraine Schuld an Terror – Eskalation droht
Die Terror-Miliz Islamischer Staat reklamiert den Anschlag auf das Moskauer Konzerthaus für sich. Der Kreml beschuldigt die Ukraine.
Über 130 Menschen, darunter einige Kinder, sind bei dem verheerenden Terror-Anschlag auf die Crocus City Hall am Freitag von schwerbewaffneten Schützen ermordet worden. Wie viele Opfer es wirklich sind, ist auch am Tag darauf noch unklar. Während der Aufräumarbeiten in dem völlig zerstörten Konzertsaal werden immer noch weitere Leichen gefunden.
Der Islamische Staat (IS) hat unterdessen den Anschlag mit einem Bekennerschreiben für sich reklamiert. Die mutmaßlichen Täter sollen aus Tadschikistan stammen. Das zentralasiatische Land grenzt im Süden an Afghanistan, mehr als 90 Prozent seiner Bewohner sind Muslime.
Schwieriger Feuerwehr-Einsatz nach Anschlag auf Moskauer Konzerthalle
Experte: IS-Bekennerschreiben echt
Terrorexperte Peter Neumann vom King’s College in London hält das Bekennerschreiben der Terrormiliz Islamischer Staat jedenfalls für echt. Das bestätigte er noch am Freitag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. "Die Bekennernachricht lief über alle offiziellen IS-Kanäle. Ich und meine Kollegen können das hundertprozentig bestätigen", schrieb der aus Deutschland stammende Wissenschaftler zudem auf X.
Es sei sehr wahrscheinlich, dass der IS Khorasan dahinterstecke, analysierte er gegenüber Ö1. Das sei die einzige Gruppe, die noch im nicht-muslimischen Ausland Anschläge verübe und unter anderem stark in Tadschikistan und Usbekistan rekrutiere.
Kreml schießt sich auf Westen ein
Neumann warnte im selben Zug auch vor Falschnachrichten, die auf russischen Telegram-Kanälen kursierten, mit der Behauptung, die IS-Mitteilung sei gefälscht. Es gebe "bereits massenweise Fake-News - vermutlich, um das Narrativ zu spinnen, die Ukraine sei für Anschlag verantwortlich", schrieb Neumann.
Mittlerweile ist das die offizielle Gangart der Kreml-gesteuerten Medien. "Das ist es. Es ist nicht der Islamische Staat. Es sind Ukrainer", dröhnte etwa Chef-Propagandistin Margarita Simonjan. Für sie sind die vorangegangenen Warnungen westlicher Sicherheitsdienste vor einem drohenden Anschlag in Moskau als Bestätigung ihrer Verwicklung darin.
Kneissl nutzt Anschlag für NATO-Hetze
Auch Österreichs Ex-Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ), die mittlerweile in Russland lebt, fällt auf Telegram auch im Zuge des Anschlags mit anti-westlichen Erzählungen auf:
"Es handelt sich um militärisch und psychologisch ausgebildete Attentäter, die nach Anweisungen operieren, wie sie NATO Ausbildner einsetzen", behauptet sie noch Freitagabend ihrem Kanal. Die Quelle für diese aufgrund der bekannten Faktenlage völlig haltlose Behauptung? Ein "ehemaliger Soldat" habe ihr das gesteckt, schreibt sie.
Spurensicherer am Tatort des Terroranschlags auf Crocus City Hall in Moskau
Putin gibt Ukraine Schuld
Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Samstag den Anschlag in einer Fernsehansprache als "barbarische terroristische Tat" und "blutigen Massenmord" verurteilt. Alle Verantwortlichen, die hinter den Angreifern stehen, würden ausfindig gemacht und "bestraft".
Dazu behauptete er im TV, dass die vier bei Brjansk festgenommenen Angreifer versucht hätten, in die Ukraine zu fliehen. In der mutmaßlich am schwersten bewachten Grenze Russlands sollen Hintermänner ein "Fluchtfenster" für die Attentäter vorbereitet haben, sagt der Kreml-Despot.
Auf derselben Routen geht es übrigens auch ins Kreml-befreundete Belarus, wo die Grenzkontrollen zweifelsohne deutlich laxer sind.
Die USA, die Moskau zuvor vor einem drohenden Anschlag von Islamisten gewarnt hatten, mahnten in einer ersten Reaktion, dass es keinen Zusammenhang mit der Ukraine gebe. "Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ukraine oder Ukrainer mit den Schüssen zu tun hatten", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, in Washington.
Russische Milizen sehen False-Flag-Operation
Eine völlig konträre Darstellung zur Kreml-Erzählung geben die russischen Milizen "Sibirisches Bataillon" und Legion "Freiheit Russlands", die zuletzt die Grenzregion Belgorod angegriffen hatten, auf ihren Telegram-Kanälen zum Terror-Anschlag ab. Geht es nach ihnen, habe der Kreml selbst mit seinem Geheimdienst das Massaker inszeniert.
"Wir machen Putins Terrorregime für die Tragödie verantwortlich", schreiben die Aufständischen. Das alles, "um den Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen und die Repression innerhalb der Russischen Föderation zu verschärfen." Beweise liefern sie dafür aber keine.
Ist das alles wirklich nur ein Vorspiel zur Legitimation einer neuen Eskalation?
Ukraine: "Dumm oder suizidal"
Diese Frage kann zur Stunde niemand beantworten. Die Ukraine befürchtet jedenfalls, dass die russische Propaganda-Hetze gegen Kiew und die westlichen Verbündeten nur der Prätext ist, um die Aggressionen auszuweiten.
Geheimdienst-Vertreter Andriy Yusov bezeichnete Putins Erzählung, wonach die Attentäter in die Ukraine hätten flüchten wollen, im Gespräch mit BBC als "absurd". Im Grenzgebiet wimmele es nur so von russischem Militär und Sicherheitspersonal. Jeder Terrorist, der diesen Weg hätte nehmen wollen, müsse "dumm oder suizidal" gewesen sein.
Putin bereitet Krieg mit NATO vor
Was aber klar ist: Russland bereitet sich früher als erwartet auf einen totalen Krieg mit der NATO vor. Das meldet das Institute for the Study of War (ISW) am 20. März 2024 auf Basis einer Analyse von Indikatoren der russischen Finanz-, Wirtschafts- und Militär-Sektoren. Demnach solle das zwar "nicht unmittelbar, aber wahrscheinlich innerhalb eines kürzeren Zeitraums" als von westliche Analysten angenommen, geschehen.
Putin versuche demnach, Russlands langfristige Finanzlage auf einem höheren Niveau der Staatsausgaben zu stabilisieren. Dazu schicke er auch ein deutliches Signal an die Silowiki – (Ex-)Geheimdienstler und -Militärs, die unter Jelzin und Putin zu wohlhabenden Industriellen mit politischem Einfluss aufgestiegen sind –, dass das für diese nicht schmerzlos ablaufen werde. Diese Vorwarnung solle wohl den drohenden Verlust ihres Rückhaltes abfedern.